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Ehemaliger US-Aussenminister am WEF
Wie Henry Kissinger den Krieg in der Ukraine beenden würde

Der Ex-US-Aussenminister Henry Kissinger bei seinem Besuch des Weltwirtschaftsforums in Davos im Jahr 2013, damals mit 89 Jahren. Heute, mit 99 Jahren, lässt er sich virtuell zuschalten.
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Er fühlt sich nicht verstanden. Und das, obwohl alle an Henry Kissingers Lippen hängen, wenn er spricht, langsam mittlerweile, mit seinen 99 Jahren. Doch es ist kein akustisches Problem, das der ehemalige Aussenminister der Vereinigten Staaten und grosse Diplomatie-Erklärer anspricht, es ist ein inhaltliches. «Letztes Jahr habe ich erklärt, wie ich den Krieg beenden würde», sagt Kissinger. «Aber es ist nicht verstanden worden, was ich damit meinte.»

Also versucht er es noch einmal. «Ich glaube daran, dass ein Ende der Kämpfe möglich ist, wenn die Vorkriegslinie erreicht ist», sagt Kissinger bei einer Videoschalte nach Davos zum Weltwirtschaftsforum. Er meint damit den Frontverlauf entlang der 2014 von Russland annektierten Krim und der von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebiete in Donezk und Luhansk. Entlang dieser Linie im Donbass solle, so Kissinger, die Front eingefroren werden. Auf dieser Basis sei es dann möglich, einen Waffenstillstand zu vereinbaren. Anschliessend könne man beginnen, mit Russland über «die Lösung des Konflikts» zu sprechen, wobei die Linie im Donbass nicht automatisch das Ergebnis der folgenden Friedensverhandlungen sein müsse. «Ich bin überzeugt, dass man eine Eskalation des Krieges so verhindert.»

«Wir müssen verhindern, dass der Krieg zu einem Krieg gegen Russland selbst wird.»

Henry Kissinger

Und er führt aus: Die westliche Staatengemeinschaft sei an einem Punkt angelangt, an dem viele Ziele schon erreicht seien. Natürlich müssten die EU und die USA die Ukraine militärisch unterstützen, bis hinsichtlich des Frontverlaufs der Status quo vor Kriegsbeginn erreicht sei. Man habe jedoch bereits Putin demonstriert, dass man zusammenstehe und dass Russland «seine Ziele mit konventionellen Mitteln nicht erreichen kann». Es komme der Zeitpunkt, an dem mit Putin verhandelt werden solle. «Wir müssen verhindern, dass der Krieg zu einem Krieg gegen Russland selbst wird», so Kissinger. Moskau müsse die Perspektive gegeben werden, wieder Teil des internationalen Systems zu werden.

Schon auf dem letzten Weltwirtschaftsforum im Mai 2022 hatte Kissinger seine Idee für ein Ende des Krieges in der Ukraine skizziert – und war dabei noch weiter gegangen. Er gab der Ukraine damals, kurz vor seinem 99. Geburtstag, den Rat, die Krim sowie die Gebiete in Donezk und Luhansk an Russland abzutreten (lesen Sie hier mehr darüber). Die Reaktionen waren heftig: Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski verurteilte Kissingers Vorschläge regelrecht und verglich sie mit der Appeasement-Politik der Staatengemeinschaft gegenüber Adolf Hitler im Jahr 1938.

Henry A. Kissinger ist am Weltwirtschaftsforum 2023 in Davos per Video zugeschaltet.

«Die Ukraine kämpft, bis sie ihr gesamtes Territorium zurückhat», sagte Selenski damals weiter. Er sei nur dann bereit zu Gesprächen mit Moskau, wenn alle russische Truppen ukrainisches Gebiet verlassen hätten. An dieser Haltung dürfte sich wenig geändert haben. Zumindest sagte dies die First Lady der Ukraine, Olena Selenska, am Dienstagmorgen bei ihrer Eröffnungsrede auf dem Weltwirtschaftsforum in nahezu gleichem Wortlaut.

«Wir wollen Mitglied der Nato werden, weil wir nie wieder Krieg in Finnland haben wollen. Wir waren schon einmal im Krieg mit Russland.»

Sanna Marin, Ministerpräsidentin Finnlands

Auch die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin äusserte sich am Dienstag in Davos zu der Frage. Danach gefragt, ob es Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine brauche, antwortete sie sehr klar: «Es liegt an der Ukraine, das zu entscheiden. Wir sind nur dazu da, sie zu unterstützen.» Marin ist der Überzeugung, dass es nicht zu einem Krieg gekommen wäre, wenn die Ukraine früher in die Nato aufgenommen worden wäre. Das sei auch der Grund, warum Finnland und Schweden die Mitgliedschaft in dem Verteidigungsbündnis beantragt hätten. «Wir wollen Mitglied der Nato werden, weil wir nie wieder Krieg in Finnland haben wollen. Wir waren schon einmal im Krieg mit Russland.»

Auch sie spricht sich für die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine aus: Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin am WEF in Davos.

In diesem Punkt ist dann auch Kissinger wieder mit an Bord – und er geht noch weiter. Eine neutrale Ukraine sei «nicht länger sinnvoll», sagt er. Vielmehr sei eine Aufnahme der Ukraine in die Nato ein «angemessenes Ergebnis». Das westliche Verteidigungsbündnis solle dem Land nach Friedensgesprächen eine Garantie für eine Mitgliedschaft geben. «Vor diesem Krieg war ich gegen eine Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato, weil ich befürchtete, dass damit genau der Prozess in Gang gesetzt würde, den wir jetzt erleben», sagt Kissinger. Er habe seine Meinung geändert.

Und dann richtet sich Kissinger auch noch direkt an Wolodimir Selenski. «Ich möchte meine Bewunderung für den ukrainischen Präsidenten und das heldenhafte Verhalten des ukrainischen Volkes ausdrücken», sagt er. Eine kleine, aber nicht unwichtige Geste, die zusammen mit seinem Beitrittsvorstoss verhindern könnte, dass die Reaktion der Ukrainer erneut so heftig ausfällt wie beim letzten Mal, als der Grossmeister der Diplomatie den Ukrainern einen gut gemeinten Rat gab.