Energiekrise in der SchweizWie Sommaruga den Blackout verhindern will
Die Energieministerin plant einen «Rettungsschirm» für grosse Stromkonzerne. Wir beantworten die wichtigsten Fragen dazu.
Eingefädelt wurde das Geschäft unter höchster Geheimhaltung. Am frühen Morgen des Gründonnerstags kündigte die Bundeskanzlei überraschend eine Medienkonferenz von Energieministerin Simonetta Sommaruga (SP) an, Thema: «Stromversorgung».
Die konkrete Mitteilung hatte es schliesslich in sich: Um zu verhindern, dass grosse Stromkonzerne pleite gehen und dabei das ganze Land buchstäblich in die Finsternis stürzen, plant der Bundesrat einen «Rettungsschirm». Im Folgenden die wichtigsten Fragen und Antworten dazu.
Warum glaubt Sommaruga, der Strombranche helfen zu müssen?
Die angespannte Lage auf dem Energiemarkt hat Stromkonzerne europaweit in Bedrängnis gebracht. Die Preisausschläge seien «so stark, wie wir es historisch noch nie gesehen haben», erklärte Sommaruga an der Medienkonferenz. Der Bundesrat fürchtet «Kettenreaktionen» in Europa, die auch die Stromversorgung in der Schweiz gefährden könnten. Man müsse daher für den «Worst Case» vorbereitet sein, so Sommaruga - für den schlimmstmöglichen Fall also. Dieser wäre gegeben, wenn ein grosses Stromunternehmen nicht mehr über genügend Liquidität verfügte, um im Stromhandel mitmachen zu können. Beim Ausfall eines solchen Unternehmens könnte schlimmstenfalls die Stromversorgung im Land zusammenbrechen.
Bedeutet dies, dass uns akut ein Blackout droht?
Die Liquidität der Schweizer Stromkonzerne ist gemäss Aussagen an der Medienkonferenz im Moment gut. Auch sind die Rohstoffpreise aktuell nicht mehr ganz so hoch wie um Weihnachten oder in den ersten Tagen des Ukraine-Kriegs. Eine unmittelbare Blackout-Gefahr besteht wohl nicht. Doch solange der Krieg andauert, bleibt insbesondere der Gasmangel ein Problem, das sich durchaus noch verschärfen könnte.
Aber warum lanciert Sommaruga den Rettungsschirm gerade jetzt?
Die Idee für den Rettungsschirm entstand in einer Taskforce der Bundesverwaltung und der Elektrizitätskommission Elcom. Sommaruga setzte die Taskforce aufgrund der angespannten Situation bereits vor einigen Monaten ein. Im Raum stand insbesondere die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass beim Konkurs eines Stromunternehmens die Stromproduktion nicht ausfällt. Am Mittwoch nun hat der Bundesrat den Vorschlag mit dem Rettungsschirm gutgeheissen.
Wie würde der Rettungsschirm funktionieren?
Der Schirm solle «subsidiär» wirken, wurde an der Medienkonferenz mehrfach betont: Er käme erst zum Einsatz, wenn alle anderen Sicherheitssysteme versagt hätten – und nur bei «systemkritischen» Grosskonzernen. In erster Linie seien die Unternehmen und ihre Eigentümer gefordert, mit ihren Geschäftsmodellen grösstmögliche Sicherheit und Stabilität zu gewährleisten. Wenn kein anderer Ausweg mehr offen steht, würde der Bund einspringen und dem betroffenen Konzern mit Bürgschaften oder Direktdarlehen aushelfen. Die Bedingungen sollen laut Sommaruga «unattraktiv» sein, um Fehlanreize zu vermeiden. Geknüpft wäre die Hilfe unter anderem an verschärfte Transparenzvorschriften, eine «marktgerechte» Verzinsung, ein Dividendenverbot und die Verpfändung von Aktien.
Mit wie viel Geld ist der Rettungsschirm dotiert?
Die genaue Summe ist noch nicht bestimmt. Sommaruga rechnet mit einem Verpflichtungskredit von fünf bis zehn Milliarden Franken. Bestehen soll der Schirm für vier Jahre.
Sind bestimmte Stromkonzerne bereits jetzt in ernsthaften Schwierigkeiten?
Wie diese Zeitung enthüllt hat, bat der Alpiq-Konzern den Staat kurz vor Weihnachten um Finanzhilfe. Es soll dabei um rund eine Milliarde Franken gegangen sein. Alpiq erklärte später, das Gesuch «vorsorglich» eingereicht zu haben. Der Konzern zog es am 3. Januar wieder zurück. Aktuell liegen dem Bund keine weiteren Gesuche vor, wie Sommaruga erklärte. Sie verwies freilich auf Beispiele aus dem Ausland, etwa den Uniper-Konzern in Deutschland, der sich mit staatlichen Geldern die Liquidität sicherstellen liess.
Ist der Ukraine-Krieg die einzige Ursache der Energiekrise?
Der Ukraine-Krieg spielt eine massgebliche Rolle, da er die Versorgung Europas mit Gas und anderen Energieträgern gefährdet. Allerdings haben die politischen Spannungen im Osten bereits lange vor dem Kriegsausbruch am 24. Februar für Verwerfungen auf den Märkten gesorgt. Andere Faktoren kamen verschärfend hinzu: die stark gestiegene Nachfrage nach Gas und Kohle in Asien, Ausfälle französischer Atomkraftwerke und, in der Schweiz, eine ungeplant lange Revision des Atomkraftwerks Leibstadt.
Warum können hohe Strompreise für die Energiekonzerne zur ernsten Gefahr werden?
Stromproduzenten verkaufen ihren Strom lange im Voraus. Für die Absicherung der Stromproduktion hinterlegen sie an den Handelsplätzen finanzielle Sicherheitsleistungen. Steigen die Preise stark, kann das zu massiv höheren finanziellen Sicherheitsleistungen führen - und zu Liquiditätsproblemen.
Wie geht es mit dem Rettungsschirm jetzt konkret weiter?
Laut offiziellem Wortlaut «prüft» der Bundesrat den Schirm. Sommaruga will aber Ernst machen, wie sie klarstellte. Der Schirm soll in Form eines sogenannten dringlichen Bundesgesetzes eingeführt werden. Das bedeutet, dass Sommarugas Departement nun im Eiltempo eine ausformulierte Vorlage erarbeiten wird. Geplant ist eine kurze Vernehmlassung, und schon im Juni soll das Parlament das Gesetz verabschieden können. Ob es die Vorlage des Bundesrats unverändert übernehmen wird, ist offen. Die SP zum Beispiel hat bereits angekündigt, dass sie für Unternehmen, die auf den Rettungsschirm zugreifen, strengere Bedingungen fordern wird.
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