Leser fragenWie spreche ich meinen Nachbarn politisch korrekt an?
Die Antwort auf eine Frage zum Thema Rassismus.
Meine Frage ist kurz und bündig: Mein Nachbar heisst Mohr. Wie spreche ich ihn politisch korrekt an? R.B.
Liebe Frau B.
Wie wäre es mit «Herr Mohr»? Wenn Sie allerdings so richtig auf Krawall wider die politische Korrektheit gebürstet sind, können Sie ihn auch fragen, ob er gerne von Ihnen als «Herr Neger» apostrophiert würde. Aber was ist eigentlich so schwierig daran, anzuerkennen, dass es keine absolute und überzeitlich gültige Bestimmung dessen gibt, was in der Sprache als rassistisch oder sexistisch oder behindertenfeindlich (ableistisch) gilt, sondern dass dies vom Kontext abhängt, zu dem neben Sprechern und Sprechsituation auch ein sich verändernder Sprachgebrauch gehört?
In Schillers Drama «Die Verschwörung des Fiesco zu Genua» spricht «der Mohr» Muley Hassan selbst den meist falsch zitierten Satz «Der Mohr hat seine Arbeit getan; der Mohr kann gehen», nachdem er Fiesco über die Intrigen gegen diesen informiert hat und, statt eine Belohnung zu erhalten, zum Dank nur unwirsch ins Vorzimmer verbannt wird. Es besteht keinerlei Gefahr, dass dieses Stück aus vorauseilender politischer Korrektheit vom Spielplan gestrichen wird.
Wenn hingegen ein achtjähriger schwarzer Junge von seinen Schulkameraden als «Mohrenkopf» gehänselt wird, dann ist das so rassistisch wie die auf Twitter geteilte feixende Mohrenkopfmampferei von Andreas Glarner mit seinen Parteigschpönli Mauro Tuena und Stefanie Heimgartner. Und nein, es ist nicht dasselbe, als wenn die drei sich weisse Kapuzen übergezogen und in einem Vorgarten ein brennendes Kreuz aufgestellt hätten. Es ist mehr doof als bedrohlich.
«Nichts dabei zu denken»
Wenn Ihre Katze Negerli heisst, dürfen Sie sich vielleicht nicht wundern, wenn das in den Ohren von Gästen dunkler Hautfarbe befremdlicher klingt als bei denjenigen, die sich bei so etwas halt gar nichts denken. Sie können Ihren Hund «Mensch» nennen. Das ist lustig, und sehr schopenhauersch. Und wer weiss schon noch, dass auch Kurt Franz, der letzte Lagerkommandant von Treblinka, seinen «Barry» mit den Worten «Mensch, fass den Hund!» auf Häftlinge zu hetzen pflegte?
Die Unschuld ist immer auf Seiten derer, die sich «nichts dabei denken». Sich «nichts dabei zu denken» ist wirklich kein Verbrechen; es ist nur befremdlich, wenn man darauf beharrt wie auf einem verbürgten Menschenrecht. Das Leben ist voller Fettnäpfchen, und wir alle tappen hin und wieder in eines. Die gewöhnliche Reaktion ist, dass es einem peinlich ist. Die «Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen»-Reaktion besteht darin, sich trotzig von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen zu bewegen und das auch noch für den Ausdruck besonderer Bewegungsfreiheit zu halten. – Grüssen Sie übrigens Herrn Mohr von mir.
Der Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet Fragen zur Philosophie des Alltagslebens. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tagesanzeiger.ch
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