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Nach dem Cupfinal
YB gegen Lugano – prägt dieses Duell bald den Schweizer Fussball?

Moment der Entscheidung: Jhon Espinoza scheitert in der 85. Minute an YB-Goalie Marvin Keller. Wenige Sekunden danach steht es 3:1 für YB statt 2:2.
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Und dann reduziert sich alles auf diesen einen Gedanken. «Oh nein, bitte nicht!» Datengetriebenes Scouting, Belastungssteuerung,  Videoanalyse, Teammanagement, Öffentlichkeitsarbeit und was alles sonst noch so zu der Arbeit eines modernen Trainers gehört: Alles geschenkt. Da ist nur noch dieser Ball, den der FC Lugano so bedrohlich nah ans Tor der Young Boys treibt. Und Raphael Wicky bleibt bloss das gute, alte Stossgebet: «Hoffentlich ist da noch ein Gelber.»

Zum Glück für den YB-Trainer sind ganz viele Gelbe da. Wobei der wichtigste Gelbe in dem Moment Blau trägt. Aber egal. Marvin Keller wirft sich in den Schuss von Jhon Espinoza und rettet den Bernern den 2:1-Vorsprung. Aber damit ist diese 85. Minute ja noch nicht vorbei. Plötzlich rutscht mit Kreshnik Hajrizi der hinterste Tessiner Feldspieler weg. Jean-Pierre Nsame zieht alleine auf Amir Saipi los, Meschack Elia verwertet den Abpraller zum 3:1.

Es ist eine Minute, die alles hat, was Fussball so schön macht. Und auch so schrecklich. Lange sitzt Hajrizi nach dem Schlusspfiff alleine auf der Bank der Tessiner. Schon unmittelbar nach seinem Fehler braucht es drei Mitspieler, die ihn wieder aufrichten können. Und fast nützt es ja noch etwas. In einer letzten Drehung dieses Spiels trifft Renato Steffen gegen seinen Ex-Club noch zum 2:3.

Nach den Tränen kommt die Wehmut

Aber dann ist Schluss, Ende, aus. Vor einem Jahr hat Mattia Croci-Torti an derselben Stelle geweint wie ein Schlosshund, nachdem seine Luganesi den Schweizer Cup gewonnen haben. Jetzt beisst der Coach die Zähne zusammen und blickt kurz in den Himmel über dem Wankdorf.

Er weiss: «Es hat so wenig gefehlt.» Lugano hat den Schweizer Meister, die Übermannschaft der Super League, gereizt, herausgefordert, und in der zweiten Halbzeit zeitweise sogar ausgespielt. YB hat gewankt – aber es ist nicht gefallen.

Geteilte Freude ist doppelte Freude: Christian Fassnacht (l.) mit dem Cup- und Mohamed Camara mit dem Meisterpokal.

Der 98. Final des Schweizer Cups ist ja auch so etwas wie das Kräftemessen zweier Modelle. Hier der Koloss YB, der sich seine Vormachtstellung im Schweizer Fussball über Jahrzehnte erarbeitet und lange Zeit auch erlitten hat. Der getragen wird von einer breiten Fanbasis und dank Transfers und europäischem Fussball bei einem Umsatz von 60 Millionen Franken Gewinn schreibt. Der es sich zum Ziel gesetzt hat, dass die besten Schweizer Talente vor ihrem Auslandtransfer nur an einem Ort spielen dürfen: in Bern.

Dort die Tessiner, die jeweils für den Cupfinal eine stolze Anhängerschaft hervorzaubern, sonst aber kaum Zuschauer anziehen. Vor zwei Saisons stand der Club ganz knapp vor dem Konkurs. Inzwischen ist er gerettet vom US-amerikanischen Milliardär Joe Mansueto. Der hat 20 Millionen Franken eingespeist, um das Budget auszugleichen und will 16 Millionen ins neue Stadion investieren.

Hier landen Routiniers wie Renato Steffen, die davon profitieren, dass Lugano sehr gute Löhne bezahlt. Und junge Talente aus aller Welt, die vielleicht dereinst interessant werden könnten für Chicago Fire, den Partnerclub auf der anderen Seite des Atlantik.

Keller gegen Espinoza – das Duell der Systeme

Das entscheidende Duell in der 85. Minute in diesem Final steht darum irgendwie stellvertretend für dieses Aufeinanderprallen der Philosophien. Hier Keller, Schweizer U-21-Nationalspieler. Die Saison hat er in Wil in der Challenge League begonnen. Dort Jhon Espinoza, zweimaliger ecuadorianischer Nationalspieler. Er ist im Januar von Chicago ins Tessin gewechselt. Keller gewinnt diesmal gegen Espinoza, YB deswegen gegen Lugano.

Die Berner feiern am Ende auch darum das dritte Double ihrer Vereinsgeschichte, weil sie in den entscheidenden Situationen mehr individuelle Klasse besitzen. Oder einfach weniger krasse Fehler begehen. Nicht nur das 3:1, auch das 2:0 kurz vor der Pause ist ein Geschenk. Goalie Saipi unterläuft eine Freistossflanke und offeriert Jean-Pierre Nsame sein zweites Tor des Nachmittags.

Trost in der Familie: Renato Steffen setzt sich nach dem verlorenen Endspiel einfach mal mit seinem Sohn auf den Berner Kunstrasen.

Nsame hat bereits das 1:0 erzielt. Mit dem Kopf natürlich. YB gegen Lugano, das ist auch vom Fussballstil das Duell zweier total unterschiedlicher Teams. YB hat mit Elia bloss einen Spieler im Einsatz, der kleiner ist als 1,80. Lugano setzt sieben ein, die 1,75 sind oder noch kleiner.

Die Berner Wucht setzt sich gegen die Tessiner Wusler durch. Aber YB muss sich den Sieg schwer erarbeiten, muss härter kämpfen, als das zu erwarten war. Und irgendwann beschleicht einen auf der Tribüne der Gedanke: YB gegen Lugano – könnte das hier das Duell werden, das den Schweizer Clubfussball in der näheren Zukunft prägen wird?

Die Antwort wird die kommende Saison geben. YB muss dann Leistungsträger wie Fabian Rieder und Cédric Zesiger ersetzen. Lugano die Doppelbelastung mit dem Europacup verarbeiten. Aber so, wie die beiden Teams in diesem Final aufeinander geprallt sind, ist zumindest der Samen einer ernsthaften Rivalität gesetzt.