Interview mit Schweizer Retterin«Wenn man die Dankbarkeit sieht, Menschen mit Tränen – das berührt mich sehr»
Hundeführerin Monika Suter war fast eine Woche lang im türkischen Erdbebengebiet im Einsatz. Nun erzählt sie, was sie dort mit ihrer Hündin Nukka erlebt hat.
Am Montagabend sind Sie nach dem fast einwöchigen Einsatz in der Türkei zurückgekehrt. Wie geht es Ihnen, Frau Suter?
Mir geht es gut, danke. Als ich am Montag nach Hause gekommen bin, habe ich zuerst Nukka unter die Dusche gestellt, um all den Staub und den Dreck, der sich in ihrem Fell angesammelt hat, abzuwaschen. Dann bin ich unter die Dusche gestanden und ging direkt ins Bett, um zu schlafen.
Bei Ihrer Ankunft am Flughafen Zürich wurden Sie von Türken und Türkinnen empfangen. Einige hatten Schilder dabei, auf denen «Danke» und «Ihr seid die wahren Helden» standen. Wie war das für Sie?
Für mich persönlich war es keine grosse Sache, in die Türkei zu gehen und den Menschen dort zu helfen. Wenn man dann aber beim Empfang die Dankbarkeit sieht und die Menschen sogar Tränen in den Augen haben, weil wir das auf uns genommen haben – das berührt mich sehr.
Wie haben Sie erfahren, dass Sie für den Einsatz in der Türkei aufgeboten werden?
Ich hatte am Sonntag gerade Nachtdienst, als der Anruf vom Redog-Einsatzleiter kam. Ich arbeite hauptberuflich als Pflegefachfrau auf einer Intensivstation. Der Einsatzleiter suchte Hunde und Hundeführerinnen, die einsatzfähig und bereit waren, in das Katastrophengebiet zu fliegen.
Was ging Ihnen in dem Moment durch den Kopf?
Mein erster Gedanke war: Was muss ich alles packen? Habe ich alles zu Hause, was ich brauche? Dann habe ich meine Vorgesetzten informiert und bin sofort heim. Beim Packen ging dabei fast die Hälfte des Gepäcks für Hundefutter und Wasser für meine sechsjährige Hündin Nukka drauf. Kurz vor Mittag wurde ich dann informiert, dass Redog mich definitiv in die Türkei mitnimmt. Ich war sehr aufgeregt, es war mein erster Einsatz.
Wie sind Sie in das Erdbebengebiet gereist?
Wir waren zehn Personen mit sechs Hunden und sind mit der Rega geflogen. Um etwa 2 Uhr am Morgen landeten wir in Andana, rund 200 km entfernt von unserem Einsatzgebiet. Dann fuhren wir mit einem Personenbus nach Iskenderun, wo wir auf dem Militärgelände untergebracht wurden. Dort haben wir dann gezeltet.
Was war Ihr erster Eindruck, als Sie im Katastrophengebiet angekommen sind?
Als wir um etwa 4 Uhr morgens ankamen, war es sehr kalt und nass – es war um die null Grad. Dann ging es für mein Team, das aus dem Equipenleiter, einem Paramediziner und drei Hundeführern mit ihren Hunden bestand, auch schon los zu einem Schadenplatz. Als ich die ersten zusammengefallenen Hochhäuser und die Leute gesehen habe, die Angehörige und ihr Hab und Gut verloren haben, war ich sprachlos. Was ich da sah, ging tief. Da war Verzweiflung und Trauer, aber zugleich auch Hoffnung. Man kann sich das gar nicht vorstellen. Innerhalb von zwei Minuten haben sie alles verloren.
Wie lief die Suche nach Überlebenden genau ab?
Unsere Aufgabe ist es, den Rettungsteams zu sagen, wo sie weitergraben müssen. Dafür ist eine enge Zusammenarbeit gefragt. Der Equipenleiter sagt, wo man sucht, und bestimmt auch, in welcher Reihenfolge die Hunde suchen sollen. Dann beobachtet er das Verhalten der Hunde und sagt, wo sie weitersuchen müssen, wenn die Hunde etwas anzeigen. Es kommt aber fast nie zu einer Anzeige. Darum ist es auch sehr kräftezehrend für den Hund, weil er selten Erfolg hat. Er muss dennoch motiviert bleiben und genaue Arbeit leisten.
«Darum ist es auch sehr kräftezehrend für den Hund, weil er selten Erfolg hat. Er muss dennoch motiviert bleiben und genaue Arbeit leisten.»
Die Einsätze sind also auch für die Hunde eine grosse Belastung?
Ja, in vielerlei Hinsicht. Nur schon beim Schlafen sind die Hunde nicht in ihrer gewohnten Umgebung und müssen mit uns im Bus oder im Zelt übernachten. Sie haben nicht ihren normalen Tagesablauf, und auch die Gerüche, Geräusche und die Leute sind anders. Auch die Emotionen der Menschen bekommen die Hunde mit. Sie merken natürlich auch, dass wir Hundeführerinnen anders sind als sonst. Mit der Zeit kommt noch der Leichengeruch hinzu – das sind alles Dinge, die man im Voraus nicht üben kann.
Woran erkennen die Hunde, ob sich unter Trümmern noch ein Mensch verbirgt?
Sie riechen das. Sie lernen, lebende Leute zu riechen. Leichen zeigen sie nicht an, manche Hunde meiden sie sogar. Denn schon von der ersten Minute an nach dem Tod laufen Prozesse ab, bei denen die Zellen zerfallen. Im Training lernen die Hunde spielerisch, Menschen zu finden.
Wie zeigen die Hunde, dass sie eine lebende Person gefunden haben?
Die Anzeige ist ein Bellen oder ein Kratzen, manchmal auch eine Kombination aus beidem.
Wie vielen Menschen konnten Sie das Leben retten?
Unsere Equipe konnte fünf Menschen retten. Die erste eindeutige Anzeige geschah am ersten Morgen nach unserer Ankunft. Dadurch konnten vier Menschen lebend gerettet werden. Am Samstag hatten wir dann nochmals eine Anzeige, sodass am Sonntagabend eine Frau lebend gerettet werden konnte. Nach über 100 Stunden und bei diesen kalten Temperaturen grenzt das an ein Wunder.
Was wird Ihnen vom Einsatz am meisten in Erinnerung bleiben?
Die Verzweiflung. Und wie viele der Menschen aus Dankbarkeit dennoch ihre letzte Suppe mit uns teilen wollten.
Gab es auch einmal kritische, gefährliche Situationen?
Der Equipenleiter war sehr auf unsere Sicherheit bedacht. Er hat die Trümmerlage inspiziert und uns und die Hunde nur auf die Trümmer gelassen, wenn er sie für sicher befand. Das heisst natürlich nicht, dass bei einem starken Nachbeben nie etwas verrutscht. Nach einem Einsatz haben wir uns sofort in unseren Personenbus zurückgezogen. Ich wurde nie persönlich bedroht und hatte auch nie Angst – aber die Lage war sehr angespannt, auch wie die Menschen untereinander reagierten.
«Wenn mich der Alltag aber wieder packt, wird der Einsatz immer weiter in die Ferne rücken.»
Was zeichnet Sie und Ihren Hund aus, dass Sie im Duo so gut funktionieren?
Wir verstehen uns einfach gut und passen zusammen. Ich bin auch kein Mensch, der schnell nervös wird, und ich gebe keine unklaren Kommandos. Nukka lässt sich zudem sehr gut führen und ist arbeitsfreudig. Es ist wirklich schön, dass ich mit ihr zusammenarbeiten darf.
Wie gehen Sie während eines Einsatzes mit dem Stress um, den Sie erleben? Hat es geholfen, dass Nukka an Ihrer Seite war?
Ja, sehr, ich habe mich nie alleine gefühlt. Sie hat mir zugehört, ich konnte sie knuddeln und streicheln. Ich glaube, wir waren beide froh, dass wir die Aufgabe zusammen bewältigen konnten. Zudem hilft mir sicher meine Arbeit auf der Intensivstation, mit solchen Stresssituationen umzugehen.
Wie wurde entschieden, dass der Einsatz jetzt beendet ist? Wie lange sucht man nach Überlebenden?
Wie das genau entschieden wurde, weiss ich nicht. Wir haben aber immer weniger Überlebende gefunden. Die Chancen, nach all diesen Tagen noch jemanden zu finden, waren gering. Am Sonntag hatten wir noch genau einen Einsatz, weshalb uns gesagt wurde, dass wir vermutlich am Montag zusammen mit der Rettungskette nach Hause fliegen würden.
Wie verarbeiten Sie das Erlebte in der Türkei jetzt?
Das ist schwierig zu sagen. Jetzt gehe ich erst mal in die Ferien, geniesse die Sonne und gehe mit Nukka spazieren. In den nächsten Wochen werde ich sicher noch von meiner Familie und Freunden zu meinen Erlebnissen befragt – darüber zu reden hilft sicher. Wenn mich der Alltag aber wieder packt, wird der Einsatz immer weiter in die Ferne rücken.
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