Interview mit Kaffeehändler«Wir bringen Bauer und Röster direkt miteinander ins Geschäft»
Die Lieferketten im Kaffeehandel sind lang und oft intransparent. Raphael Studer, Chef der Schweizer Handelsplattform Algrano, will das ändern.
Herr Studer, drei Viertel des Welthandels mit Rohkaffee werden über die Schweiz abgewickelt. Was bedeutet die Ablehnung der Konzernverantwortungsinitiative für den Kaffeehandel?
Die Rückverfolgung von Rohkaffee in der traditionellen Handelskette ist aufwendig. Der Rohstoff wird auf dem Weg vom Kaffeebauern bis zum Röster mehrfach weiterverkauft, ohne dass das Produkt dabei veredelt würde. Die meisten Zwischenhändler kennen nur den Handelspartner unmittelbar vorher in der Lieferkette. Trotz Ablehnung der Initiative gilt: Der Konsument wählt täglich im Regal und in den Restaurants. Er kann Druck aufsetzen bezüglich Rückverfolgbarkeit und Transparenz.
Seit über 25 Jahren gibt es Labels wie jenes von Max Havelaar, die Mindestpreise für die Bauern garantieren. Reicht das?
Diverse Nachhaltigkeitslabels haben erreicht, dass Rohkaffee rückverfolgbar ist und Standards für Mensch und Umwelt eingehalten werden. Fair Trade garantiert zudem einen Mindestpreis von ungefähr 3 Franken pro Kilo Kaffee, während der Weltmarktpreis seit mehreren Jahren für die meisten Kleinbauern nicht kostendeckend ist. Diese Labels haben viel erreicht, aber die Lieferketten sind nicht verkürzt worden. Mit Algrano sind wir einen Schritt weiter gegangen und haben die Lieferketten neu definiert. Wir sorgen für Transparenz im Markt, indem wir Bauern und Röster direkt miteinander ins Geschäft bringen.
Wie kamen Sie auf diese Idee?
Einer unserer Mitgründer hatte für einen grossen Kaffeehändler ein Rückverfolgbarkeitsprojekt in Brasilien geleitet. Schon 2014 war ihm aufgefallen: Die Mehrheit der Kaffeebauern nutzte ein Smartphone. Die Bauern waren frustriert, keinen Kontakt mit dem Endkunden, dem Röster zu haben. Gleichzeitig realisierten wir, dass immer mehr Röster ihrer Kundschaft nicht einfach Allerweltskaffee anbieten wollten, sondern Spezialitäten mit einer authentischen Geschichte. Wir bauten deshalb eine Online-Handelsplattform, die dem Bauern einen Marktzugang verschafft und dem Röster die Kontrolle über Herkunft, Qualität und Preis seines Hauptrohstoffes gibt.
Wie verdienen Sie Geld damit?
Das Herzstück der Plattform ist, dass der Kaffeebauer und der Röster direkt miteinander kommunizieren können. Der Produzent bietet an, wie viele Säcke erntefrischen Rohkaffee er zu welchem Preis verkaufen will; der Röster bestellt ein Muster, meldet später seine Degustationseindrücke zurück, bringt Wünsche an und kauft beim Bauern ein. Durch diese Verkürzung der Lieferkette entsteht ein Dialog auf Augenhöhe. Sind die Bauern erfolgreich, sind wir es auch. Wir verdienen etwas, wenn ein Handel zustande kommt und die Handelsparteien Dienstleistungen bei uns beziehen.
Welche zum Beispiel?
Die Palette reicht von Versicherungen und Qualitätssicherung über Transport und Lagerverwaltung bis zu Finanzierungsdarlehen. All diese Kosten inklusive unserer Kommission sind transparent für beide Parteien ausgewiesen.
«Überall, wo Bauern ein Smartphone und eine 3G-Internetverbindung haben, können Lieferketten neu definiert werden.»
Erhalten die Bauern, die über Ihre Plattform Kaffee an Röster verkaufen, mehr Geld als jene, die den Rohstoff im Grosshandel absetzen?
Ja, der Kaffeepreis wird heute unter anderem von spekulativen Investoren getrieben, die liquide handelbare Produkte suchen. Da sind finanzielle Hebel im Spiel zum Leidwesen der Produzenten und Röster. Wir konnten mit unserem Geschäftsmodell, das sich nicht auf die Börsenpreise stützt, dafür sorgen, dass in diesem Jahr zwei Millionen Franken mehr an die Produzenten geflossen sind, als wenn diese an den Grosshandel verkauft hätten.
Wie gross ist fünf Jahre nach Lancierung der Handelsplattform Ihr Marktanteil im Milliardenbusiness Kaffee?
Wir schätzen, dass rund 2000 Schiffscontainer mit Spezialitätenkaffee jeden Monat in Europa eintreffen. Wir wollen diese Nische, in der jedes Jahr rund eine Milliarde Franken umgesetzt wird, verändern. Über unsere Plattform werden derzeit rund 150 Schiffscontainer Kaffee pro Jahr gehandelt. Bei den kleinen Röstern und den ambitionierten lokalen und nationalen Röstereien gewinnen wir jede Woche mindestens zwei neue Kunden dazu. Die grossen multinationalen Röster decken sich eher im Grosshandel ein. Aber viele von ihnen suchen die Zusammenarbeit mit uns für qualitativ hochwertige Nischenprodukte.
Das heisst: Auch ohne Ja zur Konzernverantwortungsinitiative wird der Kaffeemarkt transparenter?
Ja, der technologische Fortschritt hat in den letzten zehn Jahren neue Möglichkeiten geschaffen. Überall, wo Bauern ein Smartphone und eine 3G-Internetverbindung haben, können Lieferketten neu definiert werden. Das Konzept der Rückverfolgbarkeit geht immer von langen, komplizierten Lieferketten aus, wie wir sie seit vielen Jahrzehnten kennen. Aber diese Handelsketten können drastisch verkürzt werden, wenn eine genügend grosse Zahl von Konsumenten und Röstern das will.
Und wer kontrolliert die über 300 Kooperativen und unabhängigen Kaffeeproduzenten aus 13 Ländern, die ihren Kaffee auf Ihrer Plattform anbieten?
Alle Verkäufer auf Algrano wurden durch unser System verifiziert, die Rohkaffeequalitäten der Verkäufer sind durch externe und interne Labors geprüft. Die Mehrheit der Produzenten ist zudem mit einem Nachhaltigkeitslabel zertifiziert, was Transparenz zur Anbaupraxis schafft. Immer öfter passiert es, dass Röster ihre bevorzugten Produzenten, die sie von Messen, Reisen oder Social Media kennen, selber auf die Plattform einladen.
Mathias Morgenthaler war Wirtschaftsredaktor bei Tamedia und ist heute als Autor, Coach und Referent tätig. Er ist Autor der Bestseller «Aussteigen – Umsteigen» und «Out of the Box» und Betreiber des Portals www.beruf-berufung.ch
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