Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Initiative für ein Tierversuchsverbot
«Wir sperren Menschen auch nicht grundlos ein»

Die Forschung argumentiere dogmatisch, sagt Markus Wild. 
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Die Initianten bezeichnen Tierversuche als «legalisierte Verbrechen». Was halten Sie von dieser Rhetorik?

Das ist als Zuspitzung aus der Sicht der Initianten verständlich. Sie argumentieren: Tieren wird Leid angetan, sie werden getötet, sie werden instrumentalisiert für Forschung, die dem Menschen dient. Die Initianten können sich sogar darauf berufen, dass die Bundesverfassung die «Würde der Kreatur» eigentlich schützt.

Sie sind mit den Initianten einverstanden?

Nein, die Rhetorik ist problematisch, weil sie Forscher als Verbrecher darstellt. Es gibt auch innerhalb der Forschung Fachleute, die kritisch und differenziert zu Tierversuchen stehen. Sicher gehen Forscher morgens nicht mit verbrecherischen Absichten ins Labor.

«Tierversuche sind rechtlich gesehen erlaubt und streng geregelt, aber ethisch hochproblematisch.»

Wenn es keine legalisierten Verbrechen sind - was dann?

Tierversuche sind rechtlich gesehen erlaubt und streng geregelt, aber ethisch hochproblematisch. Uns fehlt der gesellschaftliche Konsens darüber, was man mit Tieren machen darf und was nicht. Nicht zuletzt darum ist es falsch, von Verbrechen zu sprechen. Ich kann mir aber vorstellen, dass wir unseren Umgang mit Tieren rückblickend tatsächlich einmal als kriminell einstufen werden. Dabei denke ich aber weniger an die Forschung als an die landwirtschaftliche Nutzung.

Worin sehen Sie heute das Problem?

Was die Forschung angeht: Tiere sind einzig Mittel zum Zweck. Bei vielen Versuchen werden sie Stress ausgesetzt, müssen Schmerzen erleiden und werden häufig getötet; der direkte wissenschaftliche Nutzen ist dabei längst nicht immer gegeben. Und das sind nur jene Tiere, die in der offiziellen Versuchsstatistik auftauchen.

Sie spielen auf die Tiere an, die in der Zucht sterben?

Ja. Versuchstiere werden gezüchtet und viele genetisch transformiert. In der Zucht werden sehr viele Tiere getötet, etwa wegen des Überschusses an männlichen Tieren (Anm. d. Red.: Allein bei Mäusen waren es 2020 rund 600’000). Ich wünsche mir mehr Transparenz. In der Tierversuchsstatistik sollte auch die Zahl dieser getöteten Tiere ausgewiesen werden.

«Alle Wirbeltiere sind schmerz- und empfindungsfähig.»

Die Forschung hält die Versuche offenbar nicht für hochproblematisch, allein 2020 gab es Versuche mit über einer halben Million Tieren.

Nicht jeder Versuch ist gleich. Angenommen, wir wollen mehr über den Gartenschläfer wissen. Dann stellen wir Fallen auf, fangen ihn, markieren ihn und lassen ihn wieder frei. So erweitern wir das Wissen über seine Lebensweise, im besten Fall können wir ihn besser schützen. Solche Versuche sind sinnvoll. Problematisch wird es, wenn wir Tiere mit einer bestimmten Krebsart züchten, ihnen so in Versuchen Leid zufügen und sie hinterher töten müssen.

Was fühlen Versuchstiere?

Das hängt stark vom Tier und vom Versuch ab. Alle Wirbeltiere sind schmerz- und empfindungsfähig. Anders als Menschen können Tiere mit Schmerzen oft keinen Sinn verbinden. Man kann ihnen schwer erklären, dass es jetzt schmerzt und nachher wieder gut ist. Manche Tiere werden für Versuche von Artgenossen getrennt. Diese soziale Isolation stresst sie zusätzlich. Man muss Tiere gar nicht vermenschlichen, um ihren Schmerz nachvollziehen zu können.

Empfinden Tiere Schmerz gleich wie wir?

Schmerz ist ein komplexes Phänomen. Sicher ist aber: Alle Tiere, die Schmerzen empfinden, können ihn im Körper lokalisieren. Und sie versuchen, den Schmerz loszuwerden. Fische, die man trainiert, dass ihnen dabei Schmerzmittel helfen, nehmen einiges in Kauf, um diese Mittel im Aquarium zu finden. Wird der Schmerz heftig, werden Tiere appetitlos und können sich nicht mehr konzentrieren.

Viele Menschen sind überaus empathisch, wenn es um ihr Haustier geht, aber ziemlich emotionslos, wenn es um Versuchstiere geht.

Man will sich um jene kümmern, zu denen man eine Beziehung, für die man Verantwortung hat. Andererseits haben wir die Tendenz, Unangenehmes zu verdrängen.

Sollten wir lernen, mehr Empathie zu entwickeln auch für fremde Tierschicksale?

Wir sollten probieren, abstrakter über Tiere nachzudenken – so wie wir das beim Menschen schon gelernt haben. Egal, wie Menschen sind, was sie denken, woher sie kommen: Gewisse Dinge macht man mit ihnen nicht. Wir sperren sie nicht grundlos ein, wir schlagen sie nicht, wir töten sie nicht.

Wie wollen Sie diesen Denkprozess anstossen?

Der Prozess läuft bereits. Wir befinden am 13. Februar nicht nur über die Initiative für ein Tier- und Menschenversuchsverbot. Basel-Stadt darf darüber abstimmen, ob Primaten Grundrechte haben sollen, was ich persönlich befürworte. Bald kommt auf nationaler Ebene die Massentierhaltungsinitiative an die Urne. Die Zahl solcher Initiativen wird zunehmen, davon bin ich überzeugt.

Die Initianten kritisieren, Forschung an Tieren bringe kaum etwas. Die Körper von Tieren würden sich zu stark von jenen von Menschen unterscheiden.

Viele Forscher argumentieren gleichwohl mit dem Nutzen. Sie halten Tierversuche für gerechtfertigt, weil sie Informationen bringen, die zu Therapien, Medikamenten oder Impfstoffen führen oder das Grundlagenwissen erweitern. Das ist aber ein heikles Argument, als Wissenschaftler wäre ich sehr vorsichtig damit. Denn in der Tat führen viele Tierversuche nicht zum angestrebten Erkenntnisgewinn oder zu Fehlschlüssen.

Sehen Sie überhaupt ein gutes Argument, das für Tierversuche spricht?

Wir haben eine Hilfspflicht gegenüber Menschen. Wir dürfen weit gehen, um Menschen vor grossem gesundheitlichem Schaden zu bewahren. Diese Hilfspflicht kann man stärker gewichten als die Hilfspflicht gegenüber Tieren. Aber auch bei dieser Argumentation ist Vorsicht geboten: Vielleicht könnten wir mit den gleichen finanziellen Mitteln, die heute in die Forschung mit Tierversuchen fliessen, anderswo effizienter helfen, etwa im globalen Süden.

«Unsere Übermacht über Tiere ist so gross wie noch nie.»

Wie würden Sie unser Verhältnis zu den Tieren beschreiben?

Historisch gesehen ist der Befund eindeutig: Es ist eine Beziehung der Dominanz. Und diese Dominanz wächst laufend: Tierarten sterben im grossen Umfang aus, wir erzeugen mehr Nutztiere, als es wild lebende Säugetiere und Vögel gibt.

Der Mensch sei moralisch verpflichtet, seine Talente zugunsten aller Geschöpfe einzusetzen: Haben die Initianten recht?

Ja. Unsere Übermacht über Tiere ist so gross wie noch nie. Wir sollten einen Schritt zurücktreten und uns fragen: Ist es wirklich notwendig, so viele Tiere für unsere Zwecke zu verbrauchen?

Die Initiative will aber die Versuche verbieten, nicht deren Zahl reduzieren – ein Fehler?

Es macht Sinn, Initiativen nicht so zurechtzustutzen, dass sie den Biss verlieren. Insofern macht auch die Verbotsforderung Sinn. Die Initiative hat auch schon Wirkung entfaltet: Der Schweizer Nationalfonds hat letztes Jahr ein Forschungsprogramm aufgegleist, das die 3R-Forschung vorantreiben möchte, also Tierversuche zu reduzieren, zu verbessern und zu ersetzen. Ich arbeite an diesem Projekt mit.

Sie unterstützen die Initiative?

Ich teile das Kernanliegen der Initiative, aber das Verbot halte ich für zu absolut. Sinnvolle Tierversuche, wie ich sie mit dem Beispiel des Gartenschläfers skizziert habe, sollten erlaubt sein. Zudem hätte ich die Menschenversuche nicht auch noch in die Initiative gepackt.

Was halten Sie von der Idee, nur die schwer belastenden Tierversuche zu verbieten?

Wir müssen diese Versuche zum Verschwinden bringen. Aus politischer Sicht wäre das ein guter Anfang, kombiniert mit der Förderung der 3R-Forschung. Wir müssen dazu mehr Geld in die Hand nehmen. Die Forschung argumentiert erstaunlich dogmatisch: Ohne Tierversuche gehe es nicht. Das mag sein. Trotzdem irritiert mich diese Haltung. Wo stünde die Forschung heute, wenn sie immer so abwehrend gegenüber Neuem gewesen wäre?

Wie erklären Sie sich diese Haltung?

Es gibt, gerade an Hochschulen, einen gewissen strukturellen Konservatismus: Hinter den Tierversuchen stehen gewachsene Strukturen und Investitionen, viele Forscher machen Versuche mit Tieren, ein Verbot träfe sie sehr direkt; das aufzubrechen, ist schwierig. Private Unternehmen sind bisweilen flexibler: Sie hinterfragen Tierversuche kritischer und wollen mehr Innovation.

Werden wir als Gesellschaft je einen Grundkonsens über den Umgang mit Tieren finden wie beim Menschen?

Ich bin verhalten optimistisch.