Interview mit dem Axpo-Chef«Wir haben das Ganze sehr à contre cœur gemacht»
Der Bund muss einen Milliarden-Rettungsschirm für die Axpo aufspannen. Konzernchef Christoph Brand erklärt, warum es nicht mehr anders ging.
Herr Brand, das Geschäft der Axpo läuft an sich gut. Trotzdem müssen Sie vom Staat gerettet werden. Können Sie uns bitte erklären, wie das möglich ist?
Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen tollen Job mit gutem Lohn und guten Aussichten. Aber mitten im Winter explodiert Ihnen die Heizung daheim. Die Versicherung wird Sie zwar irgendwann dafür entschädigen, aber vorerst müssen Sie das eigene Konto plündern, um den Schaden zu reparieren. Das heisst, Sie haben keinen Cash mehr, es geht ums nackte Überleben, obwohl Sie super Aussichten haben. Bei uns ist es genau so, einfach mit einem etwas längeren Zeithorizont, weil wir unseren Strom schon mehrere Jahre im Voraus verkaufen. Es ist kurzfristig wirklich eine ganz schwierige Situation.
Sie brauchten Geld, und zwar schnell. Warum haben Sie es sich nicht am Markt geholt?
Das haben wir schon längst gemacht. Wir haben in den letzten Monaten verschiedene Anleihen aufgelegt, wir haben von Banken Kreditlinien bekommen, und wir haben Geld aus unserem internationalen Geschäft eingesetzt. Aber es gibt immer eine Limite. Wenn es noch stärkere Verwerfungen bei den Strompreisen gegeben hätte, wären wir nicht mehr schnell genug nachgekommen. Nun haben wir den Kreditrahmen erhalten – bezogen haben wir aber noch keinen Franken.
Und warum haben Sie sich nicht von Ihren Eignern, also den Nordostschweizer Kantonen, retten lassen?
Die Kantone sahen sich ausserstande, in so kurzer Zeit so grosse Beträge zu organisieren, zumal auch keine Rechtsgrundlage besteht. Der Bund hat nun eine solche geschaffen.
Der Bund war Ihre letzte Hoffnung.
Heute gibt es in der Branche Tage, an denen für ein einzelnes Unternehmen über eine Milliarde Franken an Sicherheitsleistungen fällig wird. Aufgrund solcher Erfahrungen in den letzten Wochen haben unsere internen Risikosysteme Alarm geschlagen: Wenn es mit der Preis-Eskalation so weitergehen würde, dann gäbe es Szenarien, in denen wir nicht schnell genug Liquidität beschaffen könnten. Dieses Risiko dürfen wir nicht eingehen. Wir sind nicht irgendein Unternehmen, sondern wir gelten gemäss Bund für die Versorgungssicherheit der Schweiz als systemrelevant. So haben wir entschieden, den Kreditrahmen zu beantragen, in der Hoffnung, dass wir ihn nie brauchen.
Was würde konkret passieren, wenn Sie die Sicherheiten nicht erbringen könnten?
Ich will nicht gross in die Horrorszenarien gehen, aber trotzdem: Wenn wir unseren vertraglichen Verpflichtungen an der Börse nicht nachkommen könnten, würden wir vom Handel ausgeschlossen. Wenn das mehreren Unternehmen passiert, könnte ein Dominoeffekt mit Folgen für ganz Europa daraus werden.
Und dann würden bei Hunderttausenden Haushalten und Firmen die Lichter ausgehen?
Das muss nicht unbedingt sein. Aber das ist alles hypothetisch: Genau darum haben wir dieses unkontrollierbare Szenario ja verhindert.
Die Kreditbedingungen sind äusserst unattraktiv für Sie. Einverstanden?
Ja. Er soll auch unattraktiv sein, damit wir möglichst kein Interesse haben, den Kredit je zu beanspruchen, und falls wir ihn beanspruchen, ihn so schnell wie möglich zurückzahlen.
«Wir haben den ganzen Weg sehr à contre cœur gemacht. Es ist nicht gut, wenn man als Unternehmen einen Kreditrahmen des Staates beantragen muss.»
Bei der Swiss, deren Überleben trotz Kredit nicht garantiert war, waren es im Maximum 3,95 Prozent. Bei Ihnen könnte der Zins maximal 11 Prozent betragen. Das ist für eine Firma, die ziemlich garantiert überleben wird, sehr hoch.
Unsere Situation ist nicht vergleichbar mit jener der Swiss ab 2020 oder der UBS 2008. Wir kriegen das Geld, das wir möglicherweise vom Bund brauchen werden, zurück, sobald wir den Strom geliefert haben – es ist kein Problem des Businessmodells. Es ist mir hundertmal lieber so als andersrum.
Trotzdem: Ein Unternehmen, das gegründet wurde, um sich im freien Markt zu behaupten, rennt zum Staat. Das ist ordnungspolitisch schwierig.
Ich kann dem nicht widersprechen. Wir haben den ganzen Weg sehr à contre cœur gemacht. Es ist nicht gut, wenn man als Unternehmen einen Kreditrahmen des Staates beantragen muss. Aber eben: Es gibt Staatshilfen und Staatshilfen. Ich würde ganz anders hier sitzen, wenn wir fatale Fehlinvestitionen getätigt oder Geld verspekuliert hätten. Aber das ist nicht der Fall. Die Angestellten machen einen super Job, dem Unternehmen geht es gut.
Sie haben im letzten Geschäftsjahr knapp die Hälfte Ihrer Einkünfte in Form von Boni verdient, nämlich 600’000 Franken. Die Kreditbedingungen sehen kein Verbot von Boni vor. Verzichten Sie trotzdem darauf?
In der Verordnung zum Rettungsschirm steht drin, was drinsteht. Aber das ist das Allerletzte, über das ich mir im Moment Gedanken mache. Ausserdem wird das vom Verwaltungsrat festgelegt, nicht von mir.
Durch Ihren heutigen Schritt haben Sie gezeigt, dass spezielle Zeiten spezielle Massnahmen erfordern. Haben Sie damit die Büchse der Pandora geöffnet, was auch Forderungen an die Stromkonzerne angeht, Stichwort Übergewinnsteuern?
Alle diese Forderungen liegen sowieso schon auf dem Tisch. Dass interessierte Kreise versuchen, das politisch auszuschlachten, ist klar. Aber ich sehe keinen inhaltlichen Zusammenhang zwischen den Dingen.
Was spricht gegen eine Übergewinnsteuer?
Wenn ein Unternehmen mehr Gewinne als üblich macht, zahlt es auch mehr Steuern. Zudem ist es sehr schwierig, zu definieren, welcher Teil der Gewinne genau ausserordentlich sein soll. Mit solchen Aktionen würde man die Investitionsbereitschaft kaputtmachen, an der die Branche sowieso schon leidet.
Machen Sie dieses Jahr überhaupt besonders viel Gewinn?
Wir werden unsere Zahlen für das laufende Geschäftsjahr im Dezember präsentieren. Aber den Strom, den wir aktuell produzieren, haben wir vor zwei, drei Jahren zu den tiefen Preisen von damals verkauft.
Dafür können Sie 2024 den Strom zum jetzigen Preis liefern.
Ja, aber erst dann, und auch nicht zu den aktuellen Höchstpreisen. Sicher ist: Unsere Kunden haben sich abgesichert und schauen sich die aktuellen Preise tiefenentspannt an.
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