Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Sexueller Missbrauch in der Türkei
Wie eine Kinderheirat Erdogans Partei in Bedrängnis bringt

Unter Erdogan hat der Einfluss der islamischen Gemeinden und Orden stark zugenommen: Kundgebung der Regierungspartei AKP im Galatasaray-Stadium in Istanbul (Ende November).
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Eine fast zwanzig Jahre zurückliegende Kinderheirat im orthodox-konservativen Milieu eines islamischen Ordens rüttelt die Türkei auf und setzt die Regierungspartei AKP in ein trübes Licht.

Eine heute 24-jährige Frau ist jüngst an die Öffentlichkeit gegangen und hat berichtet, dass sie von ihrem Vater, einem Scheich des Ordens, als Sechsjährige mit einem erwachsenen Ordensmann verheiratet wurde. Dieser hatte das Mädchen als Kind und Heranwachsende immer wieder sexuell missbraucht.

Für die regierende AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan ist der Fall wenige Monate vor den anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen mehr als unangenehm. Der betroffene Orden, die ultrakonservative Ismail-Aga-Gemeinde, hat enge Beziehungen zu Erdogans Partei. Sie unterstützt wie andere der einflussreichen islamischen Orden die konservativ-islamische AKP: Die Partei zählt die zahlreichen Mitglieder der islamischen Orden und Gemeinden zu ihren Stammwählern – und keine Regierung kann es sich erlauben, sich mit ihnen zu überwerfen.

Anzeige gegen Ex-Mann

Die Ehe mit der damals Minderjährigen, die nach staatlichem Recht ebenso wie die islamische Vielehe in der Türkei verboten ist, wurde nach islamischem Recht geschlossen. Erst nach Erreichen der Volljährigkeit wurde die junge Frau dann auch standesamtlich mit dem Mann verheiratet. Bisher ist sie anonym geblieben. Sie hat sich aber über Dritte einem Journalisten der säkular und oppositionell orientierten Tageszeitung «Birgün» anvertraut.

Die junge Frau, die inzwischen geschieden ist und Anzeige gegen ihren Ex-Mann erstattet hat, sagte bei ihrer Vernehmung laut der Zeitung: «Dass es unnormal ist, als sechsjähriges Mädchen verheiratet zu werden, habe ich erst begriffen, als ich es auf dem Handy recherchiert habe.»

Der Ex-Ehemann ist inzwischen wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen angeklagt. Auch die Eltern, die das Mädchen damals verheiratet hatten, müssen sich nun verantworten. Der Vater hatte die sogenannte Imam-Ehe seiner sechsjährigen Tochter selbst geschlossen.

2012 war in dem Fall bereits einmal ermittelt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte das Verfahren türkischen Medienberichten zufolge aber eingestellt, weil die Zustimmung des Mädchens zur Ehe und zum Geschlechtsverkehr vorgelegen habe. Türkischen Medienberichten zufolge hatten der Ehemann und die Eltern mittels gefälschter medizinischer Tests vorgetäuscht, dass die damals erst 14-Jährige bereits 21 Jahre alt sei.

Das Ordensmilieu insgesamt kommt immer wieder wegen sexueller Gewalt an Minderjährigen ins Gerede.

In der inzwischen fast 20-jährigen Herrschaftszeit Erdogans und seiner AKP ist der sowieso schon grosse Einfluss der islamischen Gemeinden und Orden noch einmal stark gewachsen. Dies gilt in den vergangenen Jahren besonders für die Ismail-Aga-Gemeinde. Deren Mitglieder werden einem Bericht der «Deutschen Welle» zufolge sogar gezielt in staatliche Institutionen wie Justiz, Verwaltung, die Streitkräfte oder die Polizei eingeschleust.

Das Ordensmilieu insgesamt kommt gleichzeitig immer wieder wegen sexueller Gewalt an Minderjährigen ins Gerede. Die zahlreichen Orden und Gemeinden unterhalten ihre eigenen Koranschulen, Wohnheime und Internate werden staatlich zumindest indirekt gefördert. Strenggläubige und oft arme Eltern, die eine religiöse Erziehung ihrer Kinder suchen, geben ihre Söhne und Töchter häufig in solche weitgehend abgeschlossene Koranschulen.

Die 1980 gegründete Ismail-Aga-Gemeinde, in der sich der Fall der Kinderheirat zugetragen haben soll, ist orthodox-sunnitisch und besonders konservativ. Die Männer tragen sogenannte islamische Kleidung und Vollbärte, die Frauen eine Art Vollverschleierung. Wie einflussreich der Orden politisch ist, zeigte sich bei der Beerdigung des Gründers im Sommer dieses Jahres. Staatschef Erdogan hatte persönlich an der Trauerfeier für den Ordensgründer Mahmut Ustaosmanoglu teilgenommen.

«Eine absolute Katastrophe»

Nachdem die Opposition sich des Falles politisch angenommen und scharfe Kritik am Milieu der Regierungspartei geübt hatte, äusserte sich nun auch Erdogan nach mehrtägigem Schweigen öffentlich. Niemand könne heutzutage die Verlobung und Verheiratung Minderjähriger gestatten, sagte er: «Vor allem die Vorwürfe des Missbrauchs in jungen Jahren sind eine absolute Katastrophe.»

Zugleich schränkte der Präsident mit Blick auf seine islamische Wählerschaft ein: «Einen solchen Vorfall mit dem Glauben unserer Nation und den Institutionen, die diesen Glauben vertreten, in Verbindung zu bringen, ist, gelinde gesagt, eine unmoralische Verzerrung.»