Nervosität im globalen FinanzsystemHat ein Twitter-Sturm die CS in den Abgrund gerissen?
Finma und Credit Suisse geben Gerüchten auf sozialen Medien die Mitschuld für die Abwärtsspirale der Bank. Jetzt breitet sich eine Debatte um «Twitter-Panik» aus.
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Eine Leidensgeschichte endet mit einem «historischen und traurigen Tag», wie Credit Suisse-Chef Axel Lehmann den gestrigen Sonntag beschrieb. Die Übernahme durch die UBS ist beschlossene Sache. Der Vertrauensverlust in die CS war zu gross. Was am Sonntagabend, als der Bundesrat mit den Bank-Spitzen vor die Medien trat, überraschte, war jedoch eine mehrfach erwähnte Begründung: Ein Twitter-Sturm vom letzten Herbst.
Lehmann erwähnte diesen als Mitschuldigen für den Untergang der Grossbank. Und auch Marlene Amstad von der Bankenaufsicht Finma erklärte, Gerüchte auf Twitter hätten die bereits geschwächte Credit Suisse damals durch noch mehr Liquiditätsabflüsse belastet. Fakt sei, «dass das am Anfang stand und weitere Spiralen gezogen hat».
Was war damals passiert?
Im Zentrum des Sturms stand ein internes Memo von Bankchef Ulrich Körner. Dieser wollte die krisengeplagten Mitarbeitenden am ersten Freitag im Oktober mit folgenden Worten beruhigen: «Ich hoffe, dass Sie unsere tägliche Kursentwicklung nicht mit der starken Kapital- und Liquiditätsposition der Bank verwechseln.» Damit löste er das Gegenteil aus.
Anlegerinnen und Anleger waren zutiefst verunsichert. In den sozialen Medien verbreiteten sich Gerüchte um einen möglichen finanziellen Kollaps der Grossbank. Sogar der amerikanische Starökonom Nouriel Roubini schaltete sich damals auf Twitter ein – was dank seinem Übernamen Dr. Doom («Doktor Untergang») umso mehr Unruhe stiftete.
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Am Montag darauf verlor die ohnehin schon tief gesunkene CS-Aktie noch einmal fast 10 Prozent an Wert. Wer hinter dem Twitter-Sturm gesteckt haben könnte, darauf wollte die Finma am Sonntag nicht darauf eingehen. Amstad betonte aber, dass die CS die Oktober-Krise überstanden habe, weil die «Too big to fail»-Regulierung strenge Liquiditätsanforderungen stelle - zudem habe die Finma diese Anforderungen zusätzlich spezifisch auf die Banken zugeschnitten erhöht.
Die Hektik auf Twitter hat nicht nur der Credit Suisse zugesetzt. In den USA sind sich Analysten einig: Heftige Reaktionen in den sozialen Medien beschleunigen die Unruhen an den Finanzmärkten.
Panik-Reaktionen und sekundenschnelle Geldabflüsse
Auch die Silicon Valley Bank (SVB) aus Kalifornien gibt Twitter-Eskapaden die Mitschuld für ihren Untergang. Jene Bank, die mit ihrem Kollaps vor eineinhalb Wochen einen Flächenbrand ausgelöst hat.
Die Bank war rasant gewachsen und hat die Folgen der Zinswende völlig falsch eingeschätzt. Erste Anzeichen dafür gab es bereits Mitte Januar. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter machten Investoren auf finanzielle Probleme bei der SVB aufmerksam. Die Meldungen wurden zigfach retweetet, verbreiteten sich im Silicon Valley wie ein Lauffeuer. Im Februar dann ging ein Newsletter eines amerikanischen Finanzanalysten viral, der auf die stark fremdfinanzierten Vermögenswerte der Bank hinwies – und Risikokapitalgeber aufschreckte.
Daraufhin rieten einflussreiche Kapitalgeber ihren Unternehmen, ihr Geld von der Bank abzuziehen. Was im Gegensatz zur Finanzkrise im Jahr 2008 heute via Internet und Smartphone in Sekundenschnelle möglich ist.
Der Chef einer grossen Investmentfirma schrieb etwa: «Wenn Sie Ihren Unternehmen nicht raten, das Geld abzuheben, dann machen Sie Ihren Job als Vorstandsmitglied oder als Aktionär nicht.» Oder ein anderer Tweet ging viral, darin schrieb ein Investor in Grossbuchstaben: «Sie sollten jetzt absolut entsetzt sein. Das ist die richtige Reaktion auf einen Bank-Run und eine Ansteckung.»
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Ein bekannter Investor warnte gar, dass am Montag ein Ansturm auf andere Banken beginnen würde, sollten die Behörden nicht schnell eingreifen und alle Einlagen garantieren. Der Tweet wurde 2500-mal geteilt.
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Im März kam es schliesslich zum Bank-Run: Panische Kundinnen und Kunden stürmten die Geldschalter. Die Silicon Valley Bank kollabierte. Der Kongressabgeordnete Patrick McHenry, der dem Ausschuss für Finanzdienstleistungen des US-Repräsentantenhauses vorsitzt, bezeichnete es als «den ersten durch Twitter ausgelösten Bank-Run».
Der Mensch ist nicht zum Anlegen gemacht
Wenn Kundschaft das Vertrauen in ihre Bank verliert und in Massen auf einmal ihre Einlagen abziehen will, spricht man auch von einem Bank Run. Nur: Je mehr Menschen ihr Geld abheben, desto unwahrscheinlicher wird es, dass die Bank die Abhebungen decken kann. Und das führt wiederum dazu, dass immer mehr Kunden auf die Bank zustürmen.
«Das war schon immer so: Anleger sorgen sich um ihr Erspartes», sagt der Wirtschaftspsychologe Christian Fichter. «Nur ist die Informationsbeschaffung heute viel schwieriger.» Der Forschungsleiter der Kalaidos FH in Zürich analysiert unter anderem Anlegerverhalten. Es seien heute zwar viel mehr anlegerrelevante Informationen verfügbar, auch dank den sozialen Medien. «Aber», so Fichter, «sie sind unzuverlässiger.»
Erst recht, wenn sie auf den sozialen Medien eine Eigendymanik entwickeln. «Das Problem ist, dass Inhalte auf Social Media nicht überprüft sind und auf Emotionen abzielen. Sonst finden sie keinen Anklang.» Geht es dann noch um emotional aufgeladene Themen wie Geld, führt das umso mehr zu panischen, unreflektierten Reaktionen.
Fichter nennt drei grundlegende Faktoren, die Kundinnen und Kunden dazu bewegen, ihr Geld von der Bank zu holen: Verlustangst, Gruppen- und Zeitdruck. Letzterer steige insbesondere durch die sich schnell verbreitenden Inhalte auf Twitter und Co.
«Eigentlich sind wir psychologisch nicht dazu gemacht, anzulegen», sagt der Wirtschaftspsychologe. «Wir sind gwundrig und können es nicht ausstehen, etwas zu verlieren.» Dabei sei bei Anlageentscheiden ein langfristiger Horizont wichtig.
Informationen müssen schneller und besser sein
Die Credit Suisse machte nicht nur im letzten Oktober Erfahrungen mit panischen Tweets. Am vergangenen Mittwoch riss die wichtigste Aktionärin, die Saudi National Bank, die CS-Aktie auf ihr Allzeittief. Ihr Präsident erwähnte bei einem Interview, kein weiteres Geld mehr in die Bank einzuschiessen. Das entsprechende Video verbreitete sich auf diversen sozialen Medien in der ganzen Welt.
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«Kommen solche Informationen an die Öffentlichkeit, wirkt sich das immer unmittelbar auf den Preis aus», sagt Sandro Ambühl, Assistenzprofessor für Verhaltensökonomie der Finanzmärkte an der Universität Zürich. Da in den USA einige Tage zuvor gerade zwei Banken zusammengebrochen seien, sorge eine Information wie jene des Grossaktionärs umso mehr für Unruhe. «Es kommt die Frage auf: Gibt es bei den anderen Banken wie der CS auch solche Probleme?»
Dass die sozialen Medien hauptverantwortlich für den Kurssturz sind, glaubt Ambühl nicht. «In den Finanzmärkten geht es immer darum, schneller und bessere Informationen als die anderen zu haben. Und diese verbreiten sich schon seit Jahrzehnten in Millisekunden.» Grosse, institutionelle Anleger hätten ihre Algorithmen, die Preisbewegungen sofort registrieren. «Sie erhalten ihre Informationen, bevor ein Video viralgeht.»
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