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Wie der Absturz nun rekonstruiert wird

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Undatierte Aufnahme einer fliegenden Junkers Ju-52 mit Schweizer Zulassung.
«Der schwierigste und schwärzeste Tag in der 36-jähigen Geschichte der Ju-Air»: Kurt Waldmeier, Gründer und CEO Ju-Air an der Pressekonferenz am 5. August 2018.
Unter den Opfern befinden sich 8 Paare und 4 Einzelpersonen: Die Kantonspolizei informierte in Flims über die bisherigen Erkenntnisse zum Absturz. (5. August 2018)
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Keine Blackbox, keine Radardaten, kein Notruf per Funk: Auf die Ermittler, welche die Absturzursache der Ju-52 aufklären müssen, wartet eine äusserst knifflige Aufgabe. Fluglehrer Matthias Schmid, der 18 Jahre lang für die Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) arbeitete, spricht von «Detektivarbeit».

Spuren gebe es immer. Auch beim Nostalgieflugzeug, das am Samstag um 16.50 Uhr am Piz Segnas fast senkrecht in die Tiefe stürzte. Schmid sind zuallererst die hohen Temperaturen aufgefallen, die am Samstag herrschten. Das bedeutet tiefer Luftdruck, was Motorenleistung und Auftrieb verringert – das Flugzeug hat weniger Reserven beim Manövrieren.

«Aber das weiss jeder Anfänger», sagt der Experte. Bei den erfahrenen Piloten, die letzte Woche die HB-HOT lenkten, erscheine ihm ein solcher Fehler auf den ersten Blick eher unwahrscheinlich: «Ich bin deswegen etwas ratlos.» Nun müssten die Kollegen der Sust einfach nüchtern ihre Arbeit machen, wie es die Polizei nach einem Verbrechen tue.

Unterm Mikroskop

Befragt werden erstens Augenzeugen, die über den Kurs des Flugzeugs Auskunft geben können. Indi­zien finden Experten aber auch im Wrack selbst. Sie schauen sich zum Beispiel die Überreste der analogen Messgeräte ganz genau an. Die Zeiger von Geschwindigkeits- oder Höhenmesser können beim Aufprall gegen die Schutzgläser geknallt sein, was Spuren hinterlassen kann. Forensische Dienste können unter dem Mikroskop die Aufprallstellen identifizieren – und so indirekt Erkenntnisse über Geschwindigkeit oder auch Füllstand der Tanks kurz vor dem Crash gewinnen. Dafür kann die Sust Experten beiziehen, etwa von der Stadtpolizei Zürich.

«Handy-Chips lassen sich auch dann noch auslesen, wenn sie durch den Absturz beschädigt wurden.»

Lionel Bloch, Geschäftsführer von Forentec, einem IT-Forensikunternehmen

Zu den Routinearbeiten gehört, was Schmid die «Papieruntersuchung» nennt – die Analyse der Wartungsdokumente. Wann revidierten die Mechaniker die Motoren? Welche Defekte hatte man bemerkt? Wie reparierte man sie?

Das Wrack selbst legen die Spezialisten in einer Halle aus und bringen es in eine «einigermassen flugzeugähnliche Auslegeordnung». Dann fragen sie sich: Welche Schäden stammen vom Aufprall, welche traten schon in der Luft auf? So lassen sich Rückschlüsse auf den Sturzablauf ziehen.

Video: Trümmer werden vom Absturzort abtransportiert

Standard ist laut Schmid auch die Obduktion der Piloten, nur schon, um mögliche medizinische Ursachen auszuschliessen.

Die elektronische Datenlage muss nicht so schlecht sein, wie man bei einem Flugzeug aus dem Jahr 1939 erwarten würde. Laut Cockpitfotos hatte HB-HOT ein modernes GPS-Gerät eingebaut, «und solche Geräte haben praktisch immer eine Memory-Funktion», sagt Schmid. Die Sust-Experten werden nun versuchen, den Chip des GPS zu bergen und auszulesen. Daraus lassen sich unter Umständen Informationen über Geschwindigkeit, Kurs und Flughöhe gewinnen.

Handydaten könnten helfen

Eine Erklärung des mysteriösen Absturzes könnten auch die ­Handys der Absturzopfer liefern. So ist denkbar, dass die Flugpassagiere Videoaufnahmen gemacht haben, während die ­Ju-52 am ­berühmten Martinsloch vorbeiflog.

IT-Forensiker Lionel Bloch glaubt durchaus, dass eine Auswertung der Handydaten zur ­Ermittlung der Absturzursache beitragen könne. Zunächst sei es wichtig, die Smartphones der Passagiere im Wrack und in ­dessen Umgebung sicherzustellen. Die Handys dürften zwar aufgrund des Aufpralls nicht mehr funktionstüchtig sein, so der Geschäftsführer von Forentec, einem IT-Forensikunternehmen. Wichtig seien aber nur die Datenträger. «Dank Spezialinstrumenten und langjähriger Erfahrung lassen sich diese Chips auch dann noch auslesen, wenn sie durch den Absturz beschädigt, nass oder verbrannt wurden.»

Die nächste Hürde für die ­Ermittler ist, dass die Daten oft verschlüsselt sind. «Am einfachsten ist die Entschlüsselung, wenn man den PIN von Angehörigen der Opfer erhält», sagt Bloch. Ohne diese Hilfe sei es namentlich bei iPhones sehr anspruchsvoll, die auf der Telefonplatine direkt integrierte Verschlüsselung zu knacken.

«Wenn die Handys im Flugmodus waren, dürfte die Datenlage noch etwas schwieriger sein.»

Lionel Bloch, IT-Forensiker

Welche Daten sich auf den Handys der Passagiere befänden, hängt laut Bloch primär von den auf den Smartphones gespeicherten Apps ab. Die Hersteller der Geräte würden zwar viele unterschiedliche Sensoren einbauen. Diese zeichneten jedoch nur Informationen auf, wenn sie durch entsprechende Apps angesteuert würden.

Zu den klassischen Informationen, welche von Smartphones im Hintergrund standardmässig aufgezeichnet werden, zählen die Geolocation-Angaben, also GPS-Daten. Auch Kompassinformationen und Temperaturangaben würden oft abgespeichert. «Wenn die Handys im Flugmodus waren, dürfte die Datenlage noch etwas schwieriger sein. ­Viele Applikationen, die im Hintergrund normalerweise mitlaufen, sind im Flugmodus deaktiviert.»

Für Matthias Schmid ist vor allem eines nötig, um das Rätsel des Absturzes der HB-HOT zu entschlüsseln: Zeit. «Eine seriöse Untersuchung dauert mindestens ein Jahr. Eher zwei.»

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Video: Die schlimmsten Flugzeugabstürze in der Schweiz