Interview mit dem Bündner Gesundheitsdirektor«Wir werden eine Zertifikatspflicht im ÖV zumindest prüfen müssen»
Peter Peyer setzt sich als Regierungsrat für scharfe Corona-Massnahmen im Kanton ein. Denn er weiss: Der Countdown bis zum Start der Skisaison läuft.
Kein anderer Kanton rief so offensiv nach einer Ausdehnung der Zertifikatspflicht wie Graubünden. Sind Sie zufrieden mit dem Entscheid des Bundesrats?
Ja, das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Er ist auch bitter nötig – denn die Situation auf den Intensivstationen ist beunruhigend.
Sie stellten gar eine Zertifikatspflicht im öffentlichen Verkehr zur Debatte – und ernteten dafür Kritik von den Bergbahnen im eigenen Kanton. Halten Sie diesen Schritt weiterhin für angezeigt?
Wir werden eine Zertifikatspflicht im ÖV und in den Läden in den nächsten Monaten zumindest prüfen müssen. Im Moment steht die Massnahme nicht im Vordergrund. Aber je mehr Leute geimpft sind, desto kleiner ist das Verständnis dafür, wenn man beim Bahnfahren oder beim Einkaufen noch eine Maske tragen muss.
Warum nicht einfach warten, bis man die Maskenpflicht mit vertretbarem Risiko ganz aufheben kann?
Die Frage ist: Wie lange reicht die Geduld der Geimpften noch? Es ist nur verständlich, wenn diejenigen Menschen, die ihren Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie geleistet haben, ihr normales Leben zurückwollen. Und zwar ohne dass das Gesundheitssystem dadurch wieder an den Anschlag gerät.
«Ich trinke kein Bier mit Herrn Platzer.»
Kritiker reden von einer Zweiklassengesellschaft. Auch in Chur sind am Wochenende Corona-Skeptiker aufmarschiert. Warum sind Sie so sicher, dass die Bevölkerung hinter Ihrem harten Kurs steht?
Sehen Sie: Die Corona-Skeptiker ziehen von einem Kanton zum nächsten, das sind immer etwa dieselben Leute. Wenn ich mich auf der Strasse umhöre und die Meinungsumfragen konsultiere, dann komme ich eindeutig zum Schluss, dass die Mehrheitsmeinung eine andere ist. Ich höre immer wieder von Leuten, die Lokale meiden, weil sie sich zwischen Ungetesteten und Ungeimpften nicht sicher fühlen.
Der höchste Beizer, Casimir Platzer, bekämpft die Zertifikatspflicht an vorderster Front. Nun wurde bekannt, dass er selber nicht geimpft ist. Wenn Sie heute Abend ein Bier mit ihm trinken gingen: Was würden Sie ihm sagen?
Ich trinke kein Bier mit Herrn Platzer. Ich glaube nicht, dass er seiner Branche mit seiner Haltung einen Gefallen tut. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.
«Wenn wir ehrlich sind: Sehr viele Alternativszenarien gibt es nicht.»
Für die Tourismusdestination Graubünden steht viel auf dem Spiel. Wie nervös sind Sie, wenn Sie an die kommende Wintersaison denken?
Wir haben Ende August von hinten zu rechnen begonnen und gesagt: Uns bleiben noch hundert Tage bis Saisonstart. Was können wir noch tun, damit die Wintersaison möglichst unbelastet starten kann? Wir errechneten, dass sich im Kanton Graubünden bis dahin rund 800 Leute pro Tag impfen lassen müssen – ein vergleichbarer Effort ist selbstverständlich auch in den anderen Kantonen nötig. Ich bin zuversichtlich, dass das klappt.
Und wenn nicht? Mit welchen alternativen Szenarien arbeiten Sie?
Wenn wir ehrlich sind: Sehr viele Alternativszenarien gibt es nicht. Wenn die Zahlen bis Ende November nicht runterkommen, werden wir wieder über Kapazitätsbeschränkungen, Schliessungen und Terrassenverbote sprechen. Das will ich um jeden Preis vermeiden.
Graubünden machte sich in dieser Pandemie als Pionierkanton einen Namen – etwa bei den Massentests an Schulen. Woran tüfteln Sie derzeit?
Irgendwann sind alle Asse gespielt. Was sich bewährt hat, kann man allenfalls noch etwas optimieren und vereinfachen. Wir setzen beispielsweise stark auf Walk-in-Zentren und Impfbusse – die Leute wollen es so unkompliziert wie möglich. Auch Aufklärungsarbeit ist wichtig. Aber irgendwann muss man auch sagen: Wenn alle mithelfen, dann klappt es – sonst eben nicht.
Können Sie nachvollziehen, dass gewisse Kantone die repetitiven Tests in Schulen schon wieder beenden – oder gar nie welche angeboten haben?
Es steht mir nicht zu, das Pandemie-Management anderer Kantone zu beurteilen. Ich kann nur für das Bündnerland reden: Wir hatten nach den Sommerferien zwei grössere Ausbrüche an Schulen; seither testen wieder alle Schulen, weil erkannt wurde, dass regelmässiges Testen hilft, Ausbrüche rasch unter Kontrolle zu bringen.
In anderen Ländern bekommen Impfwillige Bratwürste oder Gutscheine. Ein Modell fürs Bündnerland?
Wir haben solche Ansätze geprüft, aber schliesslich verworfen. Die Leute müssen selber überzeugt sein, dass die Impfung wichtig ist. Darin unterstützen wir sie zum Beispiel mit Informationsangeboten. Dann braucht es keine Bratwürste.
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