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Mystisches Nordisland
Wo unterirdische und überirdische Kräfte aufeinandertreffen

Im vulkanischen Rhyolithgebirge sollen Natur­geister hausen. Im Hügel vorne rechts im Bild sehen die Einheimischen eine Elfenburg.
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Dieser Artikel stammt aus der Schweizer Familie

Früher Morgen in Húsavík. Der Himmel bedeckt, kein Wind, kein Regen. Kühl. Im kleinen Hafen dümpeln nostalgisch anmutende Eichenholzschiffe, bereit, auszulaufen. Den Walen hinterher, die sich zahlreich in der Skjálfandi-Bucht vor der 2000-Seelen-Stadt in Islands ­Norden aufhalten. Nicht, um die Tiere zu ­jagen, nein, Walfang ist kein Thema in Húsavík, die Stadt steht schliesslich im Ruf, Islands «Hauptstadt für Walbeobachtungen» zu sein.

Vorfreude kommt auf, als das Eichenboot den Hafen von Húsavík verlässt, um hinauszufahren aufs Meer zu Walen und Papageitauchern.

In Húsavík ist man stolz auf diesen Titel, man unterhält ein Walmuseum und bringt Gästen aus aller Welt die sanften Meeresriesen näher. Wer sich auf eines der liebevoll restaurierten Holzboote der auf Walsafaris spezialisierten North Sailing begibt, darf beinahe sicher sein, den einen oder andern Wal zu sichten – und sollte sich keines der Tiere zeigen, gibt es in der Regel am nächsten Tag eine Freifahrt.

Es sind vorwiegend Mink- oder Zwergwale, Tümmler und Weissschnauzendelfine, die sich in der Bucht tummeln, bisweilen sind aber auch Buckel- und Pottwale zu sehen, und ab und zu zeigen sich auch Orcas und die riesigen Blauwale. Ob die in wärmenden Overalls steckenden Passagiere der Ausflugsboote an diesem eher trüben und klammen Tag im August Wale sichten werden, wissen allein die Götter. «Die Bucht ist kein Zoo», sagt Christian Schmidt, «aber die Chancen, Wale zu sehen, sind hier gut.»

Diese Reise ist ein Angebot der Schweizer Familie, mehr Infos finden Sie hier.

Seit dreizehn Jahren arbeitet der Norddeutsche bereits als Guide und Walspezialist für North Sailing, und er kennt die Gegend um die Skjálfandi-Bucht wie seine Hosentasche. An diesem Morgen wird er die Passagiere des Bootes Andvari kenntnisreich und unterhaltsam informieren über die Tierwelt auf, über und unter Wasser, über die ganzjährig schneebedeckten Bergketten, die sich über die Westseite der Skjálfandi-Bucht ziehen, und über den schwedischen Wikinger Gardar Svavarsson, der 870 als Erster auf Island überwinterte, die Bucht Húsavík – Hausbucht – nannte und die Insel kurzerhand und unbescheiden Garðarshólmur nannte – Gardars Insel. Was sich allerdings nicht hat halten können, im Gegensatz zum Namen Húsavík.

Stilles Dahingleiten

Die Andvari legt ab. An Bord eine leicht aufgekratzte Stimmung – die Vorfreude auf das, was kommen mag, die Spannung, ob man auch tatsächlich Wale zu sehen bekommt, und wenn ja, was für welche. Beinahe lautlos bewegt sich das Schiff aus dem Hafen, umkurvt die Quaimauer, nimmt Kurs auf die Bucht. Auf der Mauer ein paar Buben beim Fischen, sie rufen den Passagieren launige Sprüche zu und schwenken breit grinsend ihre gefangenen Fische durch die Luft. Keine Ahnung, was sie rufen, aber sie sind bei bester Laune – eine ansteckende Freude.

Die Bugwellen schlagen höher, Húsavík wird kleiner, in den Hügeln über dem Ort hängen Nebelfetzen, der Kirchturm winkt zum Abschied. Der Wind frischt auf, die Leute an Bord reiben sich die Hände und sind nun froh um die sperrigen Overalls, auf die nicht wenige von ihnen noch vor einer halben Stunde ­gerne verzichtet hätten.

Ich gehöre nicht dazu. Ich war schon einige Male auf Walsafari in Island, zu verschiedenen Jahreszeiten – es war immer kalt! Auch in der Skjálfandi-Bucht. Die Kälte auf einer Bootstour im Nordmeer ist eine Konstante. Ebenso wie der schnelle Wechsel des Wetters. In Island tut man gut daran, sich auch bei Sonnenschein mit einer Regenjacke zu wappnen. Immer. Doch eines ist an diesem Morgen anders als sonst. Die Stille! Kein Motorenlärm. Kein Dieselgestank. Keine Abgaswolke, die dem Schiff hinterherzieht, nur stilles Gleiten. Wunderbar!

Geschützt von den schneebedeckten Bergen von Vík, schlummert die Skjálfandi-Bucht im Morgenlicht.

Die Andvari tuckert elektrisch durch die Bucht, sie ist eines von zwei Schiffen der North-Sailing-Flotte, die ihre Passagiere klimaneutral und nachhaltig zu den Walen führt. Und lautlos. Na ja, zumindest nahezu.

Ob das die Tiere allerdings freut, ist umstritten. Untersuchungen laufen, Drohnen sammeln Proben vom Blas der Wale, die dann auf Stresshormone untersucht werden, definitive Ergebnisse stünden noch aus, erklärte mir am Morgen Thórný Stefánsdóttir, die Sales-Managerin von North Sailing. Unbestritten sei jedoch, dass die Leute gerne auf den Elektro­schiffen führen – «viele sind bitter enttäuscht, wenn sie keinen Platz mehr auf der Andvari oder dem Hybrid-Segler Opal bekommen».

Verständlich. Eine Seefahrt ganz ohne Dieselschwaden und Motorenlärm ist nicht nur umweltverträglicher, sie macht auch wesentlich mehr Spass. Schon weil man für einmal die Nase vorbehaltlos in den Wind halten und dabei tief durch­atmen kann.

Eine gute Stunde kreuzt die Andvari nun schon nachhaltig durch die Bucht. Keine Fluke. Kein Blas. Kein Wal. Die Stimmung auf dem Schiff ist zwar immer noch angeregt, aber gleichwohl etwas gedämpft. Und Schmidt, der die Passagiere mit anekdotisch Informativem unterhält, wirkt stimmlich etwas angespannt. Aber eben, eine Walsafari ist kein Spaziergang durch einen Zoo. Und die Bootsfahrt ist auch ohne Wal interessant. Malerische Küste, steil und schön, Wasserfälle, die ins Meer gischten. Seevögel, die virtuos und kunstvoll ums Schiff pfeilen. Eine Robbe, die sich in den Wellen wälzt und neugierig zum Schiff hinüberlinst. Und dann – Rückenflossen. Delfine. Weissschnauzendelfine, die das Schiff begleiten, immer mal wieder in elegantem Bogen aus dem Wasser springen, um dann Richtung offenes Meer zu entschwinden.

Na ja, es sind nicht die erhofften ganz grossen Kaliber, dafür die eleganten. Die Gäste auf dem Eichenboot sind sichtlich zufrieden, und als die Andvari wieder Kurs auf Húsavík nimmt, freuen sich ­einige Kinder an den putzigen Papageitauchern, die in Bootsnähe auf den Wellen schaukeln.

Papageitaucher sah ich zwei Tage zuvor zuhauf. Es war in Hafnarhólmi, einige Kilo­meter entfernt von Bakkagerði, einem verschlafenen Örtchen am Borgarfjord ganz im Osten Islands, und ich und meine Lebensgefährtin Regina waren gewissermassen zu Besuch auf dem Heimatfelsen der drolligen Seevögel.

Selbst für isländische Verhältnisse ist die raue Landschaft am Borgarfjord voller Einsamkeit und Stille.

Eine fantastische Gegend. Rau. Dünn besiedelt. Einige Höfe, Schafe, Pferde. Das Nordmeer. Und im Gegensatz zum Süden Islands und der Gegend um Reykjavík nur wenige Touristen. Noch.

Struppig wie das Hochlandgras ist das Fell des Islandschafs. Und isoliert gut gegen Kälte.

Gruselgeschichte am Wegrand

Zu erreichen ist der Borgarfjord über eine Strasse, die zum Teil nur Schotterpiste ist, die von Egilsstaðir vorbei an der bescheidenen Behausung des isländischen Malers Jóhannes Sveinsson Kjarval (1885–1972) führt, dann kurvenreich den Vatnsskarð-Pass überwindet, um hinunter an den Fjord zu führen und über die Küstenstrasse Njarðvíkurskriður eine Steilküste entlang nach Bakkagerði.

Der Maler Jóhannes Sveinsson Kjarval (1885–1972) lebte bescheiden.

Ein Kreuz steht an der Küstenstrasse, das Naddakross, und es raunt von Gefahren, von Tod und Verderben und dem Naddi, einem Monster, halb Mensch, halb Tier, das an der gefährlichsten Stelle der kurvenreichen Küstenstrasse lebte. Eine tückische Kreatur, dieser Naddi, mit Einschüchterungsversuchen, Attacken und Irrlichtern versuchte er, Reisende ins Unglück zu stürzen. Und dem erstmals 1306 errichteten Kreuz nach scheint er durchaus erfolgreich gewesen sein. So lange jedenfalls, bis es einem mutigen Bauern aus Borgarfjörður gelang, das Monster zu überwältigen und ins Meer zu treiben. Jetzt drohen an dieser Stelle nur noch Lawinen, Steinschlag und vereiste Kurven …

Wir hatten gutes Wetter, als wir über die Njarð­víkurskriður fuhren. Und das Wetter hielt sich auch, als wir auf Holzstegen auf den Vogelfelsen von Hafnarhólmi stiegen. Wir waren nicht die Einzigen, vorab die clownesken Papageitaucher sind sehr beliebt, nicht nur bei Ornithologen, aber der Besucherandrang hielt sich in Grenzen. Hafnarhólmi liegt eben nicht gerade am Weg. Und die Stege und Geländer sorgen dafür, dass die Vögel nicht gestört werden. Was diese offenbar schätzen. Denn gerade als ich das Objektiv an meiner Kamera wechseln wollte, hörte ich ein Rauschen, ein Flattern, und, schwups, landete einer der bunten See­vögel mit irgendwie tolpatschigem Flügelschlag keine zwei Meter neben mir im Gras, den Schnabel voller durchsichtiger Sandaale.

Er sah mich an, ich sah ihn an, und während ich krampfhaft-vorsichtig versuchte, das richtige Objektiv an der Kamera zu befestigen, zwinkerte er mir kurz zu, wandte sich ab und tapste zu seinem Bau oberhalb der Klippe. Nun, ich dürfte während der Reise noch mehr Gelegenheiten bekommen, Papageitaucher zu fotografieren, dachte ich für mich, und so war es denn auch.

Der Papageitaucher nimmt den Mund gerne mal zu voll, indem er mehrere Fische in seinem orangefarbenen Schnabel hält.

Bakkagerði ist allerdings nicht nur wegen der Papageitaucher bekannt, das von farbigen Rhyolith- und schwarzen Basaltbergen umrahmte Örtchen ist auch beliebter Ausgangspunkt für Wanderungen – die Umgebung Bakkagerðis zählt zu den besten Trekking-Gebieten des Landes und bietet mehr als 140 Kilometer markierter Routen –, das schmucke, museale Torfhaus findet bei historisch Interessierten Anklang, und die Elfenburg gleich neben der Kirche ist Anziehungsort für all jene, die es mit dem Übernatürlichen haben.

Das Lindarbakki, ein museales Torfhaus mit Grassodendach.

Das sind nicht wenige auf Island. Trolle, Tussen und Elfen gehören auf die Insel wie die Geysire und die Pferde, und um die Belange des «verborgenen Volkes» kümmern sich bisweilen Elfensachverständige, auf dass nicht etwa eine Strasse über Elfengebiet führt oder eine Überbauung am falschen Ort zu stehen kommt. Denn das mögen die Elfen nicht, ganz und gar nicht – Sabotage und Unglücksfälle lassen bei Verstössen nicht lange auf sich warten.

Im «Elfenkaffee» am Borgarfjord gibt es etwas Warmes und lokale Handwerkskunst.

Darauf achtet man in Bakkagerði. Der Campingplatz liegt in respektvollem Abstand zur Elfenburg, der nächste Hof ist gut einen Kilometer entfernt, und auch die Kirche, in welcher der Maler Kjarval Jesus bei der Bergpredigt kurzerhand auf die Elfenburg versetzte, hält gebührend Abstand zum Felsenschloss der Elfen. Das ist gut so, denn in dieser Burg residiert niemand Geringeres als die Elfenkönigin Borghildur höchstselbst. Man darf sie besuchen, ein Fussweg führt hinauf auf das «Dach» der Burg, und von dort bietet sich ein prächtiger Rundblick von der Küste über die Graslandschaft bis zu den prächtigen Bergen. Und bisweilen weht der scharfe Geruch des Stockfischs herüber, der unweit der Küste an einem Holzgestell trocknet. In Island kommen sich das Handfeste und das Feinstoffliche nicht in die Quere, auf dieser Insel der Gegensätze ist alles eins.

Wasserfälle und Mückensee

Da gehören wohl auch die Mücken dazu, die in Myriaden um den Mývatn, den ­Mückensee, schwärmen. Vierzig verschiedene Arten soll es geben, darunter die Kriebelmücke, ein für Menschen besonders lästiges Exemplar. Da helfen nur Netze, jegliches wilde Um-sich-Schlagen ist vergebliche Liebesmüh.

Mývatn, der Mückensee, ein friedliches Gewässer, in dem sich die Wolken vielfarbig spiegeln.

Doch was für die einen Fluch ist, ist für andere ein Segen. Für die vielen Wasservögel etwa, für die fünfzehn Enten­arten, die Gänse, Seetaucher und was sonst noch im Schilfgürtel brütet. Und für die diversen Fische, die diesen seichten, mitten im Vulkansystem des Krafla gelegenen See im Nord­osten Islands bevölkern.

Der Mývatn liegt in einem Naturschutzgebiet mit rund fünfzig Inselchen und ist gesäumt von einer Vielzahl malerischer Pseudokrater und skurriler Lavaformationen. Dass in seiner ­näheren Umgebung auch noch die Schwe­fel- und Schlammtöpfe des Solfatarenfeldes Hverir vor sich hin schmauchen, brodeln und dampfen und die imposanten Wasserfälle Detti- und Selfoss sowie der Goðafoss, der «Wasserfall der Götter», die ansonsten wüstenhafte Gegend adeln, passt zum hier allgegenwärtigen Bild des Urtümlichen. Und macht die Region zu einem absoluten Highlight von Islands Nordosten.

Auf dem Solfa­tarenfeld Hverir dampft es aus blubbernden Schlammkesseln.
Island zählt über 10’000 Wasserfälle. Einer der imposantesten ist der «Wasserfall der Götter».

In Anlehnung an den touristisch arg strapazierten «Golden Circle» mit den Wasserfällen, dem Thingvellir und den Geysiren in der Umgebung von Reykjavík schmiedeten findige Touristiker aus den diversen landschaftlichen Attraktionen des Nordens einen «Diamond ­Circle» – auf dass die lukrative Flut von Besucherinnen und Besuchern sich künftig auch vermehrt in den Norden ergiesse. Was, natürlich, wiederum Fluch und Segen mit sich bringt …

Die robusten Islandpferde leben im Sommer frei auf den ausgedehnten Hügelzügen der Insel.

Als wir jedoch abends über die abwechslungsreich angelegten Wege durch die Kraterlandschaft am Mývatn spazierten, der Sonne beim sachten Herabsinken zuschauten, die Silhouetten der still am Ufer stehenden Pferde bewunderten und uns vom goldenen Glanz auf dem Wasser verzaubern liessen, war von Fluch nichts zu spüren, nur vom unermesslichen Zauber einer faszinierenden Landschaft.

Diese Reportage entstand in Zusammenarbeit mit unserem Partner Kontiki Reisen.

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