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Emily oder Wednesday?
Wie zwei Erfolgsserien unseren Umgang mit dem Smartphone hinterfragen 

Lily Collins als dauerpostende Amerikanerin Emily Cooper in «Emily in Paris».
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Auf den ersten Blick haben sie ausser ihrer Ponyfrisur wenig gemeinsam, die zwei Serienheldinnen dieser Tage. Nur unglaublich erfolgreich sind sie beide: Die Horrorkomödie «Wednesday» hatte Netflix zufolge mit mehr als einer Milliarde Streamingstunden weltweit bereits in der ersten Woche die Rekordzuschauerzahlen der Erfolgsserie «Stranger Things» erreicht. Und die Sightseeing-Romcom-Serie «Emily in Paris» stand mit ihrer dritten Staffel wieder wochenlang in den Netflix-Top-Ten, eine vierte ist schon geplant. Den, wie immer bei «Emily», vernichtenden Kritiken zum Trotz.

Und doch gibt es noch eine Sache, die Horror und Romcom verbindet. Beide Serien thematisieren den Umgang mit dem Smartphone und nutzen ihn, um einiges über die Gegenwart zu erzählen. Wie man heute in sozialen Zusammenhängen existiert, lässt sich offenbar vor allem damit illustrieren, ob und wie man ein Handy nutzt: dauernd, affirmativ und unhinterfragt wie die fleissige, gefallsüchtige Marketingfachfrau Emily. Oder gar nicht, voller Verachtung für die sklavische Hingabe an Technologien der Vernetzung wie die radikale Einzelgängerin und Misanthropin Wednesday, die ja auch selbst eine Wiedergängerin aus weniger digitalisierten Zeiten ist – ihren ersten Auftritt hatte die Figur als Tochter in den «Addams Family»-Filmen der Neunzigerjahre.

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Was tun also die beiden jungen Frauenfiguren bei Netflix? Die eine, und zwar die ältere, Emily, wuselt als übermotivierte amerikanische Arbeitsbiene durch ein kulissenhaft schönes Paris, trägt verzweifelte Designer-Outfits und macht auch sonst alles auf sehr amerikanische Weise falsch: Sie joggt, kommt pünktlich zur Arbeit und sagt mit bemerkenswert wenig Zähneknirschen Dates mit schönen Männern ab, weil sie am nächsten Morgen eine Powerpoint-Präsentation halten muss.

Was die Massstäbe amerikanischen Highperformer-Lebens angeht, ist sie überangepasst. Emily, versuchen die Franzosen ihr vergeblich klarzumachen: So klappt das nie. Jedenfalls nicht mit dem Savoir-vivre.

Emilys Paris ist ein einziger Instagram-Feed voller Kopfsteinpflastersträsschen, Parkbänken und Caféterrassen. Das Interessante daran ist, dass die Serie nicht nur formal an die Ästhetik leicht konsumierbarer Social-Media-Bilder erinnert. Sie macht auch auf der Erzählebene die Weltwahrnehmung durch das Smartphone zum bestimmenden Element.

Das Handy ist ein bestimmendes Element in der Erzählung: Szene aus «Emily in Paris» mit eingeblendeten Chatnachrichten.

Das Smartphone ist immer dabei und ständig im Bild. Emily filmt und fotografiert dauernd damit. Sie postet, bekommt Likes, deren steigende Zahl oft sogar eingeblendet wird. Man sieht, wie sie sich danach besser fühlt und selbstbewusster Entscheidungen trifft. Im Lauf der ersten Staffel wurde sie mit ein paar hübschen Fotos von Croissants zur erfolgreichen Influencerin. The American Dream in Paris. Und man sieht, wie abhängig sie in jedem Bereich ihres Lebens von positivem Feedback ist.

Schon Baudrillard erklärte, dass nichts ausserhalb seiner Repräsentation existiert.

Es geht noch weiter. In einer Folge der dritten Staffel plant Emily eine Marketingaktion für ein Unternehmen, ein Paar soll sich an einem romantischen Ort in Paris einen Heiratsantrag machen, live gefilmt. Vorher besucht Emily mit dem angehenden Bräutigam ein paar besonders Instagram-taugliche Plätze. Das reale Leben wird in Hinblick auf seine Verwertbarkeit in den sozialen Medien geplant. Auch wenn die echten Franzosen sich über die Klischeehaftigkeit der Serie mokieren – zumindest einer hätte an «Emily in Paris» seine wahre Freude gehabt: Jean Baudrillard, der in seiner Simulationstheorie aus den Siebzigerjahren erklärte, dass nichts Reales mehr ausserhalb seiner eigenen Repräsentation existiere. Paris ist also genau das, was auf Instagram von der Stadt zu sehen ist – und nicht mehr.

Es überrascht nicht, dass diese quietschsauber geputzte Version der Stadt von Darren Star entwickelt wurde, dem Schöpfer von «Sex and the City». Aber «Emily in Paris» ist ein Geschöpf – oder eher ein Monster – der Gegenwart. Die Form von Eskapismus, die die Serie bietet, ist neu, weil sie den Zuschauer eben gerade nicht mit aller Macht der Fiktion in ihre Welt hineinzieht. Die Story so dünn wie eine Schicht Croissant-Blätterteig, die Charaktere so greifbar wie ein Wölkchen Parfüm. In seiner Monotonie, den geringen dramatischen Ausschlägen scheint «Emily in Paris» geradezu zu schreien: Es ist okay, wenn du nebenbei auf dein Handy schaust.

Der Drang wird übergross, Emilys Smartphone in die Seine zu werfen.

Im «New Yorker» stand schon nach Staffel eins ein Essay, der «Emily in Paris» zu einem neuen, aber eigentlich altbekannten Genre von Fernsehunterhaltung erklärte: zu Ambient-TV. Etwas, das man im Hintergrund laufen lässt, während man irgendetwas anderes tut. Früher wäre das Bügeln gewesen. Heute ist es Smartphonescrollen. Wenn man zwischendurch aufblickt, steckt Emily immer noch in lustigen Kleidern und einem vorhersehbaren Liebesdreieck.

Und doch: Eine ganz subtile Kritik an Emilys Hyperaffirmation kann man in der Serie zumindest vermuten. Denn anders als in «Sex and the City» ist Emily nicht als ungebrochen positive Identifikationsfigur gemeint. Alle wollten wie Carrie Bradshaw sein. Aber man will um Gottes willen bloss nicht sein wie Emily, diese grossäugig-naive, immer leistungsbereite, aber seelenlose Audrey Hepburn des Digitalkapitalismus. Spätestens nach ein paar Folgen wird der Drang übergross, ihr Smartphone in die Seine zu werfen. Unerreichbar für ihre Chefin und abgekoppelt von der Likesammelmaschine Instagram. Ein Vorbild ist Emily nicht.

Traumtochter jedes bildschirmskeptischen Bildungsbürgers: Wednesday Addams.

Die andere Serienheldin dieses Winters hat da schon mehr Potenzial. Wednesday Addams ist das andere Extrem: Ein Teenager der Gegenwart, der völlig ohne Smartphone lebt. Ein schwarz gekleidetes Goth-Girl, misanthropisch, selbstgenügsam und abweisend. «Ich will kein Sklave digitaler Technologien sein», sagt sie.

Ihre Mutter drückt ihr zum Abschied vor dem neuen Internat ein Köfferchen mit einer Kristallkugel in die Hand, damit sie im Notfall Kontakt aufnehmen kann. Ansonsten treibt Wednesday zwar einigen Schabernack – gleich zu Beginn wirft sie zum Beispiel einen Schwarm Piranhas ins Schwimmbecken ihrer Schule. Aber andererseits ist sie auch die Traumtochter jedes bildschirmskeptischen Bildungsbürgers: Spielt im Mondschein Cellosonaten, tippt Romane in eine altertümliche Schreibmaschine und hat Italienisch gelernt, um Machiavelli im Original lesen zu können.

Wednesday gilt als Freak, weil sie keine Textnachrichten verschickt.

Ihre Weigerung, ein Smartphone zu benutzen (in einer Szene sieht man sie sogar in einer Telefonzelle!), nutzt die Serie als Kern einer Charakterzeichnung der maximalen Verweigerung. In einer Gemeinschaft von Aussenseitern wie der von Wednesdays Schule Nevermore, zu der Meerjungfrauen gehören, Werwölfe und Telekinetiker – ist sie der «Freak», weil sie kein Tiktok-Konto hat und keine Textnachrichten verschickt.

Eine stärkere Absage an die Gesellschaft ist nicht mehr vorstellbar. Wo Emily Cooper ohne Unterlass die Bestätigung ihrer Chefinnen, Kollegen, Kunden und Liebhaber sucht, könnte es Wednesday Addams nicht egaler sein, was andere über sie denken.

Allerdings: Ihr Coming-of-Age besteht dann doch darin, in der Gesellschaft anzukommen. Weniger unbarmherzig zu anderen zu sein, ohne sich dabei selbst zu verraten. Dass sie darin im Lauf der ersten Staffel Fortschritte gemacht hat, soll schliesslich eine Szene beim Abschied vor den grossen Ferien zeigen. Da überreicht ein Mitschüler – und Verehrer – ihr ein schwarzes Kistchen. Und was ist drin? Natürlich ein Smartphone.