Kommentar zu Zürich als Tech-MetropoleWillkommen in San Franzürich
Internationale Techfirmen drängen nach Zürich und schaffen Arbeitsplätze. Das birgt auch Gefahren, wie das Beispiel von San Francisco zeigt.
Die News zu Techfirmen reihten sich in den letzten Monaten wie in einem Nachrichtenticker: ++ Facebook verdoppelt seine Zürcher Belegschaft von 150 Mitarbeitenden auf 300. ++ Zalando zieht mit 150 jungen Software-Entwicklern in den Prime Tower ein ++ Google bezieht Gebäude in der Nähe des Paradeplatzes ++
Fast alle Alphamarken der digitalen Welt haben mittlerweile einen Sitz in Zürich. Die Stadt scheint sich gerade von einer Banken- zu einer Techmetropole zu wandeln. Diese These ist steil, doch sie wird von mehreren Branchenkennern gestützt, mit denen diese Zeitung sprach. «Die Nachfrage von Techfirmen für Büros in den Kreisen 1, 2 und 5 hat markant zugenommen», sagt etwa Maklerin Natalia Ignatova von der Firma SPGI Zürich.
Ein neues Silicon Valley entlang der Limmat? Wird das reiche Zürich jetzt noch reicher? Klingt aufregend und beängstigend zugleich. Zürich ist immer noch auch eine Stadt für Normalos. Für Menschen, die Facebook oder Google zwar auf ihrem Handy schätzen, aber nicht unbedingt als neue Nachbarn, weil sie sich keine weitere Mieterhöhung leisten können.
Eng verbunden mit ETH
Die Techfirmen sind gekommen, um zu bleiben. Das Beispiel Microsoft zeigt, wie verwoben die Grosskonzerne mit den hiesigen Institutionen bereits sind. Der Konzern bezog letztes Jahr an der Talstrasse 9 seinen zweiten Standort in Zürich. Mitten im Bankenviertel, zwischen Paradeplatz und Baur au Lac. Auf den 600 Quadratmetern Bürofläche werden jedoch keine Finanzgeschäfte mehr getätigt, sondern 3-D-Brillen und Roboter entwickelt.
Der Direktor des «Microsoft Mixed Reality and AI Lab» an der Talstrasse steht zugleich als Professor auf der Gehaltsliste der ETH Zürich. Studierende der ETH werden von jenen unterrichtet, die später auch ihre Arbeitgeber sein könnten. Ähnliche Zusammenschlüsse mit der Hochschule haben auch Firmen wie IBM, Google und Disney Research, wie die Hochschule auf Anfrage bestätigt.
So kommen die Techfirmen an die Quelle ihrer wichtigsten Ressource: Fachkräfte. Diese sind jung, gut gebildet, international und haben Aussicht auf hohe Löhne: 120’000 bis 150’000 Franken als Einstiegslohn bei Google ist überaus grosszügig. Da freuen sich nicht nur die Hochschulabgänger, sondern auch die Coiffeurs, Restaurant- und Shopbesitzerinnen, bei denen das Geld anschliessend ausgegeben wird.
Überspitzt gesagt profitieren wir alle: Die Angestellten der Techfirmen sind gute Steuerzahler.
Sollen nun alle Zürcherinnen einen Champagner öffnen und die Techies umarmen? So einfach ist es nicht, wie der Blick nach San Francisco zeigt. Die Nähe zum Silicon Valley hat der Stadt in vieler Hinsicht nicht gutgetan.
Techies wollen in der Stadt wohnen, während sich der klassische Banker am Feierabend eher in das Haus am See zurückzieht.
In San Francisco wütet seit über einem Jahrzehnt eine «housing crisis». Das benachbarte Silicon Valley lockte Abertausende Software-Entwickler an und machte sie zu Grossverdienern. Viele von ihnen wollen eine schöne Stadtwohnung. Selbst nach einem Corona-Knick hat San Francisco die zweitteuersten Mieten der Welt. Gemäss einem jährlich erscheinenden Index der Deutschen Bank (DB) kostet eine 3-Zimmer-Wohnung umgerechnet durchschnittlich 3664 Franken Monatsmiete. Nur Hongkong ist in dieser Hinsicht noch teurer. Menschen, die keine sechsstelligen Jahreslöhne haben, können sich das Wohnen in der Stadt kaum mehr leisten.
Mit dem Reichtum ist die Stadt langweiliger geworden. Das zumindest sagen Techmitarbeiter dem «Guardian». Die Erklärung: zu viele Menschen aus der gleichen sozioökonomischen Schicht. Sprich: zu viele Reiche.
Städte sind darum spannend, weil in ihnen Menschen mit verschiedensten Hintergründen zusammenkommen. Durch die Vielfalt entsteht «urbane Authentizität». Die Verteuerung drängt gewisse Herstellerinnen dieser Authentizität aus der Stadt. Übrig bleiben diejenigen, die lebendige Städte mögen, aber wenig dazu beitragen können. Sie arbeiten ja ständig.
Fortschreitende Gentrifizierung
San Francisco ist ein Extremfall, mit Zürich nur begrenzt vergleichbar, die Voraussetzungen sind völlig anders. Aber gewisse Tendenzen zeigen sich auch hierzulande. Die Mieten gehen hoch. Leerkündigungen häufen sich. Gemäss DB-Index liegt Zürich bei den teuersten Mieten auf Rang sechs, also nicht weit hinter San Francisco. Der grösste Unterschied: In Zürich ist gut ein Viertel der Wohnungen gemeinnützig, was den Extremfall vielleicht verhindern lässt.
Man könnte nun sagen: In Zürich ist das nichts Neues. Hier gibt es schon sehr lange sehr viele Menschen mit sehr viel Geld.
Stimmt. Doch es gibt einen Unterschied. Die neuen jungen ICT-Fachkräfte schätzen tendenziell die Urbanität. Sie wollen in der Stadt wohnen, während sich der klassische Banker am Feierabend eher in das Haus am See zurückzieht. Das kann zu einer Monokultur führen, die sich in supergentrifizierten Strassenzügen in den Kreisen 3, 4 und 5 gut beobachten lässt und über die in San Francisco geklagt wird. Daran sind längst nicht nur die Techies schuld. Aber sie tragen zu dieser Entwicklung bei.
Es ist richtig, dass Zürich die Techfirmen mit offenen Armen empfängt. Die Politik muss jedoch aufpassen, dass bei der Transformation zur Techmetropole alle miteinbezogen werden – nicht nur die neue Elite.
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