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Gegen den Willen Delhis
Wie China den indischen Smartphone-Markt dominiert

Handymegamarkt Indien: Bauern während einer Protestkundgebung im Bundesstaat Uttar Pradesh Mitte Dezember.
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Wenn nur die Menschen nicht wären, man könnte so schön produzieren und Gewinne maximieren. Andererseits sind Menschen auch Konsumenten, und nirgends spürt man das so deutlich wie derzeit in Indien. So berichtete die in Mumbai sitzende «Economic Times» in der vergangenen Woche unter der Überschrift «globalisierter Ärger» über Mitarbeiter des taiwanesischen Herstellers Wistron, die in Karnataka, Indien, ihre Fabrik zerlegten, nachdem ihre Löhne willkürlich gekürzt worden waren. Wistron stellt in Indien Bauteile für iPhones her.

Der Aufstand kommt zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt, denn in Indien ist ein Wettlauf um die Anteile in dem gigantischen Markt mit über einer Milliarde potenzieller Kunden entbrannt. Wegen Grenzkonflikten im Himalaja hatte die Regierung in Delhi im März 2020 beschlossen, eine sogenannte Entkoppelung der indischen und chinesischen Märkte anzustreben. Schon im April legte die regierende Bharatiya Janata Party (BJP) das «Production Linked Incentive» (PLI) auf, das Programm lässt sich etwa mit «Produktionskoppelungsanreize» übersetzen. Es soll lokale Fertigungsketten fördern und betrifft unter anderem die Bereiche Mobilfunk, Arzneien, Automobile, Batterien, Textilien, Ernährung, Solarprodukte und Stahl.

Smartphones kommt eine besondere Bedeutung zu, weil Indien nicht nur Hersteller, sondern gleichzeitig ein Mobilfunkmarkt von 1,3 Milliarden Menschen ist, der zweitgrösste der Welt – nach China. Etwa 760 Millionen Inderinnen und Inder werden nach Schätzungen im kommenden Jahr ein Smartphone besitzen, mit dem sie nicht nur telefonieren, sondern auch spielen, chatten, einkaufen, ins Internet gehen und ihren Zahlungsverkehr abwickeln können.

Ideal für Handelskriege

Ravi Shankar Prasad, der als Minister für die BJP unter anderem für Elektronik, Informationstechnik und Kommunikation zuständig ist, erklärte Anfang Dezember bei der jährlichen Generalversammlung der Industrie- und Handelskammern, die per Videokonferenz abgehalten wurde: «Wir wollten, dass Indien zum zweitgrössten Mobilgerätehersteller der Welt wird – nun möchte ich Indien dazu antreiben, China zu überholen.» Der Zukunftsmarkt mobile Kommunikation eignet sich besonders gut für Handelskriege. Nachdem der Grenzstreit im Sommer eskaliert war, sperrte Indien über 200 chinesische Apps, unter anderem den populären Social-Media-Dienst Tiktok und den Messenger Wechat.

Seitdem müssen indische Jugendliche die Apps der US-amerikanischen Konkurrenten nutzen. Im Oktober liess Prasads Ministerium 16 geeignete Bewerber aus der Hightechindustrie für die PLI-Fördermassnahmen zu, um den Anteil von Elektronikprodukten made in India schnell zu steigern. Das ermuntert einerseits Firmen wie Samsung (Südkorea), Foxconn, Wistron und Pegatron (alle Taiwan), in Indien zu produzieren. Es sollen aber auch indische Smartphone-Hersteller wie Lava, Bhagwati, Padget Electronics, UTL, Neolyncs und Optiemus Electronics wachsen – und, wenn es nach dem Willen des Ministeriums geht, zu «nationalen Champions» in der Smartphone-Produktion werden.

Ein Gigabyte kostet hier etwa 0,26 Dollar – der globale Durchschnittspreis liegt bei 8,53 Dollar.

Im dritten Quartal 2020 wuchs der Smartphone-Absatz in Indien um 8 Prozent, 50 Millionen Geräte wurden allein in diesem Zeitraum verkauft, ein neuer Rekord, auch bedingt durch die Corona-Pandemie. Der Marktführer Xiaomi setzte etwa 13,1 Millionen Smartphones ab, Samsung 10,2 Millionen, Vivo noch 8,8 Millionen, Realme 8,7, Oppo 6,1 Millionen. Mit Ausnahme von Samsung sind alle diese Hersteller chinesisch. 36,7 Millionen Geräte wurden also in dieser Zeit aus China importiert, obwohl seit Sommer eine Regierungskampagne läuft, in der Inderinnen und Inder dazu aufgefordert werden, keine chinesischen Produkte mehr zu kaufen, in sozialen Medien gegen chinesische Firmen getwittert und vor Fabriktoren protestiert wird. Der gesamte Marktanteil chinesischer Smartphones in Indien wuchs trotzdem noch von 74 Prozent im Jahr 2019 auf nun 76 Prozent.

Dass Apple nicht in diesem Ranking auftaucht, obwohl an mehreren Standorten in Indien iPhones produziert werden, und dass die Spitzenreiter wiederum in Europa kaum bekannt sind, hat denselben Grund: Es handelt sich bei iPhones um Luxusgeräte, die im indischen Massenmarkt kaum eine Rolle spielen. Apple hat zwar eine Marktoffensive gestartet und zumindest einen Onlineshop in Indien eröffnet, pünktlich vor dem hinduistischen Lichterfest im November, das vom Konsumverhalten her durchaus mit dem christlichen Weihnachten zu vergleichen ist.

Kaum irgendwo auf der Welt sind die Datentarife günstiger als in Indien.

Aber iPhones bleiben in einem Segment mit Porsche und Rolex. Apple und Samsung versuchen zwar, teurere Markenprodukte zu etablieren, aber laut einer Marktforschung der International Data Group aus dem vergangenen Jahr kaufen Inderinnen und Inder vorwiegend günstige bis mittelpreisige Geräte. Der durchschnittliche Anschaffungspreis für ein Smartphone stand 2019 bei umgerechnet 159 Dollar, das Preissegment unter 200 Dollar deckte 78 Prozent des indischen Marktes ab.

Der Wettbewerb ist auch bei den Telekommunikationsanbietern hart. Laut einem Report der BBC kann man derzeit in kaum einem Land günstiger mobile Daten laden als in Indien. Ein Gigabyte kostet hier etwa 0,26 Dollar – der globale Durchschnittspreis liegt bei 8,53 Dollar. Smartphone- und Mobilfunkanbieter sind in einem beinharten Wettbewerb, weswegen die Menschen in Indien auch häufig den Anbieter wechseln und sich ein besseres Smartphone anschaffen, wenn das alte erst ein halbes Jahr alt ist. Das ist aus Umweltgesichtspunkten nicht schön, aber die Wirtschaft profitiert davon. Man kann den 760 Millionen und mehr potenziellen Kunden immer neue Smartphones verkaufen, der Markt wird nicht so schnell gesättigt.

Auch deswegen versucht die Regierung nun, die Binnennachfrage mit einem Binnenangebot zu bedienen, einerseits um Hightech im Inland zu fördern, andererseits aber um die Gewinne und das Know-how nicht weiter dem übergrossen Nachbarn zu überlassen. Ravi Shankar Prasad legte am 16. Dezember im TV-Sender NDTV noch mal nach: «Um eine integre Produktionskette zu gewährleisten, wird die Regierung bald eine Liste mit vertrauenswürdigen Quellen und Produkten bekannt geben.» Chinesische Hersteller werden darauf mutmasslich nicht zu finden sein.