Wie die Tabaklobby die US-Behörden in die Knie zwingt
In den USA wurden schon über 50 Vaping-Tote gemeldet. Das liegt auch daran, dass die Industrie die Regierungsarbeit nach ihrem Geschmack beeinflusst. Und ihre Macht wächst weiter.
Präsident Trump überraschte Anfang September mit einer mutigen Ankündigung: E-Zigaretten sollten rundum verboten werden, es sei denn, sie enthielten keine andere Substanz als Tabak. Also keine aromatisierten Produkte mehr, die gezielt für Jugendliche entwickelt werden. Das war eine klare Ansage, und sie entsprach dem, was die Gründer von Marktleader Juul im Sinn hatten. E-Zigaretten sollten demnach eine Entzugshilfe für Raucher sein, da der Körper durch das Verdampfen von Tabak weniger gesundheitsschädliche Schadstoffe aufnehmen würde.
Doch heute ist klar: Die Ankündigung des Präsidenten und die Absichten von Juul waren Luftschlösser. Und die USA zahlen einen hohen Preis dafür. Die Zahl der Vaping-Toten ist auf über 50 gestiegen. Spitäler behandeln seit kurzem zusätzlich zu den Lungengeschädigten mehr und mehr Jugendliche mit schweren Nikotinvergiftungen.
Furcht um Wählergunst
Trump zog sein Versprechen zurück, nachdem die Tabaklobby und E-Zigaretten-Hersteller ihre Lobbyisten aufmarschieren liessen und zwei Monate lang den Kongress bearbeiteten. Republikanische Abgeordnete fürchteten um die Wählergunst und setzten Trump unter Druck. Ein Führungsmanko bei der Kontrollbehörde FDA schuf noch mehr Unklarheit. Stephen Hahn, der von Trump nominierte FDA-Direktor, umschiffte an einer Anhörung jede Frage von demokratischer Seite, ob er ein Verbot aromatisierter E-Zigaretten unterstütze, und erklärte, das Dossier liege im Weissen Haus, nicht mehr bei der FDA.
«Zustände wie in den USA sind in der Schweiz nicht möglich.»
Dies war nur die halbe Wahrheit: Die Aufsichtsbehörde steht unmittelbar vor ihrem wichtigsten Entscheid in dieser Sache. Denn bis zum kommenden Mai müssen die E-Zigaretten-Hersteller nachweisen, dass das Dampfen weniger gesundheitsschädlich ist als das Rauchen und als Entzugsmethode empfohlen werden kann. Diesen Schritt haben die britischen Gesundheitsbehörden bereits getan: Für sie ist das Verdampfen klar weniger riskant als das Rauchen des Tabaks, weshalb es Vaping-Firmen sogar erlaubt wurde, E-Zigaretten in Spitälern zu verkaufen.
Aber Grossbritannien und das restliche Europa erlebten eben nie eine Suchtwelle wie die USA. «Zustände wie in den USA sind in der Schweiz nicht möglich, weil nikotinhaltige E-Zigaretten in der EU erheblich strikteren behördlichen Auflagen unterliegen, als dies in den USA der Fall ist», sagte Mads Larsen, Manager beim Tabakkonzern British American Tobacco Schweiz kürzlich in Zürich.
«Der Unterschied ist der, dass in den USA Gesundheitsprobleme gern zu moralischen Kreuzzügen aufgebauscht werden.»
E-Zigaretten und Nachfüllkartuschen müssten in der EU kinder- und manipulationssicher sein, in den USA dagegen regiert der freie Markt. Bestückt wird dieser Markt überwiegend aus China, wo über 9500 Firmen 90 Prozent der weltweit konsumierten E-Zigaretten herstellen. Sie profitieren davon, dass die Nikotinkonzentration und die Reinheit der Inhaltsstoffe in den USA weder systematisch geprüft noch klar geregelt werden.
Der Umgang mit Vaping verweist auf ein typisch amerikanisches Problem. Zum einen lässt die Regierung den Unternehmen so lange freie Hand, wie es die Lobbyisten durchdrücken können. Doch wenn die Krise kommt, dann fehlt es an kühlen Köpfen. «Der Unterschied ist der, dass in den USA Gesundheitsprobleme gern zu moralischen Kreuzzügen aufgebauscht werden», sagt Brad Rodu, Professor der Medizin an der Universität Louisville und Experte für Tabakmissbräuche. «Es scheint, dass amerikanische Politiker keine Ahnung haben von der Geschichte der Tabakbranche oder sie total ignorieren.»
Auch Obama zog zurück
Tatsächlich hat die US-Regierung wiederholt jeden Versuch verwässert oder verzögert, E-Zigaretten und ihre Hersteller zu regulieren. Wie Trump diesen Herbst zog Barack Obama bereits 2016 ein Verbot von aromatisierten Produkten zurück. 2017 verlängerte die FDA die Beweisfrist zugunsten der Hersteller, nachdem die Behörden zunächst sogar erwogen hatten, E-Zigaretten wie Nikotinpflaster als medizinisches Produkt zu regulieren.
Dieses Zögern katapultierte Juul in die Rolle des führenden Anbieters mit einem Marktanteil von rund 70 Prozent. Ähnlich wie die digitalen Konzerne wie Facebook oder Google erreichte die Vaping-Industrie in den USA einen Wettbewerbsvorsprung, ohne von den strikteren Regeln in Europa gebremst zu werden.
«Mit Juul dampft man eine ganze Kartusche; dagegen kann man nach jeder Zigarette stoppen.»
Ein Beispiel: Die Nikotingrenze von Vaping-Produkten in den USA liegt um mehr als das Doppelte über jener in Europa. Das könnte gemäss Fachärzten erklären, warum in jüngster Zeit mehr Jugendliche mit Nikotinvergiftungen notfallmässig behandelt werden müssen.
Neue Generation Nikotinsüchtiger befürchtet
Eine Studie der FDA zeigt, dass heute über fünf Millionen Teenager regelmässig dampfen, weshalb Forscher und Ärzte befürchten, dass die E-Zigarette eine neue Generation von Nikotinsüchtigen schaffen könnte. «Mit Juul dampft man eine ganze Kartusche; dagegen kann man nach jeder Zigarette stoppen», sagt Sharon Levy, Direktorin des Entzugsprogramms in einem Kinderspital in Boston. Eine Kartusche enthält gleichviel Nikotin wie ein Päckchen Zigaretten. Die Wankelmütigkeit der US-Regierung erlaubte zudem einen blühenden Schwarzmarkt. Viele chinesische Marken sind ungesichert. Auf dem Schwarzmarkt beschaffte Produkte mit THC-Ölen und Vitamin-E-Acetat gelten inzwischen als Hauptgrund der Vaping-Epidemie.
Die Entwicklung erinnert an die Anfänge der Werbekampagne der Tabakkonzerne. Die Branche musste in der Folge in Gerichtsverfahren eingestehen, dass sie den Nikotingehalt nach und nach erhöht hatte, um eine grössere Abhängigkeit der Raucher zu schaffen. Nun hat sie sich an den Vaping-Zug angehängt und übernimmt zusehends die Kontrolle.
Die Zukunft des Dampfens liegt mehr denn je in den Händen von Big Tobacco.
Mitte September kündigte Juul zwar an, die Werbung in den USA zu unterbrechen und auf das weitere Lobbying gegen aromatisierte E-Zigaretten zu verzichten. Gleichentags trat Firmenchef Kevin Burns zurück. Ersetzt wurde er durch K.C. Crostwhaite, Ex-Präsident und Topmanager von Philip Morris. Er war auch Wachstumsmanager des Tabakmultis Altria, der sich für 12,8 Milliarden Dollar einen Kontrollanteil von 35 Prozent an Juul gesichert hat. Die Zukunft des Dampfens liegt mehr denn je in den Händen von Big Tobacco, jener Branche, gegen die Juul einmal angetreten war.
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