Punk: Von Clash zu CashWie die Anti-Bewegung richtig lukrativ wurde
Ausgerechnet aus dem Punk, der anti-kapitalistischen, anti-autoritären, anti-allem Bewegung, ist einer der lukrativsten Trends überhaupt geworden. Und der hat vor allem in Krisenzeiten Konjunktur.
Punk’s not dead: Dieser Spruch ist längst zum sinnentleerten T-Shirt-, Häuserwand-, Aufkleber-Mantra verkommen. Wollte man allerdings tatsächlich beweisen, dass Punk einfach nicht totzukriegen ist, würde es schon reichen, ab und zu auf die Laufstege zu schauen. Denn dort wird ziemlich schnell klar, dass vielleicht nicht die Musik und die dazugehörige Haltung, aber zumindest die Ästhetik höchstlebendig ist.
Diesen Winter liefen bei Dolce & Gabbana Models mit bunt gefärbten Sid-Vicious-Punkfrisuren über den Laufsteg. Bei der letzten Cruise-Kollektion von Chanel hatten sie dick mit Schwarz umrandete Augen und leicht irokesenhaft gestylte Haare. Dazu trugen sie derbe Schnürstiefel, Netzstrümpfe und Netzoberteile über T-Shirts.
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Die Londoner Designerin Simone Rocha kombinierte ihre romantischen Kleider mit den typischen Punk-Lederjacken, während Hedi Slimane für Celine den Mädchen nächsten Sommer zur Ledermontur gleich noch die Stachelhalsbänder anzieht. Punk ist nicht tot – er hat sich nur in eine Gelddruckmaschine der Mode verwandelt, die regelmässig befeuert wird und gerade wieder auf Hochtouren läuft.
Wer sich heute die ready-made kaputte Jeans für 160 Franken überstreift, einen Cartier-Ring mit stilisierten Nieten aus Diamanten und Amethyst aus der «Clash (Un)limited»-Linie unter dem Weihnachtsbaum liegen hatte oder eine Jacke mit zwei küssenden Punks und dem Slogan «Fuck the System» vom kürzlich wiederbelebten Label Jean Paul Gaultier anziehen will, muss vorher natürlich nicht die Geschichtsbücher konsultieren und seine Garderobe erst mal in den entsprechenden Kontext einordnen.
Was hat Punk mit Luxusmode zu tun?
Als Zugangsberechtigung zur Mode reicht heute bekanntlich ein ausreichend gefülltes Bankkonto. Interessant wäre es aber schon, sich mal kurz vor Augen zu führen, welchem Trend man da gerade aufsitzt. Hatte Punk mit Luxusmode nicht mal ungefähr so viel zu tun wie Lehman Brothers mit der Arbeiterwohlfahrt? Oder war die Vereinnahmung desselben durch die Modeindustrie im Grunde unausweichlich?
Der englische Begriff «Punk» taucht schon bei Shakespeare als Synonym für weibliche Prostituierte auf, später waren im Slang damit junge männliche Kriminelle gemeint. Wörtlich übersetzt meint es faules Holz, im übertragenen Sinne vor allem armselig, schäbig, unsinnig. Punk war also grob gesagt der letzte Dreck – und genau in dieser Rolle schienen sich die Protagonisten dieser Jugendbewegung zu gefallen.
Punks wollten sich als Aussätzige der Gesellschaft inszenieren, als deren Abschaum, schreibt der Autor Jens Balzer in seiner im Sommer erschienenen Achtzigerjahre-Betrachtung «High Energy». Deswegen hielten sie sich auch am liebsten «solche Haustiere, die von der Gesellschaft als eklig und als Überträger von Krankheiten angesehen werden, nämlich Ratten». Die zumindest sind bis heute weiterhin eher im Underground unterwegs.
In New York lag die Keimzelle des Punk im legendären Club CBGB und bei Bands wie den Ramones. Im Punk-Paralleluniversum London waren die Vorreiter The Clash und natürlich die Sex Pistols um Johnny Rotten und Sid Vicious, die sich 1975 gründeten und deren Manager Malcolm McLaren proklamierte sich gern als Erfinder des ganzen Unfugs.
«Punk erlaubte denen, die keine besonderen Fähigkeiten hatten und unbeachtet am Rand der Gesellschaft lebten, einen revolutionären Aufschrei», hat er es in einem Interview mit der Zeit einmal zusammengefasst. Nährboden dafür war nicht zuletzt eine zweistellige Rekord-Inflation in England. Viele Jugendliche blickten damals in eine ungewisse Zukunft. «No future» war eines der Leitmotive, das auf den Song «God save the Queen» von den Sex Pistols zurückging. Im Punk fanden sie ein lautes Ventil für ihre Ausweglosigkeit.
Punk war heimwerkerfreundlich und schuf modisch Demokratie
Damit hatte die neue Bewegung nicht mehr das Geringste mit dem optimistischen Blümchen-Pathos der 68er gemein. Auch der «Look», wie man heute sagen würde, war ein gänzlich anderer, und diese maximale Distinktion war wichtig. Die Punks waren ohnehin gegen alles Hippiemässige. «Hässlichkeit, Dilettantismus und Verantwortungslosigkeit wurden Merkmale einer neuen Generation, die wichtig sein wollte», so McLaren.
Wichtig sein wollte allerdings vor allem McLaren selbst. Zusammen mit seiner damaligen Freundin, einer ehemaligen Lehrerin namens Vivienne Westwood, unterhielt er neben den Sex Pistols auch erfolgreich einen Laden in der Kings Road Nummer 430, der zwischenzeitlich «Sex» hiess und in dem Westwood Dinge auseinandernahm und nur scheinbar dilettantisch wieder zusammensetzte.
Statt Schlaghosen wurden die Röhrenjeans oder Lederhosen mit eingesetztem Reissverschluss so eng getragen, dass man kaum mehr darin laufen konnte. Die bunten Farben wichen Schwarz-Weiss. T-Shirts waren zerrissen, Lederjacken von Hand mit Parolen wie «Cash from Chaos» oder «Don’t trust a hippie» versehen, es wimmelte nur so von S&M-Elementen. Je provokanter, desto besser. Schliesslich wollte man nicht nur gehört, sondern vor allem gesehen werden. In kaum einer Jugenderinnerung von Kurzzeit-Punks fehlt das Erfolgserlebnis, wenn die bürgerlichen Eltern bei ihrem Anblick ausflippen und Fussgänger verängstigt die Strassenseite wechseln.
Das Tolle an Punk-Mode war also eigentlich: Die Optik war billig und heimwerkerfreundlich. Jeder konnte sich die Jeans zerschnibbeln, die Workerboots anmalen, sich eine Sicherheitsnadel durchs Ohrläppchen stecken, die Haare ansprühen oder seitlich abrasieren. Punk wollte Anarchie, schuf zumindest modisch aber auch Demokratie.
Das Widersprüchliche an Punk-Mode war allerdings: Durch Westwood und McLaren wurde die Bewegung von Anfang an gleich zur Ware. So betont es gegen das Establishment und den Kapitalismus ging, so kommerziell erfolgreich waren bald einige der Protagonisten. «Es waren schonungslos nihilistische Gedanken – für einen ungemein erfolgreichen Lebensstil», hat McLaren einmal zugegeben. Diese Dialektik und Philosophie des Punk habe fast nie jemand verstanden. Letztlich sei es ihm weniger um eine proletarische Revolution gegangen, als um waschechten Kapitalismus mit Geld, Luxus, Status, Macht. Zumindest nach dieser Logik sind Punk und Mode geradezu füreinander geschaffen.
Die Mode als unersättlicher Parasit
Wie sehr sie im Laufe der Zeit jedenfalls zueinander gefunden haben, war eindrucksvoll bei der Met-Gala 2013 zu beobachten, der Eröffnung der alljährlichen Modeausstellung im Metropolitan Museum of Art in New York. Thema damals: «Punk: Chaos to Couture.» Für die einen wurde die Idee des Ganzen damit endgültig ad absurdum geführt. Von der anarchistischen Rebellion zum glamourösen Kanon. Die Stadtzeitung Village Voice schrieb damals, die Gala habe Punk «in genau jenen kommodifizierten, entpolitisierten, trendigen Mist verwandelt, auf den die echten Punks gekotzt hätten». Als Todesstoss wurden auch noch das versiffte Klo vom CBGB und Teile von «Sex» auf der King’s Road nachgebaut. Alles final museal.
Vielleicht wurde die Ästhetik damals aber auch nur endgültig geadelt – so wie «Dame Vivienne Westwood» von der Queen ja auch – und in den ewigen Zombie-Recycling-Modus der Modeindustrie überführt. Kaum ein Designer, der in der Ausstellung nicht zu finden war. Eine Scherben-Weste von Margiela, ein löchriger Mohair-Pulli von Junya Watanabe, ein scheinbar zerrupftes Chanel-Kostüm, dessen Risse Karl Lagerfeld aber einzeln säumen liess, damit sie nicht ausfransen. Sieht aus wie Punk, ist aber nicht mehr Punk, sondern eben Couture. Von wegen No Future.
Während Madonna damals in viel Netz von Givenchy geschnürt erschien, trug Anna Wintour als Gastgeberin übrigens ein Blümchenkleid, was vielleicht mehr Stinkefinger und Punk war, als irgendjemand damals kapierte. Natürlich ist die Mode ein unersättlicher Parasit, der sich jede Subkultur aneignet und seine Umwelt auf opportunistischste Weise ausschlachtet. John Galliano machte bekanntlich nicht einmal vor den Obdachlosen an der Seine halt, die er jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit unter einem Haufen Zeitungen liegen sah. Seine «Les Clochards»-Kollektion für Dior mit Zeitungsprint war erst ein riesiger Skandal, heute sind die Teile Sammlerobjekte. Bei Punk geschah die Vereinnahmung in Rekordzeit.
Versaces Sicherheitsnadel machte Liz Hurley zum Star
Bereits 1977 präsentierte die britische Designerin Zandra Rhodes Abendkleider mit Rissen und Löchern, die sie mit Abflussketten umstickte und mit Sicherheitsnadeln verzierte. Aber dass Designer und Marken seitdem ständig dieser Ästhetik verfallen, ist eben nicht nur ein Zeichen wiederkehrender Einfallslosigkeit (obgleich bei vielen schon auch). Kaum ein Streetstyle war scheinbar so hässlich und dilettantisch und gleichzeitig so erfinderisch und akribisch im Detail wie Punk. Allein auf wie viele Arten etwas so Banales wie eine Sicherheitsnadel zweckentfremdet wurde, war beeindruckend und inspirierte Gianni Versace zu seiner Kollektion für das Frühjahr 1994.
Kurz darauf brachte Hugh Grant zur Premiere von «Vier Hochzeiten und ein Todesfall» seine Freundin Liz Hurley mit, die einen dieser Entwürfe trug: ein enges schwarzes Bustier-Kleid, das seitlich nur notdürftig von grossen goldenen Sicherheitsnadeln mit Medusa-Logo zusammengehalten wurde. Dreckig war hier nichts mehr, aber immer noch sehr provokant. Es machte Hurley über Nacht zum Star.
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Auch deshalb ist Punk noch immer eine beliebte Allzweckwaffe. Aufmerksamkeit war bei Mode stets wichtig, in Zeiten von Social Media ist sie essenziell. Bei Dolce & Gabbana musste man sich zwar eher das Lachen verkneifen, als dass man von den stacheligen Frisuren geschockt gewesen wäre. Aber wenn Häuser wie Chanel oder Cartier Punk-Elemente aufgreifen, erzeugt das immer noch einen gewissen Bruch. Auch wenn der kalkuliert ist.
Heute heisst es Fridays for future statt no future
Nicht zuletzt im übertragenen Sinne tat Punk der Mode sogar gut, nämlich als Haltung, die auf sämtliche Konventionen pfeift und sich alle Freiheiten nimmt. In dieser Hinsicht war Alexander McQueen vielleicht der grösste Punk unter den Designern. Das englische Arbeiterkind spielte nicht nur mit Totenköpfen, klassischem Schottenkaro und dem Abbild der Queen, sondern sprengte mit seiner oft aggressiven, aber immer kreativen Haltung ständig den Rahmen des bislang Denkbaren. Von dieser Art Punk könnte die Mode deutlich mehr gebrauchen statt noch einer Ladung Nieten auf Handtaschen.
«Punk fashion» gehörte laut der Plattform Etsy zuletzt zu den meistgesuchten Trends 2021. Allein die Suchanfragen nach Stachel-Halsbändern legten in den letzten drei Monaten um 879 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu. Auch nach Lederjacken, Fishnet-Strumpfhosen und Nietengürteln wurde deutlich öfter gefragt.
Multiple Krisen, Inflation, ein Planet mit angezählter Zukunft – Gründe zum Aufruhr gäbe es schliesslich mehr als genug. Obwohl die heutige junge Generation trotz allem ja deutlich optimistischer und nachhaltiger in die Zukunft blickt als damals: Fridays for future statt no future. Macht nicht kaputt, was euch kaputt macht, sondern bringt in Ordnung, was die Babyboomer verpfuscht haben. Eine Sicherheitsnadel ist so oder so nicht das schlechteste Symbol für diese irgendwie sehr kaputten Zeiten.
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