Dokument entlarvt Proud BoysWie sich die Aufwiegler des 6. Januar als Sicherheitstrupp inszenieren
Ein veröffentlichtes Dokument zeigt, wie die Proud Boys bei Märschen und Demonstrationen angeblich für Sicherheit sorgen. Sie fallen aber vor allem mit Gewalt und Frauenfeindlichkeit auf.
Ein vom britischen «Guardian» publiziertes Dokument zeigt erstmals, wie die rechtsextreme Gruppierung Proud Boys organisiert ist und welches Selbstverständnis die Männer haben. Sie sehen sich demnach als Sicherheitstrupp, welcher unbescholtene Bürgerinnen und Bürger vor Gewalttaten der Linken beschützt. Das Dokument zeigt die minutiösen Vorbereitungen auf einen Marsch der Trump-Fans, der für den 10. Januar 2021 in New York geplant war.
Auf 23 Seiten wird ein detaillierter Sicherheitsplan skizziert, für den verschiedene Teams und Beobachter im Einsatz sind. Verschiedene Bedrohungsstufen sind definiert und mit Codenamen benannt. Wird mit «Category I» das maximale Level von der Einsatzleitung per Funk ausgerufen, sollen beispielsweise sämtliche Teams sofort gemäss Anweisung einschreiten.
Die Teams bestehen meist aus vier «Brüdern» – so werden die Mitglieder der Proud Boys genannt. Sie werden an neuralgischen Punkten aufgestellt, um jederzeit reagieren zu können. Sie tragen persönliche Schutzausrüstung wie eine echte Einsatztruppe, dazu gehören im Fall von New York allerdings keine Schusswaffen, da das Tragen in der Stadt verboten ist. Es wird deshalb empfohlen, sich mit Messern und Pfefferspray zu bewaffnen.
Für die Teams sind vor dem Marsch gemäss Dokument zwei Begehungen der Route sowie vier weitere Treffen vorgesehen. Auch die genauen Posten der Beobachter werden im Detail besprochen. Im Einsatz ist auch ein medizinisches Team, und zumindest vorgesehen ist auch eine Kontaktperson bei der Polizei. Das alles zeigt, dass sich die Proud Boys selber als eigentliche Sicherheitsverantwortliche für die Kundgebung der Trump-Fans gesehen haben.
Neue Gewalt wird etabliert
Wobei sie die richtige Polizeiarbeit den offiziellen Behörden überlassen wollten. Während des Marsches gilt für die Proud Boys allerhöchste Zurückhaltung, heisst es im Dokument. Auf Beschimpfungen soll nicht reagiert werden, und es soll keine Gewalt von den Proud Boys ausgehen, wird mehrfach festgehalten. Die Teams kommen nur in den Einsatz, wenn jemand von den Teilnehmenden angegriffen wird oder sonst Gewalt ausbricht. Dann greifen die Proud Boys gemäss Dokument ein, um die Person zu schützen, bis die Polizei eintrifft. Wenn ein «Bruder» rotsieht und sich nicht mehr unter Kontrolle hat, soll er von den anderen zurückgehalten und in die hinterste Reihe versetzt werden. Hierzu folgt der Hinweis, dass zwei «Brüder» in New York im Gefängnis sitzen, weil sie zu weit gegangen sind.
Und das ist keine Ausnahme, wie US-Medien berichten, kommt es immer wieder zu Scharmützeln zwischen Proud Boys und Demonstrationsteilnehmenden. Es werde gerade eine neue Normalität der Gewalt an solchen Anlässen etabliert, schreibt der «Guardian». Die Gewalt geht dabei eher von den Proud Boys aus, so die Einschätzung von aussen. Die Gruppierung selbst sieht das etwas anders.
So wird beispielsweise selbst Manhattan in New York als gefährliches Pflaster für die «Brüder» betrachtet. Es werden Hotels in sicheren Quartieren empfohlen, man soll sich nur in Gruppen und ohne Erkennungsmerkmale in der Stadt bewegen. Am besten per Uber oder Taxi. Glaubt man dem Dokument, lauern an jeder Strassenecke Antifaschisten, die es auf die «Brüder» abgesehen haben. Frauen gibt es in den Reihen der Proud Boys übrigens keine, diese sollen sich auch während des Marsches nicht unter die Teams mischen, heisst es.
Analogien zu anderen Gruppierungen
Die Proud Boys werden mittlerweile nicht nur als rechtsextreme, sondern auch als zutiefst frauenfeindliche Gruppierung gesehen. Die «New York Times» vergleicht die Truppe mit dem Ku-Klux-Klan sowie der «American Protective League», einer Gruppe, die am Ende des Ersten Weltkrieges über 250’000 Mitglieder hatte. Wie die Proud Boys war diese Gruppe überall im Einsatz, wo es nach Gewalt roch, beispielsweise an Antikriegsdemos. Und nachdem Frauen anfänglich teilgenommen hatten, wurden sie bald ausgeschlossen.
Die «New York Times» erklärt, dass es schon um die damaligen Kriegsjahre einen Schub für die Frauen gab, sie übernahmen für die Männer an der Front viele Jobs, auch bei der Feuerwehr oder in anderen damaligen Männerdomänen. Und sie erhielten kurz danach das Stimmrecht. Die Mitglieder der «American Protective League» fühlten sich dadurch bedroht, analysiert die «New York Times», genau wie jetzt die Proud Boys durch die Folgen der Gleichberechtigung und die politische Korrektheit.
Einblick in das Wesen der «Brüder» gibt auch das neu erschienene Buch «We Are Proud Boys» von Andy Campbell, einem «Senior Reporter» der «Huffington Post». Campbell recherchiert schon seit 2017 in den Gefilden der Gruppierung, als diese noch kaum auf dem Radar der Öffentlichkeit war. Er beschreibt, wie Proud-Boys-Gründer Gavin McInnes durch Youtube Bekanntheit erlangte. Schon dort richteten sich die meisten seiner Hassmonologe nicht gegen Ausländer oder Demokraten, sondern zur grossen Mehrheit gegen Frauen. Er begann sich mit seinen Fans zu treffen, um über die «verlorene Maskulinität» zu zetern. Dabei wurde stets viel getrunken.
Ritterschlag von Trump
Die frustrierten Männer organisierten sich unter neuer Führung weiter zu lokalen, unabhängigen Abteilungen. Es gibt mittlerweile über 150 Untergruppen mit Tausenden Mitgliedern, Tendenz wachsend. Sie organisieren seither Kundgebungen, sichern Rallys von Donald Trump und anderen Republikanern oder bewachen die Aushängeschilder der extremen Rechten. Im Wahlkampf 2020 erhielten sie quasi den Ritterschlag, als sich der US-Präsident während eines Fernsehduells mit Joe Biden nicht von ihnen distanzierte, sondern die berühmten Worte «stand back and stand by» sagte – «haltet euch zurück und steht bereit».
Die Proud Boys interpretierten das als Aufforderung von höchster Stelle, sich auf einen Bürgerkrieg vorzubereiten. Nur wenige Monate später setzten sie ihr Vorhaben in die Tat um und organisierten den Sturm auf das Capitol mit. Gemäss dem Buch von Andy Campbell waren die «Brüder» die Ersten, die in das Gebäude eindrangen.
Ihr Hauptziel am 6. Januar 2021 war wiederum eine Frau, sie wollten unbedingt Demokratenchefin Nancy Pelosi in die Hände kriegen, für sie die Hassfigur schlechthin. Seither wurden über 40 Proud Boys zu Gefängnisstrafen verurteilt, darunter der Anführer und viele weitere Führungspersonen. Abgeschreckt hat das aber offenbar nicht. Aufgrund des Aufbaus in 150 autonom agierende, lokale Gruppen funktionieren die Proud Boys wie gehabt weiter. Und sie sehen sich mehr denn je als Verteidiger eines alten Amerika, das auch von Donald Trump immer wieder beschworen wird. Sie verbreiten die Theorie des «Grossen Austausches», dass also die Demokraten die Weissen in den USA durch Geflüchtete aus Mittelamerika ersetzen wollen. Und sie sehen sich akut bedroht durch Gleichberechtigung und Wokeness.
Spezielle Regeln für Aufstieg
Einblick in das Denken der Proud Boys bieten auch die vier Stufen, welche man in der Gruppierung erreichen kann. Zur höchsten Stufe führt nur eine politische Gewalttat oder eine Gefängnisstrafe, das ist quasi die höchste Ehrung für einen «Bruder». Der Beginn ist einfacher, es braucht für das erste Level nur einen Treueschwur. Danach wird es etwas komplizierter, Mitglieder der zweiten Stufe müssen beispielsweise schwören, nicht mehr als einmal im Monat zu masturbieren. So soll das Testosteron nicht verloren gehen, damit die Männer besser für den Erhalt der weissen Bevölkerung kämpfen können. Pornografie ist zudem verpönt und wird als Verschwörung gegen die Männer betrachtet, um sie schwach zu machen.
Während das der amerikanischen Öffentlichkeit noch egal sein könnte, sorgt die zunehmende Gewaltbereitschaft an zuvor friedlichen Veranstaltungen für Beunruhigung. Die privaten Sicherheitsteams der Proud Boys schreiten sofort handgreiflich ein, sobald es irgendwo Unruhe gibt, die selbst verordnete Zurückhaltung gelte oft nur auf dem Papier, schreibt auch Campbell in seinem Buch. Wo immer gegen oder für etwas protestiert wird, kommt es nun schnell mal zu Gewalt, wo Amerikaner andere Amerikaner angreifen. Es handle sich dabei um eine Normalisierung der politischen Gewalt, die ihm Sorgen bereite, sagt Campbell dem «Guardian».
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