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Wie Putin seine Verfassung schreibt

Ein Kreml-Ehrengardist mit der russischen Verfassung nach Wladimir Putins Wiederwahl im Mai 2018. Foto: Alexander Zemlianichenko (AP, Reuters)
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Nach Wladimir Putins grossem Überraschungscoup und der Entlassung der Regierung kristallisierten sich gestern vor allem zwei Erkenntnisse heraus. Der neue russische Präsident wird nicht mehr Wladimir Putin heissen. Und: Ebendieser Wladimir Putin wird 2024, wenn seine Amtszeit ausläuft, seine Macht nicht abgeben. «Die Rede Putins zeigt vor allem eins: Wie dumm und/oder verschlagen all jene sind, die sagen, Putin werde 2024 gehen», kommentierte Oppositionschef Alexei Nawalny.

Beim Erhalt der Macht soll Putin eine Revision der Verfassung helfen, auf die er vier Amtseide geschworen hat. Entstanden ist sie 1993 im erbitterten Kampf zwischen dem damaligen Parlament und dem ersten russischen Präsidenten, Boris Jelzin, der die Macht für sich allein beanspruchte. Schliesslich liess Jelzin mit Panzern auf das Parlament schiessen. Danach kapitulierten die Abgeordneten, und Russland bekam ein starkes Präsidialsystem nach amerikanischem und französischem Vorbild.

Russisches Recht geht vor

Diese Zeiten seien zum Glück vorbei, sagt Putin. Russland sei stabil, und es sei an der Zeit, die Verfassung dieser neuen Zeit anzupassen. Russland werde eine Präsidialrepublik bleiben, betonte er zwar. Doch die Verfassungsänderungen, die er in seiner Rede vorschlug, sehen eine neue Machtverteilung im Land vor. Sie geht vom derzeit praktisch allmächtigen Präsidenten zur Regierung und ins Parlament, das die letzten Jahre nicht viel mehr gemacht hat, als Befehle des Präsidenten auszuführen. Wichtig werden zudem ein neu zu definierender Staatsrat und das Verfassungsgericht.

  • Das Parlament und nicht mehr der Präsident ernennt den Premierminister und das Kabinett. Der Staatschef kann die ­Regierung nur noch abnicken.
  • Der Präsident bleibt Oberbefehlshaber und ernennt die Chefs der Sicherheitsorgane, aber nicht mehr allein, sondern in Absprache mit dem Staatsrat.
  • Der Staatsrat, heute ein schwaches Konsultationsgremium, wird Teil der Regierung.
  • Der Präsident darf nur einmal wiedergewählt werden; Putin absolviert die vierte Amtszeit.
  • Wer Präsident werden will, muss mindestens 25 Jahre in Russland leben und darf nie eine andere Staatsbürgerschaft oder eine Aufenthaltsbewilligung im Ausland gehabt haben.
  • Richter, Gouverneure, einige Bürgermeister, Parlamentarier und Regierungsmitglieder dürfen keine zweite Staatsbürgerschaft und keine Aufenthaltsbewilligung im Ausland haben.
  • Der Föderationsrat, die zweite Parlamentskammer, kann Richter des Verfassungsgerichts und des obersten Gerichts absetzen, der Präsident darf nur noch Vorschläge unterbreiten.
  • Das Verfassungsgericht stellt sicher, dass neue Gesetze der Verfassung entsprechen, erst dann darf sie der Präsident unterschreiben.
  • Russisches Recht soll über dem internationalen Recht stehen. Internationale Konventionen oder Gerichtsurteile sollen in Russland nicht mehr gelten, wenn sie den eigenen Gesetzen widersprechen.

Das seien alles nur Vorschläge, die einen Rahmen für die nun notwendige Diskussion vorgäben, sagt Putin. Danach soll der Entwurf der Verfassungsrevision in einem Referendum dem Volk vorgelegt werden.

Keine Kür des Nachfolgers

Darüber, was seine persönliche Rolle in diesem Konstrukt betrifft, schweigt der Präsident. Russische Experten sehen für ihn vier Möglichkeiten.

  • Putin übernimmt nach der Verfassungsreform das Amt des Premiers, bei dem sich die Macht konzentrieren wird. Dann könnte er ohne Einschränkung und Amtszeitbeschränkung weiterregieren.
  • Putin wird Chef eines neuen, mächtigen Staatsrates, der dank der Verfassungsänderung faktisch die Fäden im Staat zieht. Nach seiner Entlassung am Mittwoch ist Ex-Premier Dmitri Medwedew in dieses Gremium verschoben worden.
  • Da viel Macht an das Parlament übergehen soll, könnte Putin seinen Einfluss auf dem Posten des Parlamentspräsidenten ausüben.
  • Wegen der Machtkonzentration im Parlament wird die Bedeutung der Kreml-Partei Vereintes Russland wachsen. Putin könnte sich an die Spitze setzen und nach sowjetischem Modell Macht ausüben.

Vom Tisch ist mit der Verfassungsreform die Installation eines Nachfolgers, dem er dann das Land überlässt. Putin weiss selber am besten, welches Risiko der abtretende Machthaber damit eingeht: Jelzin und seine Entourage hatten ihn 1999 eingesetzt, weil sie sich von ihm den Erhalt ihrer Macht und ihrer Pfründen erwarteten. Doch kaum richtig installiert, wandte er sich gegen seine Mentoren und zog sein eigenes Regime auf.

Eine neue Generation

Putin schwebt laut Experten vor, den neuen Präsidenten mithilfe von Regierung, Parlament, Staatsrat und Verfassungsgericht in Schach zu halten. Dennoch wird er sich in seinem Amt profilieren und bewähren können, denn eine ewige Putin-Herrschaft aus dem Hintergrund ist keine Option: In Russland muss in den nächsten Jahren ein Generationenwechsel stattfinden.

Die nun anvisierte Verfassung soll dann diesen Machttransfer abfedern. Wie genau das abläuft, wer in der Praxis welche Kompetenzen bekommt, ist offenbar noch offen. «Russlands wirkliche Verfassung ist in Putins Kopf», schreibt der russische Analyst Leonid Berschitski. «Von dort werden auch die fehlenden Details noch kommen.»