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TV-Kritik
Wie die Krise inszeniert wird

Dieses Virus könnte glatt als zeitgenössische Kunst durchgehen: Katja Stauber in der gestrigen «Tagesschau» auf SRF1.
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Tatsächlich, es gibt sie noch, die exklusiven Nachrichten. Das «Journal télévisé» auf France 2 etwa vermeldet, dass Beatmungsgeräte für Hunde nun auch für Corona-Patienten eingesetzt würden – das hat man sonst noch nirgends gehört. Im Übrigen trifft man, wenn man sich durch die Tagesschauen diverser Länder zappt, derzeit überall dieselben Stichworte: Wirtschaftskrise, Infektionszahlen, Hilfspakete, Spitalüberlastung.

Gerade deswegen fallen allerdings auch die Unterschiede zwischen den Ländern auf. Schon rein optisch: Bei der Schweizer «Tagesschau» etwa ziert jeweils ein Virus den Hintergrund-Screen, das dank seiner abstrakten Schönheit und den geschmackvoll assortierten Farben schon fast als zeitgenössische Kunst durchgehen könnte. Auch die Beiträge bemühen sich um eine stilvolle Ästhetik: klare Schnitte, ruhige Kamera. Und was gezeigt wird, sieht keineswegs nach Kontrollverlust aus – oder wenn doch, dann sind es Bilder aus dem Ausland, aus spanischen Spitälern oder italienischen Ambulanzen.

Ähnliches lässt sich in Deutschland beobachten. Wenn die ARD etwa von der dramatischen Situation in einem Pflegeheim in Wolfsburg berichtet, dann zeigt sie das Gebäude von aussen (Sichtbeton mit markanten Erkern) und den Heimleiter am Schreibtisch. Wie sehr die grossenteils dementen Patienten erschrecken müssen, wenn die Pflegerinnen plötzlich in Schutzanzügen auftauchen – das muss man sich schon selber ausmalen.

In den italienischen Tagesschauen wird das Leiden nicht nur thematisiert, sondern gezeigt.

Ganz anders präsentieren sich die italienischen Ausgaben des «Telegiornale». Hier sieht man verpixelte Aufnahmen aus den Intensivstationen, Beatmungsschläuche, überfüllte Spitalkorridore. Die befragten Ärztinnen und Wirtschaftsexperten tragen ebenso konsequent Masken wie die Politiker, die nach ein paar Tagen der demonstrativen Einigkeit nun wieder ihr übliches Hickhack austragen, sowie die Menschen, die im Supermarkt die Nationalhymne anstimmen. Das Leiden, die Verzweiflung, auch die Überforderung: Sie werden hier nicht nur thematisiert, sondern gezeigt.

Ärztinnen, Experten, Passanten: Wer im italienischen «Telegiornale» auftritt, trägt in der Regel eine Maske.

Mit der Inszenierung verändern sich auch die Themen. Zwar setzt man überall auf Einzelschicksale – Human Touch bringt nördlich wie südlich des Gotthards Quote. Aber während der italienische Sender RAI 1 einen an Covid-19 verstorbenen Arzt porträtiert und die Freunde eines 26-jährigen Opfers befragt, geht es in der Schweiz vor allem um die Protagonisten wirtschaftlicher Dramen: um einen Hausarzt etwa, dessen Praxis leer bleibt. Oder um eine Broadway-Sängerin, deren Premiere abgesagt wurde.

Sorgfältig gemischte Ingredienzien

Wann kippt Menschlichkeit um in Voyeurismus oder Sentimentalität? Wann die Sachlichkeit in Kälte? Solche Fragen stellt man sich vor dem Bildschirm, und zweifellos stellen sie sich auch jene, welche die Beiträge gestalten. Die Antworten fallen zwar denkbar unterschiedlich aus; aber zumindest bei den öffentlich-rechtlichen Sendern hat man den Eindruck, dass die Ingredienzien in diesem Ausnahmezustand besonders sorgfältig abgemischt werden.

Denn das Ziel ist überall dasselbe: Man will den Zuschauern den Ernst der Lage vermitteln, ohne Panik zu verursachen. Oder umgekehrt Momente der Hoffnung aufzeigen, ohne jemanden zu Leichtsinn anzustiften. Ein bisschen schmunzeln sollen die Leute, über den Tapir, der in Guatemala die Distanz von zwei Metern symbolisiert, oder den schlaumeierischen Velofahrer, der im Salento ins Meer fährt, um den Carabinieri zu entwischen. Und vor allem soll das Publikum die Hände waschen und zu Hause bleiben: Diese Botschaft wird in allen Sprachen unablässig wiederholt.

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Auch ein paar Symbolbilder haben sich mittlerweile international durchgesetzt. Da sind die Nähmaschinen, die über improvisierte Schutzmasken rattern. Die gestapelten Gartenstühle vor dem geschlossenen Restaurant. Und vor allem die leeren Spitalbetten, die allerdings ganz unterschiedliche Bedeutungen haben können. Wir haben noch Platz, signalisieren sie in den nördlichen Ländern. In Italien dagegen lautet die Botschaft: Wir haben wieder Platz, das Schlimmste ist vorbei, vielleicht. Es ist eine neue Botschaft; das erste leere Bett seit langem wurde gestern Abend gezeigt.