Sitzverteilung im BundesratWer die Macht hat, definiert die Zauberformel
Die SP will ihre beiden Bundesratssitze verteidigen, die Grünen wollen einen Sitz erobern. Wird nun an der Zauberformel gerüttelt? Das sind die möglichen Szenarien.
Christoph Blocher verlässt nach seiner Abwahl wütend den Saal: Dieses Bild blieb von der Gesamterneuerungswahl im Jahr 2007 in Erinnerung. Vier Jahre vorher hatte die SVP den Sitz von CVP-Bundesrätin Ruth Metzler erobert. Seit diesen denkwürdigen Wahlen wird mit allem gerechnet.
Im Dezember ist es wieder so weit. Die Ausgangslage: Die SP will ihre beiden Bundesratssitze verteidigen, die Grünen möchten einen Sitz erobern. Aus Sicht der Linken ist der rechtsbürgerliche Block im Bundesrat gemessen am Wähleranteil derzeit übervertreten. Ihre Überlegung: Die SVP mit 25,6 Prozent und die FDP mit 15,1 Prozent haben zusammen einen Wähleranteil von 40,7 Prozent, also weniger als die Mehrheit. Im Bundesrat aber stellen sie mit vier Sitzen die Mehrheit.
FDP und SVP gegen «Blockdenken»
Die SVP und die FDP lehnen diese Sichtweise ab. Sie verstehen die Zauberformel so, dass die drei wählerstärksten Parteien Anrecht auf zwei Bundesratssitze haben, während die viertstärkste Partei einen Sitz erhält. Also so, wie es heute ist. «Ein Blockdenken wäre neu», sagt FDP-Präsident Thierry Burkart. Er hält den Ansatz nicht für sinnvoll. Auch die SVP vertritt das Konzept der arithmetischen Konkordanz, gemäss dem die SP ihre beiden Sitze behalten kann, sofern es bei den nationalen Wahlen keine grossen Veränderungen gibt.
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Anrecht auf einen Bundesratssitz haben die Grünen oder die Grünliberalen aus Sicht der FDP und der SVP höchstens dann, wenn es einer der beiden Parteien gelingt, zur viertstärksten Partei zu werden. Die Grünen oder die Grünliberalen müssten bei den nächsten Wahlen also nochmals zulegen, oder die Mitte-Partei – die nur wenig stärker ist als die Grünen – müsste verlieren. Allerdings ist gemäss bisherigen Umfragen eher damit zu rechnen, dass die Grünen etwas verlieren.
«Jeder glaubt, die richtige Formel zu haben.»
Thierry Burkart fügt an, dass die FDP kein Bundesratsmitglied ohne Not abwählen würde. Diesen Grundsatz vertritt auch die Mitte-Partei. Auf Veränderung drängt sie genauso wenig wie die FDP und die SVP: Sofern sich die Kräfte bei den Wahlen nicht wesentlich veränderten, habe die SP Anrecht auf den zweiten Sitz, sagt Mitte-Präsident Gerhard Pfister.
«Eine rein machtpolitische Frage»
Der Politologe Georg Lutz sagt dazu: «Das bürgerliche Machtkartell hat Interesse am Status quo. Alle stehen zwar zur Konkordanz. Doch jeder interpretiert die Konkordanz so, dass es den eigenen Interessen am besten dient.» Klar sei nur, dass die Parteienstärke für die Zauberformel eine Rolle spiele. Rein mathematisch ist – Stand heute – die FDP im Bundesrat am stärksten übervertreten, gefolgt von der SP.
Politiker und Politologen bringen aber zuweilen andere Kriterien ins Spiel, etwa die Anzahl der Ständerats- oder gar der Regierungsratssitze. «Jeder glaubt, die richtige Formel zu haben», sagt Lutz. Doch diese Diskussion sei eher für die Galerie. «Am Ende ist es eine rein machtpolitische Frage.» Durchsetzen werde sich nicht die beste Formel, sondern das, was die bürgerliche Mehrheit im Parlament wolle.
Nicht ausgeschlossen ist, dass auf das Ende der Legislatur ein weiteres Bundesratsmitglied zurücktritt. Am längsten im Amt ist nach Berset SVP-Bundesrat Guy Parmelin. Fraktionschef Aeschi schliesst einen Rücktritt des Waadtländers allerdings aus. Er rechne damit, dass sich Parmelin im Dezember nochmals für eine Legislatur zur Verfügung stelle. Eine doppelte Vakanz dürfte ohnehin nichts ändern: Das Anrecht der SVP auf zwei Sitze wird von der Mehrheit des Wahlgremiums nicht bestritten.
Die Szenarien im Überblick:
Die SP kann den zweiten Sitz halten
Gibt es keine grösseren Verschiebungen bei den Wahlen im Herbst, ist «Status quo» das wahrscheinlichste Szenario.
Die Grünen erhalten einen SP-Sitz
Dieses Szenario ist dann realistisch, wenn die Grünen bei den Wahlen erneut zulegen können oder wenn die SP verliert. Die Umfragen deuten bislang nicht darauf hin.
Die Grünen erhalten einen FDP-Sitz
Dass sich die bürgerliche Mehrheit im Parlament dafür entscheidet, ist wenig wahrscheinlich. Die FDP und Die Mitte wollen keine amtierenden Bundesratsmitglieder abwählen.
Die Grünen erhalten einen SP-Sitz und die Grünliberalen einen FDP-Sitz
Diese Lösung wäre zwar rein mathematisch gerecht, dürfte aber nicht im Interesse der Mehrheit im Parlament sein.
Kommt es zur Rochade?
Bundesratswahlen eröffnen die Möglichkeit, die Aufgaben im Bundesrat neu zu verteilen. Da das EDI ein Schlüsseldepartement ist, das die SP nun seit zwölf Jahren besetzt, könnten die bürgerlichen Parteien an einem Wechsel interessiert sein. Offen signalisiert dies keine der bürgerlichen Parteien, zumal die Departementsverteilung in der Kompetenz des Bundesrats liegt.
Von den amtierenden Bundesratsmitgliedern kommt am ehesten Aussenminister Ignazio Cassis für das Eidgenössische Departement des Inneren (EDI) infrage. Cassis beschäftigte sich als Nationalrat mit den Sozialversicherungsdossiers. Besonderes Interesse hatte der ausgebildete Arzt an der Krankenversicherung. Die Frage ist allerdings, ob Cassis das Aussendepartement tatsächlich aufgeben will. Dafür sprechen könnte, dass er bislang wenig zählbare Erfolge in der Aussenpolitik aufweisen kann, insbesondere beim verfahrenen EU-Dossier.
Ebenfalls Erfahrungen mit Sozialpolitik hat Wirtschaftsminister Guy Parmelin. Er präsidierte als Parlamentarier die nationalrätliche Sozialkommission. Ob er nochmals das Departement wechseln will, ist aber fraglich. Bleibt Mitte-Bundesrätin Viola Amherd: Sie übernahm nach ihrer Wahl das Verteidigungsdepartement nicht freiwillig, könnte also an einem Wechsel interessiert sein. Allerdings steht sie vor ihrem Präsidialjahr, was gegen einen Wechsel spricht. Auch hatte sie sich als Nationalrätin nie vertieft mit Sozialpolitik beschäftigt. Amherd hatte ausserdem bereits Gelegenheit, ins Umwelt- und Energiedepartement zu wechseln, verzichtete aber.
Die anderen drei kommen für einen Wechsel kaum infrage. Elisabeth Baume-Schneider und Albert Rösti sind erst kurz im Amt, und Karin Keller-Sutter hat Anfang Jahr ihr Wunschdepartement erhalten.
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