Das Wetterjahr 2023Schneearmer Winter, Downburst im Juli und ein extrem warmer Herbst
Eigentlich gab es nur zwei Jahreszeiten dieses Jahr. Was das Wetter und Klima in der Schweiz und auf dem Globus zu bieten hatte.
Hätte sich Antonio Vivaldi für sein bekanntestes Werk durch das Wetter des verflossenen Jahres inspirieren lassen, «Die vier Jahreszeiten» hätten wohl anders geklungen. Die Akkorde des farbigen Herbstes hätten gefehlt, die Noten des kalten Winters kaum gepasst. Eigentlich gab es nur zwei Jahreszeiten.
2023 ist zwar in der Schweiz mit 1,4 Grad über der Norm knapp nur das zweitwärmste Jahr nach 2022, weltweit hingegen ist 2023 rekordwarm. So lag die Durchschnittstemperatur an mehr als einem Drittel aller Tage über 1,5 Grad höher im Vergleich zur vorindustriellen Zeit, berichtet der europäische Klimadienst Copernicus. «Dass vorherige Rekorde auf globaler Skala um 0,4 Grad gebrochen wurden, ist einzigartig und überraschend», sagt ETH-Klimaforscher Erich Fischer. Was genau dahinterstecke, sei noch nicht verstanden. Das gilt auch für die rekordhohen Temperaturen im Nordatlantik und im Mittelmeer.
Nicht nur global gab es einzigartige Ereignisse im Wetterkalender. Auch in der Schweiz.
Winter: Extremer Schneemangel
Auch wenn wir uns allmählich an schneearme und warme Winter gewöhnen. Verschneite Bäume und bitterkalte Tage sollten eigentlich das Bild des echten Winters prägen. Doch die Wintermonate 2022/23 sind mild, die Temperaturen liegen 1,3 Grad über der Norm von 1991 bis 2020. Das ist zwar nur Platz 8 auf der langen Rangliste seit Messbeginn 1864. Doch lokal gibt es Rekorde: Subtropische Luft brachte in den Tagen von 2022 auf 2023 nördlich der Alpen ungewöhnliche Wärme. Zum Beispiel misst Meteo Schweiz am 1. Januar in Delsberg 20,2 Grad, in Vaduz 20 Grad. Das sind die höchsten gemessenen Januar-Tagesmaxima seit Messbeginn.
Das milde Wetter liest sich auch in der schmalen Schneedecke. Starke Hochdruckgebiete über Westeuropa versperren den Weg von kalter, feuchter Luft auf den Kontinent. Zusammen mit der Wärme fallen starke Schneefälle aus. Zum Beispiel in Arosa auf rund 1880 Meter Höhe. Die mittlere Schneehöhe von Dezember bis Februar betrug nur 30 Zentimeter. Das gilt auch für viele andere Orte.
Das Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in Davos berichtet, dass in den vergangenen 70 Jahren oberhalb von 1000 Meter Höhe an etwa 40 Prozent der Messstationen noch nie so wenig Schnee lag. Besonders betroffen ist der Süden der Schweiz. Er gibt dort nun schon seit zwei Jahren eine «ausgeprägte Niederschlagsarmut», heisst es im Bericht von Meteo Schweiz.
Schneearme Winter gibt es immer wieder. Doch in der Regel gleicht später Schneefall das Defizit aus. «In Zeiten des Klimawandels mit seinen warmen Temperaturen ist die Chance auf umfangreiche Schneemengen nur noch in grosser Höhe gegeben», erklärt das SLF. Das reiche allerdings nicht, um den jeweiligen Rückstand aufzuholen.
Frühling: Zu wenig nass
Auch der März zeigt sich von seiner milden Seite. Dafür sind die Temperaturen im April mehr als ein Grad unter dem langjährigen Durchschnitt. Es ist das erste Mal seit einem halben Jahr, dass dies der Fall ist. Die ersten beiden Frühlingsmonate bringen endlich die von den Hydrologen gewünschten Niederschläge – vor allem in der Ostschweiz, in Graubünden und im Wallis. In Vaduz zum Beispiel melden die Meteorologen den nassesten Frühling seit 1961. Wenig Regen fällt hingegen in der West- und Südschweiz. Der Mai geht als regnerischer Monat in die meteorologischen Annalen ein.
Klimatologisch bemerkenswert ist: Seit Mitte der 1980er-Jahre ist der Wonnemonat stets etwas wärmer geworden. Heute schwanken die Maitemperaturen um einen Durchschnitt, der 2 Grad höher liegt als vor den 1980er-Jahren.
Die Vegetation entwickelt sich unterschiedlich. Die Obstbäume beginnen zur üblichen Zeit zu blühen, Wiesenblumen wie Löwenzahn oder Margeriten hingegen 3 bis 7 Tage früher als sonst.
Aber: Trotz der vielen Regentage bleibt die Niederschlagssumme in grossen Teilen der Schweiz bescheiden, teilweise sogar deutlich unter der Norm. Das hat Konsequenzen für den Sommerbeginn.
Sommer: Hitzewellen und ein Megasturm
«Im Norden Regen gesucht» titelt Meteo Schweiz in ihrem Wetterblog. Nördlich der Alpen regnet es seit gut über drei Wochen kaum, regional manchmal wenige Millimeter. Mehrere Messstellen im zentralen und im östlichen Mittelland registrieren bisher keinen Millimeter Regen. Der Grund: Ein Hochdruckgebiet bestimmt beharrlich das Wetter in der Schweiz.
So sinken die Pegel in Flüssen und Seen vor allem in der Nordostschweiz. Schiffe auf dem Rhein sind im Juli mit reduzierten Ladungen unterwegs, weil der Fluss wenig Wasser führt. Auch die Feuchtigkeit in den Böden weisen im Mittelland gebietsweise wieder ein Defizit auf, wie das Trockenheitsmonitoring des Forschungsinstituts WSL und der ETH Zürich zeigt. Die Schneeschmelze ist in diesem Jahr keine grosse Hilfe, weil in diesem Winter ungewöhnlich wenig Schnee in den Alpen fiel.
Die Sonne scheint lokal so lange wie noch nie: zum Beispiel in Basel mit über 320 Stunden oder in Luzern mit 290 Stunden.
Die Wärme im Juni ist erst der Anfang. Es folgt die Zeit der Hitzewellen. Es purzeln Anfang Juli an manchen Orten nördlich der Alpen Rekorde. In Chur zum Beispiel steigt die Temperatur auf den Tageshöchstwert von 37,6 Grad.
Im August folgt eine weitere Hitzeperiode, die ab Mitte des Monats zu einem «Hitzedom» anwächst. Meteo Schweiz ordnet ein: In der Schweiz gab es zu dieser Jahreszeit noch nie eine so lange und intensive Hitzeperiode. Herausragend: Genf verzeichnet mit 39,3 Grad den höchsten Tageswert in der Schweiz. 20 weitere Orte melden ebenfalls Augustrekorde. In der Schweiz gab es zu dieser Jahreszeit noch nie eine so lange und intensive Hitzeperiode, weder auf der Alpennord- noch auf der Alpensüdseite. Die Hitze erreicht ihr Maximum am 24. August. Genf meldet den schweizweiten Höchstwert von 39,3 Grad.
Von der Hitze lenkt am 24. Juli kurz ein ungewöhnliches Wetterphänomen ab. Ein extremer Gewittersturm, die Fachleute reden von «Downburst», hinterlässt in La Chaux-de-Fonds grosse Schäden an Gebäuden und Fahrzeugen. Eine extrem starke Abkühlung führt zu einer Gewitterfallböe mit einer Geschwindigkeit von über 200 Stundenkilometern. «Das Ereignis ist sehr komplex und kam ohne Warnung», sagt ETH-Klimaforscher Erich Fischer.
Und noch ein Ereignis ist für die Geschichtsbücher: In der Nacht vom 20. auf den 21. August erreicht die Nullgradgrenze über der Schweiz die Rekordhöhe von 5298 Meter über Meer. «Mit einer Erwärmung von 0,6 Grad steigt die Nullgrad- und Schneefallgrenze um 100 Meter an, und somit liegt sie heute schon 400 Meter höher», sagt Erich Fischer.
Herbst: Extreme Wärme
Der Sommer erstreckt sich weit in den Herbst hinein. Die Temperaturen liegen 2,2 Grad über der Norm, es ist der zweitwärmste Herbst nach 2006. An mehreren Messstandorten auf der Alpennordseite gibt es jedoch eine Rekordwärme. Wieder ist Genf auf der Liste mit 2,4 Grad über der Norm. Die Stadt registriert zudem sechs Hitzetage.
Aufgefallen ist das Tagesmaximum auf dem Weissfluhjoch (2691 Meter): 20,5 Grad. Auch die Nullgradgrenze steigt wieder extrem – auf das zweithöchste je gemessene Niveau. Ungewöhnlich lang scheint die Sonne auch in der ersten Oktoberhälfte. In Luzern waren es im Herbst 440 Stunden – ein Rekord.
Dennoch geht der Herbst nicht nur als sonnenreiche Zeit in die Annalen ein. Dafür ist der November verantwortlich. Es gibt Gebiete, in denen 50 bis 80 Prozent mehr Regen fällt als normal. Es ist in der Nord- und Nordostschweiz mancherorts der nasseste November, wie Meteo Schweiz berichtet.
Das schneearme Jahr hat auch Konsequenzen für die Schweizer Gletscher im Alpenraum. Die Wärme kann das Eis besser angreifen. Die Folge: Das Volumen nimmt 2023 um weitere 4 Prozent ab. Bereits 2022 schmolz das Eis um 6 Prozent.
Winter 2023/24: Wird er wieder warm?
Hochwasser im Dezember sind eigentlich selten. Umso mehr überrascht, dass West- und Nordwestwinde Anfang Dezember erheblich Regen bringen und in der Aare, im Rhein bei Basel oder im Bielersee Hochwasser verursachen. An manchen Orten so viel, wie es sonst im ganzen Monat zu erwarten ist. Das passt ins Bild, das die Klimaforscher für die Zukunft zeichnen: häufigere Hochwasser im Winter.
Auch wenn es im Mittelland nach starken Schneefällen wieder grün ist, so liegt doch im Vergleich zum letzten Winter in den Alpen mehr Schnee. Dennoch könnte auch dieser Winter so mild werden wie im letzten Jahr. Auch wenn das nur Spekulationen sind, so gibt es Faktoren, die darauf hinweisen – mit sehr grossen Unsicherheiten, versteht sich. Meteo Schweiz zum Beispiel geht im Moment noch aufgrund der Klimatologie und der bisherigen Entwicklung des Winters davon aus, dass wir zumindest im Januar weniger heizen müssen als normal. Das Wetterphänomen El Niño im Pazifik könnte auch das Wetter in Europa beeinflussen. Die Modelle des Europäischen Zentrums für längerfristige Vorhersagen tendieren eher Richtung milder Winter.
Aber vielleicht macht uns der Polarwirbel über der Arktis für kurze Zeit einen Strich durch die Rechnung. Es gibt Anzeichen, dass er sich Mitte Januar abschwächen könnte. Wenn seine Schwäche bis an die Erdoberfläche durchdringt, wäre aber eher kalte Polarluft zu erwarten.
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