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ADHS bei Erwachsenen
Zerstreut und launisch – was steckt dahinter?

Rahel Christen war schon 44, als bei ihr ADHS diagnostiziert wurde.
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«Mir war immer klar, dass ich anders bin», sagte Rahel Christen in einem Tamedia-Bericht vom August. Bei der 48-Jährigen wurde erst vor 4 Jahren ADHS diagnostiziert, eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung.

Sie ist damit nicht allein: Besonders in den sozialen Medien posten seither viele, wie beispielsweise die deutsche Künstlerin und Influencerin Kim Hoss, ähnliche Erfahrungen, oftmals versehen mit dem Hashtag #neurodiversity, zu dem es beispielsweise bei Instagram über eine halbe Million Einträge gibt.

Lange Wartezeiten für eine Abklärung

Viele erkennen sich selbst in den Schilderungen der Influencer. In der Schweiz muss man aktuell allerdings lange auf einen Termin zur Abklärung warten, so gross ist die Nachfrage. Bei der Psychiatrie Baselland (PBL) zum Beispiel hat sich die Wartefrist von einem auf mittlerweile drei Monate erhöht. «Es kommen derzeit auch viele Menschen zu uns, bei denen wir am Ende kein ADHS feststellen», sagt Isabelle Alonso, Psychotherapeutin und Fachfrau an der Spezialsprechstunde ADHS der Psychiatrie Baselland.

Alle seien mal zerstreut und hätten Mühe, Arbeiten anzupacken oder zu Ende zu bringen. «Bei ADHS ist das aber ein Dauerzustand.» Dazu kommen Symptome wie innere Unruhe, ständiges Wippen mit den Füssen oder Klopfen mit den Fingern. Betroffene haben häufig kein Zeitgefühl und kommen ständig zu spät, weil sie der Meinung sind, für alles noch genügend Zeit zu haben. Sie sind wenig stressresistent und schnell gereizt.

«Wird ein Glas ausgeleert, können sie je nach Situation nicht einfach ruhig putzen, sondern fluchen gleich los.» Dazu kommt eine schlechte Impulskontrolle, eingekauft und gegessen wird häufig, ohne darüber nachzudenken. Im Strassenverkehr fallen Betroffene zudem häufig durch riskantes und zu schnelles Fahren auf. Kritik nehmen sich ADHSler oft extrem zu Herzen, häufig haben sie auch Probleme mit Autoritäten. In Beziehungen stören besonders ihre Stimmungsschwankungen und dass sie manchmal, ohne zu überlegen, verletzende Dinge sagen. «Bei solchen Symptomen macht eine Abklärung Sinn.»

Häufige Jobwechsel, instabile Beziehungen

Betroffene wechseln deshalb ausserordentlich häufig ihre Jobs und Beziehungen. «Entweder weil das Alte schlicht langweilig geworden ist oder weil man beispielsweise nach Kritik durch Vorgesetzte aus einem Impuls heraus kündigt», sagt Alonso. Überdurchschnittlich oft führt eine ADHS-Störung irgendwann in ein Burn-out oder eine Depression.

ADHS kannte man früher vor allem als Kinderkrankheit. Je nach Studie, die man konsultiert, verschwindet ADHS aber nur bei rund 10 bis 40 Prozent der betroffenen Kinder im Erwachsenenalter dann auch tatsächlich. Alle anderen leiden ihr Leben lang unter der Störung.

Selbstmedikation mit Drogen

Viele von ihnen lernen, irgendwie damit zu leben. «Ich habe Patienten, die einen riesigen Aufwand betreiben, um trotz ADHS zu funktionieren. Sie schreiben selbst die simpelsten Dinge in den Kalender, haben tägliche To-do-Listen und erledigen alles mit einer eisernen Routine: am Montag Waschtag, am Dienstag einkaufen und so weiter, weil sie es sonst nicht auf die Reihe kriegen.»

Andere beginnen besonders in Jugendjahren häufig damit, Drogen zu konsumieren, vor allem Cannabis, um die Symptome abzuschwächen und die innere Unruhe zu dämpfen. «Man geht bei bis zu 40 Prozent aller Drogenkranken davon aus, dass ADHS bestehen könnte», sagt Alonso. Wenn dann irgendwann die Diagnose kommt, sind die meisten Betroffenen erleichtert. «Sie wissen endlich, dass sie nicht faul und unfähig sind, sondern dass ihr Kopf tatsächlich anders funktioniert.»

Nicht alle finden zu einem befriedigenden Leben

Eine Behandlung basiert je nach Fall auf Medikamenten und einer Therapie. Patientinnen lernen beispielsweise, wie man sich Zeit einteilt oder eine Agenda führt. Ein anderer Aspekt ist der Umgang mit Stress und Gefühlen sowie die Behandlung einer möglicherweise vorliegenden Depression.

«Nicht alle können irgendwann ein zufriedenes Leben führen», sagt Alonso, «sie leiden unter Arbeitslosigkeit oder auch den oft scheiternden Beziehungen.» Anderen gelinge es aber, auch die positiven Seiten der Störung zu sehen, denn diese gebe es auf jeden Fall. «Ich persönlich schätze ADHS-Betroffene sehr», sagt die Psychotherapeutin. «Sie sind meistens sehr sozial und hilfsbereit, sie denken kreativ und finden rasch Lösungen. Ausserdem sind viele extrem begeisterungsfähig. Wenn jemand mit ADHS für etwas Feuer und Flamme ist, dann wird alles super erledigt.»

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