Revolutionäre Transfermarkt-AppWie Tinder – aber nur für Fussballprofis
Spielerberater sind zu Playern geworden im Weltfussball und verdienen selbst Millionen. Ein früherer deutscher Nationalspieler hat ihnen nun den Konkurrenzkampf angesagt.
Pini Zahavi geht Kaffee trinken, und die halbe Fussballwelt kriegt Schnappatmung. Es ist Sommerpause, und der Fussball kreist um ein Thema: den Transfermarkt.
Der Begriff Transfermarkt suggeriert, es würde sich um ein offenes Gebilde mit so dynamischen Konstrukten wie Angebot und Nachfrage handeln, aber dieser Eindruck stimmt längst nicht mehr. Dieser sogenannte Markt wird nur noch gesteuert von einer Handvoll mächtiger Berater und Agenturen. Wenn Zahavi neue Formulierungen für die Gefühlswelt seines Klienten Robert Lewandowski findet, dominiert das sämtliche Newsticker. Am Tod der Beraterlegende Mino Raiola hat sich mit einer irrtümlich frühen Verkündung die halbe Medienwelt verzettelt. Längst wird in öffentlichen Diskussionen über den Transfermarkt nicht mehr nur über Spieler gesprochen, sondern darüber, was deren Berater eigentlich wollen.
Nun gibt es einen Mann, der das ändern will. René Adler (37) war selbst Teil dieses sich immer weiter beschleunigenden Zirkus. Dieser Zirkus rast nach Ansicht Adlers aber gerade auf eine Wand zu, deshalb hat der ehemalige deutsche Nationalgoalie gemeinsam mit Daniel Schollmeyer, einem einflussreichen Personalberater für Juristen, die App «11Transfair» ins Leben gerufen. «Rudimentär gesprochen, sind wir eine normale Jobbörse, wie es sie in jeder anderen Branche auch gibt», sagt Adler, «da kann ein Fussballprofi ganz anonym sehen, was der Markt für ihn hergibt.»
Der Grundgedanke ist einfach: Spieler und Vereine erstellen in der App ein Profil und legen Parameter fest; erkennbar wird, wonach sie auf dem Transfermarkt suchen. Für Vereine können das klassische Leistungsdaten oder einfach Positionen sein, für Spieler zum Beispiel bestimmte Ligen oder Gehaltsvorstellungen. Auf Basis dieser Parameter wird zusammen mit einem Algorithmus, der die Leistungsdaten eines Spielers analysiert, ein «Matching Score» zwischen Spielern und Vereinen errechnet – also ein Wert, der anzeigt, wie sehr beide Parteien zusammenpassen.
Bis zu diesem Zeitpunkt bleiben alle Beteiligten in der App anonym: Der Spieler sieht beispielsweise nur, dass ein Team aus der Bundesliga zu ihm passen würde, nicht aber, welches. Wenn Spieler und Verein via App dann offiziell Interesse hinterlegen, werden die Identitäten enthüllt, und die Verhandlungen könnten beginnen. Seit einem Jahr ist die App nun auf dem Markt, mehr als 300 verifizierte Profis sind schon registriert. Die ersten Vertragsabschlüsse über die App sind gerade bestätigt worden.
Kann man mit so einem einfachen Konzept in so einem komplexen Gebilde wie dem Transfermarkt bestehen? «Man muss gewisse Dinge nicht verkomplizieren», sagt Adler. Intransparenz sei zu einem Geschäftsmodell geworden. Genau das Gegenteil soll seine Plattform verkörpern: Transparenz für jeden Profi.
«Es geht nicht um eine schnelle Nummer, sondern eine langfristige, stabile Beziehung.»
«Tinder für Fussballprofis» wurde die App aufgrund des ähnlichen Matching-Konzepts anfangs genannt. Wie Tinder funktioniert, dürfte auch in jeder Bundesligakabine bestens bekannt sein – wie ein komplex verschlüsseltes Beraterhonorar zustande kommt, dagegen weniger. Für den Anfang, sagt Adler, sei das Tinder-Image ganz nett gewesen, jetzt aber wolle er weg davon, weil es auch faktisch falsch sei: «Wir sind eher wie Parship oder Elite-Partner, weil du sagst: Es geht jetzt nicht irgendwie um eine schnelle Nummer, sondern wir wollen eine langfristige, stabile Beziehung aufbauen.»
Nun sind Fussballprofis in der Lage, ihre Aktivitäten auf Dating-Apps selbst zu regeln – genau das soll auch wieder in der Karriereplanung passieren. «Fussballer, und da schliesse ich mich selbst mit ein, werden im Lauf der Karriere zu einer totalen Bequemlichkeit erzogen. Das fällt vielen nach ihrer sportlichen Karriere auf die Füsse», sagt Adler. Wenn abseits des Kerngeschäfts auf dem Rasen viele Dinge an andere Leute abgegeben werden, verlieren viele Profis eben irgendwann den Überblick.
Andererseits wollen sich Profis durch soziales Engagement oder eine klare politische Haltung profilieren. Gut möglich also, dass Adlers Initiative gerade zur rechten Zeit kommt. Schliesslich hatten jüngst Weltstars wie Kevin de Bruyne oder Joshua Kimmich Schlagzeilen gemacht, weil sie ihre neuen Verträge selbst ausgehandelt haben.
So weit sind zweifelsohne noch nicht alle Spieler. An der Causa Lewandowski zum Beispiel könnte auch seine App nichts ändern, sagt Adler: «Die Top-Immobilie an der Alster siehst du auch nicht auf irgendwelchen Vermittlungsplattformen. Da gibt es nur eine ganz bestimmte Klientel, der die überhaupt angeboten wird.» Das gelte aber nur für eine Handvoll Elitespieler weltweit. Für die anderen will der ehemalige Nationalkeeper eine Orientierungshilfe bieten.
«Ein Zweit- oder Drittligaspieler ist für Beratungsagenturen oft nicht wirtschaftlich, in der Regionalliga kann eine seriöse Exklusivberatung gar nicht mehr wirtschaftlich sein. Betroffene Spieler fallen dann am Ende hinten rüber», sagt Adler. Auf dieser Ebene war er im vergangenen Jahr viel zur Akquise unterwegs, mit dem DFB sind Gespräche über eine Kooperation zwischen «11Transfair» und der dritten Liga weit fortgeschritten. Deren Vereine könnten Adlers App dann kostenlos nutzen – gemäss dem eigentlichen Geschäftsmodell müssen Clubs bei Abschluss eines Transfers die an den Fifa-Richtlinien orientierten drei Prozent des Bruttojahresgehalts eines transferierten Spielers an «11Transfair» zahlen. Für analoge Berater ist ein Salär von bis zu 15 Prozent üblich.
Kostendeckend ist Adlers Konstrukt noch nicht, gleichwohl setzt er grosse Hoffnung in die bevorstehende Transferperiode. «Das wäre schön, wenn ich schon gewisse finanzielle Sicherheiten geben könnte. Aber grundsätzlich bin ich der Meinung: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt», sagt Adler. Und wer ihm dabei zuhört, wie er über Dinge wie «Smart Money» oder «Revenues» spricht, der merkt, dass er sich wirklich mit Leidenschaft seinem Start-up verschrieben hat.
Den Berater komplett ersetzen soll «11Transfair» aber nicht. «Es wird immer einen Markt für Beratung geben, das ist auch wichtig», sagt Adler. Er wolle aber die extreme Dominanz im Bereich Vermittlung brechen. «Ich glaube, kein Berater dieser Welt kann so ein grosses Netzwerk haben wie eine Plattform, die skalieren kann.»
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