Wie kann man eine Ejakulation kontrollieren?
Sexualwissenschaftlerin Andrea Burri beantwortet eine Leserfrage zu Sexualität und Liebe.
Der Geschlechtsverkehr mit meinem Mann wird leider oft durch einen zu frühen Samenerguss beendet. Gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, was man dagegen tun kann?
Schnelles Ejakulieren ist per se kein Problem, denn nicht alle Frauen sind vom endlosen Durchhaltevermögen des Mannes gleichermassen angetan. Vielmehr hängt es von der Situation und von der eigenen und Partnererwartung ab, wie lange der Geschlechtsverkehr dauern soll. Viele Männer leiden jedoch darunter, subjektiv das Gefühl der verminderten Kontrolle über ihre Ejakulation zu haben. Wenn dies der Fall ist, und zudem die durchschnittliche Zeit von Beginn der vaginalen Penetration bis zur Ejakulation unter einer Minute beträgt (auch Latenzzeit genannt), dann spricht man hier von Ejakulationsstörung oder auch Ejaculatio Praecox (EP). Wir haben also drei Kernkomponenten: kurze Latenzzeit, fehlende Kontrolle und den Leidensdruck. Weltweit leiden etwa 30 Prozent der Männer aller Alterskategorien darunter, wobei es starke kulturelle und geografische Unterschiede gibt.
Ein vorzeitiger Samenerguss kann verschiedene Ursachen haben, die bislang nicht hinreichend geklärt sind. Ursprünglich ging man tatsächlich von der Annahme aus, dass der Auslöser rein psychologischer Natur ist. Diesen Theorien zufolge können heimlicher Sex, begleitet von der Angst, entdeckt zu werden, oder Versagensängste, die oft mit den noch spärlichen sexuellen Erfahrungen junger Adoleszenter einhergehen, zu einer negativen Konditionierung führen. Mit zunehmender Erfahrung und erhöhtem Selbstvertrauen lernen die meisten Männer später, die Ejakulation zu kontrollieren. Einige aber entwickeln eine längerfristige Angst, welche zu einer beständigeren Erfahrung mit vorzeitigem Samenerguss führen kann und meist durch eine neue Partnerin getriggert wird.
Heute berücksichtigt das gängige Erklärungsmodell nebst medizinischer Auslöser jedoch auch neurophysiologische Gründe, im Sinne eines Ungleichgewichts des Botenstoffes Serotonin. Zur Behandlung können je nach Ursache physische, medikamentöse und/oder psychotherapeutische Therapieansätze infrage kommen. Übungen wie die Stop-and-Squeeze-Methode, bei der kurz vor der Ejakulation die sexuelle Stimulation durch ein Zusammendrücken der Penisspitze unterbrochen wird, bis der Ejakulationsdrang nachlässt, oder die Stop-Pause-Methode, bei der kurz vor der Ejakulation der Penis aus der Vagina gezogen wird, sind zudem etablierte Methoden, mit denen nach und nach eine längere Penetrationsdauer erreicht werden können.
Im Praxisalltag ist mir die Psychoedukation besonders wichtig, denn ich stelle immer wieder fest, dass EP-Patienten vornehmlich mit ihrem eigenen Problem und ihrer eigenen Leistung beschäftigt sind und dabei die restlichen Bedürfnisse der Partnerin komplett ignorieren. Dies zeigt auch eine jüngste Umfrage, bei der Partnerinnen von Betroffenen angegeben haben, dass für sie nicht die kurze Zeitdauer des Liebesaktes die Hauptquelle des sexuellen Frustes darstellt, sondern der Umstand, dass der Mann so stark auf das Hinauszögern des Samenergusses fokussiert ist, dass er dabei nicht auf die individuellen Wünsche der Frau einzugehen vermag. Der Geschlechtsverkehr richtet sich mehr und mehr nach der Zeit und nicht nach dem «wie mögen wir es und was tut uns gut». Hier hilft es oft, dem Mann vor Augen zu führen, dass erfüllende Sexualität nicht lediglich aus Geschlechtsverkehr besteht, sondern auch andere Aktivitäten wie Küssen, Streicheln und andere Formen sexueller Stimulation umfassen kann.
Dieser Artikel wurde erstmals am 22. Juli 2016 publiziert und am 3. Mai 2023 in dieses Redaktionssystem übertragen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.