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Wo sich die weissen Rassisten radikalisieren

Der Attentäter von El Paso hat auf 8chan einen Text über den rassistischen Hintergrund seines Massakers veröffentlicht – die Plattform wurde danach vom Server-Betreiber vom Netz genommen. Bild: Keystone/Andres Leighton
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Der Attentäter, der in einem Walmart im texanischen El Paso 20 Menschen ermordete, hat kurz vor seiner Tat auf der Chatplattform 8chan ein rassistisches Schreiben veröffentlicht. Es ist nicht das erste Mal, dass Attentäter auf der Seite solche Texte veröffentlichten, auch im Zusammenhang mit einem Angriff auf eine Synagoge in Kalifornien und beim Massaker von Christchurch spielte 8chan eine Rolle. In Neuseeland verlinkte der Terrorist den Livestream seines Massenmords auf der Plattform, mindestens 50 Personen schauten dem Attentäter zu.

Die Plattform ist ein wildes Sammelsurium von Trollen, Rassisten und Verschwörungstheoretikern wie jene von QAnon. Ihnen bietet 8chan – auch Infinitychan genannt – ein einfaches Chatforum ohne Moderation oder Kontrolle und somit eben auch ohne Zensur oder andere Grenzen. Aus diesem Grund versammeln sich die Ausgestossenen des Internets auf 8chan, also alle, die von regulären Seiten verbannt wurden, weil sie deren Regeln verletzten. Wer einige Chats durchliest, merkt schnell: Hier herrscht ein rauer Ton, viele Einträge gehen weit unter die Gürtellinie, und rassistische Ausdrücke gehören zum Standard.

Als Fredrick Brennan die Plattform 2013 gründete, schwebte ihm nach eigenen Angaben eine Utopie der freien Rede vor – er war gerade auf einem Pilztrip, als er diese Idee hatte. Das Vorbild war 4chan, ein Chat, der damals in die Kritik geriet, weil Nutzer aus Game-Chats verbannt wurden, die sich verachtend und hasserfüllt über Spielerinnen äusserten. Sein 8chan sollte ein Ort werden, wo keine solchen Konsequenzen zu befürchten sind. Aus seiner Utopie wurde unter diesen Voraussetzungen in Windeseile ein rechtsfreier Raum für Trolle, die bei Facebook, Twitter und anderen Plattformen rausflogen – und ein Treffpunkt für Extremisten.

Die Startseite von 8chan – ein einfaches Chatforum, praktisch ohne Regeln oder Moderation. Bild: Screenshot

Auf 8chan wird Hass kultiviert, werden Nutzer radikalisiert und es wird offen über Massenmorde diskutiert und fantasiert. Die Beiträge sind anonymisiert und wild durcheinandergemischt, angezeigt werden zuerst jene Themen, die gerade am meisten Klicks generieren. Wer nach Bestätigung für ein rassistisches Weltbild sucht, wird es auf 8chan finden, wer einen Massenmord plant, wird angefeuert und weiter dazu angestachelt. Die Grenzen zwischen Wunschvorstellung und Realität verfliessen, wie die Attentate in Christchurch und nun El Paso zeigen.

Mittlerweile findet selbst Gründer Brennan, dass seine ursprüngliche Idee verfälscht wurde. Er bereut sogar, dass er die Seite überhaupt kreiiert hatte und warnt, dass weitere Massaker folgen könnten, in welchen 8chan eine Rolle spielt. Eigentlich müsste das Forum daher abgeschalten werden, sagte er der New York Times. Kontrolle darüber hat er aber nicht mehr: 2015 gab er die Kontrolle an Jim Watkins ab, der der 8chan von den Philippinen aus steuert.

Stecker gezogen: 8chan ist vom Netz

Nach dem Massaker vom letzten Samstag hat nun der Server-Schutzanbieter Cloudfare 8chan von seiner Kundenliste gestrichen. In einer Mitteilung schreibt Cloudflare am Sonntagabend, dass der El-Paso-Terrorist sich in 8chan-Chats auf den Vorfall in Christchurch bezogen habe und sein Anschlag davon inspiriert sei. 8chan habe sich nun mehrmals als «Kloake von Hass» erwiesen, weshalb es nun nicht mehr Kunde von Cloudflare sei. Damit ist das Chatforum schutzlos Attacken ausgesetzt und ist deshalb nach der Abschaltung des Cloudflare-Schutzes auch zusammengebrochen.

Cloudflare hat bereits Erfahrung mit solch einschlägigen Seiten und zeigte deshalb auf, wie es für 8chan wohl weitergehen wird: Zwar sei die Seite dann nicht mehr ihr Problem, aber wie schon bei anderen Beispielen werde die Seite wohl einen Konkurrenten finden, der 8chan wieder schützt, so dass das Chatforum wieder erreichbar wird.

Um Mitternacht in Kalifornien (Montagmorgen 9 Uhr Schweiz Zeit) hat Cloudflare die Zusammenarbeit mit der Seite 8chan.net beendet. Bild: Screenshot

Sie sollten recht behalten: Nach der Abschaltung des Cloudflare-Schutzes um 9 Uhr Schweizer Zeit ging es nur wenige Stunden, bis 8chan wieder erreichbar war. Cloudflare fordert deshalb weitergehende Lösungen, damit sie erst gar nicht solche Entscheidungen fällen müssen. Vielmehr müssten die Regierungen Regeln für das Internet festlegen, um solche Seiten auf andere Art und Weise stillzulegen. Europa sei da schon weiter als die USA, schreibt Cloudflare. 8chan nun den Schutz zu künden, sei zwar die richtige Entscheidung gewesen, weil es dort nur noch um Hass gegangen sei, es werde aber langfristig und gesellschaftlich nichts ändern.

Das Magazin «Time» befürchtet sogar das Gegenteil, nämlich dass die temporäre Nicht-Verfügbarkeit der Ideologie von 8chan letztlich nützen werde, weil viele Nutzer der Website dem Internet ohnehin bereits Zensur vorwerfen und nun darin bestärkt würden. In den letzten Einträgen war zudem oft zu lesen, dass man nun halt weiterziehen werde, die Eingeweihten wüssten bereits, wohin. Mit der Abschaltung von 8chan beginne nun ein Katz-und-Maus-Spiel, das den Nutzern sogar noch Spass mache, schreibt «Time».

Schockieren und Provozieren

Es gehe auf Plattformen wie 8chan nicht nur um Hass, schreibt «Time», sondern auch um Provokation und Aufmerksamkeit. Viele Nutzer würden Extremereignisse wie die Morde von Christchurch oder El Paso noch mit möglichst derben Sprüchen und ironischen Aussagen kommentieren, mit dem Ziel, andere zu schockieren und ein möglichst verrohtes Bild zu liefern. Für die Attentäter selber bietet das Forum eine Plattform für ihre Taten – sie erhalten hier ihre 15 Minuten Ruhm und können die Gleichgesinnten beeindrucken.

2017 hatte Cloudflare der Neonazi-Website Daily Stormer seinen Dienst gekündet. Die Website kam kurz darauf zurück, mit einem anderen Server-Schutz, und rühmt sich, nun mehr Nutzer als damals zu haben. Das Problem im Internet bleibt bestehen, und der Versuch, die Plattform auszuhebeln, machte sie für die Zielgruppe sogar noch attraktiver.

Im Fall von 8chan fiel der Cloudflare-Schutz um Mitternacht kalifornischer Zeit weg. Fünf Stunden später war die Seite aber bereits wieder erreichbar. In den USA dürften viele Nutzer den temporären Ausfall daher gar nicht einmal bemerkt haben.