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Folgen des Bürgerkriegs in Sri Lanka
Wenn die Wunden nicht heilen

100’000 Menschen starben im Bürgerkrieg: Friedhof mit getöteten Rebellen der Tamil Tigers. 
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Die Familien der Vermissten auf Sri Lanka finden keinen Frieden. Und die Angst, ihren Schmerz offen zu zeigen, macht für sie alles noch schlimmer. Nicht alle Betroffenen wagen es, gegen das Vergessen zu demonstrieren, so wie es einige Angehörige kürzlich wieder in Mullaitivu im Nordosten der Insel taten. Die Regierung in Colombo sieht so etwas nicht gern. Die Familien der Opfer hissten schwarze Flaggen. «Wir haben Gerichte angerufen, aber keine Gerechtigkeit erfahren», klagte Mariyasuresh Easwary, Vorsitzende eines Opferverbands, im Newsportal Tamil Guardian. Die Wunden des 26-jährigen Bürgerkriegs in Sri Lanka, der etwa 100’000 Menschenleben forderte, sie heilen nicht.

Mehrheitlich ist die Insel von Singhalesen bewohnt, viele von ihnen haben den Sieg über die separatistischen Rebellen der Tamil Tigers 2009 als Rettung ihres Staats gefeiert. Für sie sind die Sieger auf dem Schlachtfeld Nationalhelden. Viele wollen, nach all dem Leid, das Menschen auf allen Seiten des Konflikts widerfuhr, nach vorn blicken. Aber geht das überhaupt, wenn man gleichzeitig einer ethnischen Minderheit die Aufarbeitung von Kriegsgräueln verweigert? Solche Fragen stehen im Raum, wenn der UNO-Menschenrechtsrat in diesen Tagen um eine neue Resolution zur Vergangenheitsbewältigung in Sri Lanka ringt.

«No Fire Zones» wurden zu Todesfalle

Ansätze zur Aufarbeitung hat es immer wieder gegeben, sie sind versandet. Versuche, ein Tribunal mit internationaler Beteiligung anzustossen, scheiterten am Widerstand nationalistischer singhalesischer Kreise, die die Regierung dominieren. Dennoch gibt es eine grössere Zahl an Staaten, die sich damit nicht abfinden wollen.

Von allen Lügen, die während des Konflikts verbreitet wurden, galt dieses Versprechen in der Endphase des Kriegs als besonders folgenreich: Die Regierung hatte für Zivilisten sogenannte «No Fire Zones» ausgewiesen, Gebiete, in denen sich Menschen sammeln und in Sicherheit wähnen konnten, während Truppen der Regierung gegen Rebellen vorrückten. Das Terrain verwandelte sich zur Todesfalle, als Zehntausende Zivilisten im Frühjahr 2009 dem Granathagel der Regierungsoffensive zum Opfer fielen.

Finden keine Gerechtigkeit: Demonstranten erinnern mit schwarzen Flaggen an ihre vermissten Angehörigen. 

Wehrlose Menschen wurden in jenen Wochen gefoltert, vergewaltigt, erschossen. Man nannte das eingekesselte Gebiet «the cage», den Käfig. Für jene, die dort ausharrten, gab es kein Entkommen, wie der Film «No Fire Zone» von Callum Macrae schon 2013 zeigte. Nach allem, was die UNO an Zeugnissen zusammengetragen hat, mündete die Offensive in eines der grössten Massaker der jüngeren asiatischen Geschichte, mit Zehntausenden Opfern. Nur dass die Regierung das alles nicht sehen und hören will.

Die Hochkommissarin für Menschenrechte in Genf, Michelle Bachelet, geht mit Colombo hart ins Gericht. Sie beklagt, dass Kritiker eingeschüchtert und verfolgt würden. Ausserdem stellt sie fest, dass die gegenwärtige Regierung versuche, Ermittlungen und Prozesse zu stoppen, um zu verhindern, dass vergangene Verbrechen juristisch aufgearbeitet werden.

Viele Zeugnisse sprechen dafür, dass sowohl tamilische Rebellen als auch Regierungstruppen grausame Verbrechen verübt haben.

Stattdessen feiert Colombo die Helden des Schlachtfelds, obwohl die Vereinten Nationen viele Belege gesammelt haben, die den Verdacht auf Kriegsverbrechen erhärten. Die Resolution soll die Regierung in Colombo darauf verpflichten, Täter zur Verantwortung zu ziehen und den Opfern der Gewalt Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Dazu gehört es, Täter zu identifizieren und Beweise zu sichern. Ein entsprechender Entwurf ist eingebracht. Doch der Widerstand in Colombo gegen eine Zusammenarbeit mit der UNO dürfte nie grösser gewesen sein.

Befürchtet, selbst ins Visier juristischer Untersuchungen zu geraten: Sri Lankas Präsident Gotabaya Rajapaksa. 

Für John Fisher, Direktor von Human Rights Watch, geht es auch um die Signalwirkung. «Wenn die Täter in Sri Lanka nicht zur Verantwortung gezogen werden, dann sendet dies eine Botschaft an autokratische Anführer in aller Welt aus, dass sie selbst bei Verbrechen, die nach internationalem Recht zu ahnden sind, einfach davonlaufen können.» Straflosigkeit bei Kriegsverbrechen würde sich immer stärker durchsetzen, fürchtet er.

Viele Zeugnisse sprechen dafür, dass sowohl tamilische Rebellen als auch Regierungstruppen grausame Verbrechen verübt haben. Den Tamil Tigers war jedes noch so brutale Mittel recht, um für einen eigenen Staat zu kämpfen. In der Endphase, als das Militär die Oberhand gewann, starben überwiegend Tamilen, viele wurden von separatistischen Kämpfern als menschliche Schutzschilde missbraucht, die Aufständischen verschanzten sich hinter Zivilisten ihrer eigenen Ethnie. Sie wollten eine internationale Intervention erzwingen, die nie kam. Und die Befehlshaber des Militärs zeigten keine Hemmungen, als sie die Rebellen in die Enge trieben und schliesslich auslöschten.

Die Generäle machen wieder Karriere

Der heutige Präsident war damals Verteidigungsminister, sein Bruder Präsident. Offenbar befürchten beide, selbst in den Sog juristischer Untersuchungen über die blutige Vergangenheit zu geraten. Die Anführer der Tamil Tigers sind alle tot. Generäle der Regierung haben nach dem erneuten Wahlsieg des Rajapaksa-Clans 2019 weiter Karriere gemacht.

Den Bericht Bachelets hat Colombo als böswillige Propaganda abgetan. Bei einer Online-Debatte im Menschenrechtsrat in Genf zeigte sich ein tiefer Riss. Rajapaksa kann darauf zählen, dass zumindest eine Reihe von Ländern, etwa der Iran, Russland und China, gegen die Resolution stimmen. Es ist unklar, ob eine Mehrheit zustande kommt, wenn diesen Monat abgestimmt wird. Human-Rights-Watch-Direktor Fisher drängt auf eine glaubwürdige Resolution: «Es darf nicht passieren, dass die sri-lankische Regierung sagen kann: Lasst uns einfach weitermachen.»