Wie Kantonsregierungen die Windenergie ausbremsen
Die Front gegen neue Windanlagen wächst. Nun streichen selbst Glarus und Appenzell Innerrhoden Projekte. Es herrscht Ausbauflaute.
Karl Vogler sagt es ohne Umschweife: «Die Entwicklung macht mir Sorgen.» Als Vorstandsmitglied der Vereinigung Suisse Eole setzt sich der Obwaldner CSP-Nationalrat für die Windenergie in der Schweiz ein. Doch der Ausbau hat einen schweren Stand – wie schwer, haben die vergangenen Tage gezeigt.
Die Regierung Appenzell Innerrhodens verzichtet darauf, den Standort Honegg-Oberfeld als Windpark im kantonalen Richtplan festzulegen. Die Projektpläne sahen eine Anlage mit zwei Windturbinen mit einer Gesamthöhe von fast 200 Metern vor. Ein Gutachten der Appenzeller Wind AG wies für den vorgesehenen Standort zwar ein beachtliches Energiepotenzial aus. Doch die Regierung befürchtete «beim Landschaftsbild massive Nachteile», wie sie gestern mitteilte.
Schon letzte Woche wurde bekannt, dass der Glarner Regierungsrat die vier bis fünf geplanten, ebenfalls rund 200 Meter hohen Windräder bei Bilten im Linthgebiet aus dem Richtplan streicht. Die Begründung: Windkraftanlagen können die langfristige Entwicklung von Dörfern möglicherweise behindern, deshalb sollen sie weder innerhalb noch zwischen Siedlungen zu stehen kommen. Auch hier habe es sich um einen windtechnisch geeigneten Standort gehandelt, argumentierten die Promotoren rund um die St. Gallisch-Appenzellische Kraftwerke AG.
Ausbauziel in weiter Ferne
Die beiden Beschlüsse markieren einen weiteren Rückschlag für die Promotoren der Windenergie. Seit das Stimmvolk letztes Jahr die Energiestrategie 2050 und damit einen Ausbau der erneuerbaren Energien gutgeheissen hat, sind keine neuen Windanlagen dazugekommen. Die 37 bereits bestehenden Anlagen haben letztes Jahr 0,13 Terawattstunden Strom produziert – ein Jahr lang Strom für 38'000 Haushalte. Bis 2050, so schwebt es dem Bundesrat vor, sollen es aber 4 Terawattstunden sein. Das ist 30-mal mehr als heute und entspricht rund 7 Prozent des Stromverbrauchs im ganzen Land.
Auch Suisse Eole will mit rund 800 Anlagen die Produktion auf mindestens dieses Niveau hochtreiben. Die Hoffnungen der Branche ruhen derzeit auf dem Gotthard-Windpark, der 2020 in Betrieb gehen und Strom für rund 5000 Haushalte liefern soll. Da der Tessiner Heimatschutz auf eine Beschwerde beim Tessiner Verwaltungsgericht verzichtet, sind die Realisierungschancen weiter gestiegen.
Kritik aus Bundesbern
Die Gründe für die Ausbauflaute sind seit Jahren dieselben. Die Vorhaben werden durch komplizierte Verfahren und oftmals durch Einsprachen von Anwohnern verzögert. Bei Projekten in Schutzgebieten ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Umweltverbände Gerichtsprozesse anstrengen. Auch kann die Bevölkerung in Gemeinden, wo Windräder geplant sind, zumeist darüber abstimmen – und das Projekt versenken.
Die jüngsten Entscheide gegen Windparks haben nun aber eine neue Qualität, gehen die Impulse dafür doch von – bürgerlich dominierten – Regierungen aus. CSP-Nationalrat Vogler sieht in den Beschlüssen der Exekutiven eine «offensichtliche Inkohärenz» zu den Bemühungen auf Bundesebene. So hat die Bevölkerung mit ihrer Zustimmung zur Energiestrategie 2050 Anlagen, die erneuerbare Energien produzieren, ein nationales Interesse verliehen. Zudem arbeitet das Parlament daran, die Bewilligung solcher Anlagen zu erleichtern.
Ein wichtiger Hebel dazu: Die Gutachten der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission (ENHK), die heute für Behörden faktisch verbindlichen Charakter haben, sollen neu nur noch eine von mehreren Entscheidungsgrundlagen in der Gesamtbeurteilung sein. Die ständerätliche Energiekommission hat einem entsprechenden Vorstoss von Ständerat Joachim Eder (FDP) jüngst zugestimmt. Die Regierungen von Glarus und Appenzell Innerrhoden unterstützen die Stossrichtung von Eders parlamentarischer Initiative.
«Wir müssen kein schlechtes Gewissen haben.»
Einen Widerspruch in ihrer Politik, wie dies Vogler ausmacht, sehen sie aber nicht. Unter anderem, weil gerade der jüngste Entscheid bestätigt, dass auch kantonale Behörden in der Lage sind, «dem kantonalen Interesse am Schutz eines kantonalen Landschaftsschutzgebietes gebührend Rechnung zu tragen», wie Daniel Fässler sagt, CVP-Nationalrat und Landammann von Appenzell Innerrhoden.
«Imageschäden präventiv bekämpfen»
Der zuständige Glarner Regierungsrat Kaspar Becker (BDP) ergänzt, der Entscheid gegen den Standort Linthebene sei nicht ein Entscheid gegen die Windenergie insgesamt. Er verweist auf den Standort «Vorab» in der Gemeinde Glarus Süd, den der Regierungsrat weiterverfolge. «Wir müssen also kein schlechtes Gewissen haben.» Dies gilt laut Becker umso mehr, als der Kanton Glarus seit vielen Jahrzehnten im Bereich der Wasserkraft einen «enorm wichtigen» Beitrag zur Energieproduktion in der Schweiz leistet, «dies auch mit Auswirkungen auf Landschaft und Natur».
Trotzdem: Die Glarner Regierung ist im Kreis der Windkraftgegner bereits zur Avantgarde einer mächtiger werdenden Front gegen die Windenergie avanciert. Der Verein Freie Landschaft Schweiz fordert die kantonalen Exekutiven auf, dem Glarner Beispiel zu folgen und «klare Kriterien festzulegen, um präventiv Umwelt- und Imageschäden durch gigantische Windenergieanlagen in der Schweiz zu bekämpfen».
Der Aufruf gilt insbesondere für die Westschweizer Kantone, wo die Windenergie mehr Akzeptanz geniesst. Gerade erst letzte Woche entschied das Kantonsgericht Waadt, den Windpark St. Croix zu genehmigen.
50 Projekte mit 400 Anlagen in Planung
Suisse Eole wird sich also weiter einem politisch rauen Wind ausgesetzt sehen. Das ist kein besonders gutes Omen für die Windkraftprojekte, die derzeit in Planung sind. Rund 50 sind es an der Zahl – mit 400 Windanlagen. Noch aber dürfen die Windkraftbefürworter hoffen. In Appenzell Innerrhoden und Glarus könnten die Kantonsparlamente darauf drängen, die beiden Projekte weiterzuverfolgen.
Entsprechende Bemühungen sind zumindest in Glarus im Gang. GLP-Präsident Pascal Vuichard versucht, mit SP, Grünen, BDP sowie einzelnen Exponenten aus CVP, FDP und SVP eine Allianz zu schmieden. Der Entscheid der Glarner Regierung, so Vuichard, löse bei ihm noch immer «einen roten Kopf aus».
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