Trumps Ernennungen zum Supreme Court Wie konservativ sind die höchsten US-Richter wirklich?
Donald Trump hat dem Supreme Court in Washington eine deutliche konservative Mehrheit verschafft. Doch bisher zelebrieren Richterinnen und Richter Unabhängigkeit.
Die Vorhersagen hätten kaum finsterer sein können. Der Untergang des progressiven Amerika stehe bevor, so warnten die Demokraten, als Präsident Donald Trump im vergangenen Herbst kurz vor seiner Abwahl noch eine Richterin an den Supreme Court in Washington berief. Amy Coney Barrett, eine konservative Katholikin, werde das US-Verfassungsgericht weit nach rechts rücken, hiess es. Mit ihr habe der konservative Flügel des neunköpfigen Gerichts auf Jahre hinaus sechs Mitglieder, der liberale nur noch drei. Alle sozialen und gesellschaftlichen Fortschritte, die das Gericht über Generationen mit seinen Urteilen erzwungen habe, stünden nun auf dem Spiel.
Ganz so schlimm ist es, zumindest nach jetzigem Stand, nicht gekommen. Vor einigen Tagen hat der Supreme Court die erste Sitzungsperiode beendet, in der diese neue, vermeintlich so zerstörerische 6-zu-3-Mehrheit der Konservativen voll zum Tragen kam. Doch man kann nicht behaupten, dass die Richter vom liberalen Amerika nur einen rauchenden Trümmerhaufen übrig gelassen hätten.
Zwei klare Siege für die Demokraten
Im Gegenteil, über zwei Entscheidungen konnten die Demokraten sich freuen: Im Dezember 2020 wies das Gericht einstimmig eine Klage des Bundesstaates Texas gegen das Ergebnis der Präsidentschaftswahl im November ab. Die Klage, die von anderen republikanischen Justizministern sowie den meisten Kongressabgeordneten der Partei unterstützt wurde, war ein ebenso durchsichtiger wie rechtlich fragwürdiger Versuch, Trumps Niederlage doch zum Sieg zu wenden.
Die neun Richterinnen und Richter machten bei diesem parteipolitischen Theater nicht mit, auch die drei von Trump ernannten nicht: Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett. Nach dieser Entscheidung stand fest, dass Joe Biden der neue Präsident der Vereinigten Staaten sein würde, zum grossen Unmut Trumps, der von «seinen» Richtern mehr Hilfe erwartet hatte.
Mitte Juni folgte ein zweites Urteil, das ebenfalls ein veritabler Sieg für die Demokraten war: Mit sieben zu zwei Stimmen bestätigte das Gericht die Gesundheitsreform des früheren Präsidenten Barack Obama. Diese Klage gegen Obamacare war bereits die dritte, welche die Republikaner vor dem Supreme Court verloren haben. Und auch hier hatten zwei der drei von Trump berufenen Richter, Barrett und Kavanaugh, mit ihren liberalen Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Die Versuche der Republikaner, Obamacare vom Supreme Court kippen zu lassen, dürften damit beendet sein.
Der von den Demokraten gegen Richter wie Kavanaugh und Barrett erhobene Vorwurf, diese seien kaum mehr als rechte Ideologen in Roben, war überzogen.
Das waren schöne Erfolge für die Demokraten. An der grundsätzlichen Diagnose, dass es Trump und den Republikanern im Senat – allen voran Fraktionschef Mitch McConnell – in den vergangenen Jahren gelungen ist, den Supreme Court durch die Berufung konservativer Richter nach rechts zu drücken, ändern sie allerdings wenig. Sie zeigen allenfalls, dass der von den Demokraten gegen Richter wie Kavanaugh und Barrett erhobene Vorwurf, diese seien kaum mehr als rechte Ideologen in Roben, überzogen war. Doch das Gericht fällte in den vergangenen Monaten auch Entscheidungen, bei denen die neue konservative Mehrheit durchaus den Ausschlag gab – und die einen Vorgeschmack auf künftige Urteile geben könnten.
So urteilte das Gericht vor einigen Tagen mit sechs zu drei Stimmen, dass bestimmte Wahlvorschriften zulässig sind, die der republikanisch regierte Bundesstaat Arizona erlassen hat. Die Demokraten hatten mit dem Argument dagegen geklagt, die Regeln machten es für Wählergruppen, die ihrer Partei zuneigten, schwieriger, ihre Stimmen abzugeben. Ähnliche neue Vorschriften werden derzeit in vielen Bundesstaaten von den Republikanern vorangetrieben. Nicht alle davon sind offen diskriminierend. Doch wenn der Supreme Court nicht irgendwann einschreitet, könnte das in der Praxis zur Folge haben, dass Wähler der Demokraten benachteiligt werden.
Auch zwei weitere 6-zu-3-Urteile, weniger spektakulär als die Obamacare-Entscheidung, aber politisch nicht unbedingt weniger relevant, gingen zugunsten der Republikaner aus. So strich das Gericht eine Vorschrift aus Kalifornien, die es Gewerkschaftsvertretern erlaubte, auch ohne Zustimmung des Eigentümers privaten Grund zu betreten, um unter Arbeitern um Mitglieder zu werben.
In einem anderen Fall verbot es der Supreme Court Kalifornien, wohltätige Stiftungen zu verpflichten, die Namen ihrer Grossspender zu veröffentlichen. Beide Male stellte das Gericht individuelle Grundrechte – die Unverletzlichkeit von Privatbesitz und das Recht auf freie Meinungsäusserung durch Spenden – über politische Ziele der Demokraten wie die Stärkung von Gewerkschaften oder die Begrenzung des gesellschaftlichen Einflusses reicher Geldgeber.
Das Gericht aus den parteipolitischen Schlachten heraushalten
Die entscheidende Frage für die Demokraten lautet nun: Sind solche Urteile Vorboten von härteren Zeiten? In den kommenden Monaten werden Grundsatzurteile zum Recht auf Abtreibung und auf Waffenbesitz erwartet, bei denen eine konservative 6-zu-3-Mehrheit tatsächlich mühsam erkämpfte linksliberale Erfolge zunichtemachen könnte.
Oder deuten die jüngsten Urteile eher darauf hin, dass auch die von Trump ernannten Richter in den grossen, besonders umstrittenen Fällen nicht zu umstürzlerischen Entscheidungen neigen? Damit würde das Gericht weiter der Linie seines Vorsitzenden Richters John Roberts folgen, der vor allem ein Ziel hat: den Supreme Court aus den erbitterten parteipolitischen Schlachten herauszuhalten, die in Washington toben und die fast alle anderen staatlichen Institutionen irreparabel beschädigt haben.
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