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«Watch The Sound» und «This Is Pop»
Wenn die Sängerin klingt wie ein trauriger Roboter

Bekannt für den Autorune-Effekt: Cher 1999 im Hallenstadion Zürich. 
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Der Moment, der den Sänger T-Pain sanft in eine mehrjährige Depression geschoben hat, lässt sich im Rückblick sehr genau bestimmen. Er passt ganz luftig in eine dieser Stichwort-Rumpeleien, mit denen Journalistinnen und Regisseure ihren Protagonisten anstelle von anständigen Fragen kommen, wenn es um alte Anekdoten geht, die jetzt eben noch mal ausgebreitet werden sollen. In dieser Doku also: «Ich habe eine Geschichte über dich und Usher in einem Flugzeug gehört.»

Beim Wort «Usher» scheint es so zu sein, als füllten sich T-Pains Augenlider mit Sand, so müde wirkt er mit einem Mal. Dann seufzt er, schaut zur Seite und versucht sich an einem Lächeln, das sich Menschen manchmal ins Gesicht stemmen, kurz bevor Tränen fliessen.

Wurde von Sänger Usher zitiert: Musiker T-Pain in «This Is Pop»

Die Geschichte geht so: T-Pain sitzt 2013 auf dem Weg zu den BET Awards in einem Flieger in der ersten Klasse, und er döst, als ihn eine der Stewardessen mit der Nachricht weckt, Usher wolle ihn im hinteren Teil des Flugzeugs sprechen. Dort tauscht man erst ein paar Belanglosigkeit aus, bis Usher – acht Grammys, gut 80 Millionen verkaufte Alben, angeblich ein enger Freund, im Ton nun aber mit grossem Klassensprecher-Ernst – zu einer Verkündigung anhebt: «Man, you kind of fucked up music for real singers.» Junge, du hast die Musik für echte Sänger ruiniert.

Ist natürlich keine schlechte Idee, eine Erzählung über die Entzauberung der Musik mit einer ihrer grössten Lügen zu beginnen. Deshalb hatten diese Idee wohl auch gleich zwei Serienmacher. Sowohl «This Is Pop» (Netflix), als auch «Watch The Sound» (Apple TV+) widmen unter anderem dem Stimmeffekt Autotune, der T-Pain berühmt und verhasst gemacht hat, jeweils eine Folge.

Mark Ronson führt durch die Serie «Watch The Sound». 

Wer den Effekt noch nie gehört hat: In der extremsten Form stellt man sich am besten einen Menschen vor, der eine exorbitant fette Kröte im Hals stecken hat, und trotzdem energisch und trotzig den Mond anheult. Die beiden Serien schauen darauf nun allerdings wunderbar unterschiedlich. «This Is Pop» ist, wie bei der Szene mit T-Pain, meistens sehr nah am Menschen. Apple bleibt eher technisch: Welche Geräte erzeugen was/warum/wie? Was passiert, wenn ich hier drehe?

Vor allem Letzteres könnte wirklich enorm speziell werden, hätten die Produzenten nicht eine zweite, ebenfalls famose Idee gehabt: Mark Ronson.

Ronson ist DJ, Songwriter, Produzent und Solokünstler (nicht unbedingt in dieser Reihenfolge). Von ihm stammten in den vergangenen 15 Jahren alle Pop-Top-Ten-Hits, die nicht von Pharrell Williams waren. Bei alldem hat er sich aber eine gewisse Reputation als ernst zu nehmender Musiker und, fast noch beeindruckender, Musikliebhaber bewahrt. Klasse Typ also, und ausserdem ein enorm sympathischer Menschenfänger und Moderator, der die für beides sehr nützliche Fähigkeit besitzt, sich in genau den richtigen Momenten etwas dümmer zu stellen, als er ist.

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Ronson nähert sich dem Autotune zunächst von der Puristenseite. Er spielt eine der Gesangsspuren von Lady Gaga aus dem Oscar-prämierten Song «Shallow» (hat er mit Gaga komponiert) vor, um in seiner ersten Wortmeldung klarzustellen, «the most powerful instrument in recorded music? Well, it has to be the human voice».

Die menschliche Stimme sei also das mächtigste Instrument, seit Musik aufgenommen wird. Und Autotune entsprechend nichts als Betrug, Fake. Doch Ronson weiss natürlich, dass die Software zwar tatsächlich mal eine beinahe manisch geheim gehaltene Schummelei war. Schlechte Sänger wurden mit ihr erträglich, gute konnten sich auf anderes konzentrieren, und sehr gute zitierten Freunde in den hinteren Teil von Flugzeugen, um in besorgten Gesprächen zu offenbaren, wie wenig sie vom Pop verstehen.

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Mit Autotune, auch das erlebt man, ist es aber ansonsten wie mit allem (im Pop) – Kunst entsteht dort, wo man möglichst viel verkehrt macht. Wo Sängerin Cher den Effekt in «Believe» also zum Beispiel so extrem einsetzen liess, dass er jenes Eigenleben entwickelte, das der Egomane Kanye West auf seinem Album «808s & Heartbreak» dann zum Stilmittel eines ganzen Jahrzehnts aufblasen konnte.

Irgendwann in der Folge sitzt Ronson jedenfalls mit Sean Lennon im Studio (wie er in jeder Folge mit irgendwem aus dieser oder einer höheren Gewichtsklasse in Studios sitzt) und lässt Gesangspuren von dessen Vater John durch den Effekt laufen. Ehrfurcht gebietender, winzig kleiner Monster-Pop-Moment.

Beidhändig: Sean Lennon tritt auch auf in «Watch The Sound». 

Auch Ronson spricht irgendwann mit T-Pain, der eine Zeit lang ungefähr so sehr geschätzt wurde wie, sagen wir mal, queere Schwarze im Country der 60er. Oder der 70er.

Was nun wieder zu Netflix führt, wo der maskierte queere Country-Sänger Orville Peck in einer Folge als Gastgeber der Frage «Ist das noch Country oder schon Pop?» nachgeht und dabei unter anderem erklärt, warum der queere schwarze Country-Rapper Lil Nas X so grossartig und erfolgreich ist, dass selbst die Country-Szene der 2020er ihn schätzt.

Cher 2004 an einem Konzert in Köln. 

Ronson wiederum zeigt eine Folge lang, absolut erstklassig, wie ein Song von Amy Winehouse klanglich um fünf Dekaden in die Vergangenheit katapultiert wird, einfach nur, weil er den genau richtigen Hall bekommt. Doch, doch, richtig gelesen: Eine ganze Folge von «Watch The Sound» befasst sich ausschliesslich mit, wie der Name es schon anzeigt, «Reverb».

Das «Sampling» lässt er sich in einer anderen Folge von DJ Premier und Paul McCartney erklären. Die verbleibenden Beastie Boys und der Roots-Drummer Questlove führen ihm mehrere Jahrzehnte «Drum Machines» vor – zeigen also vor allem, wie Kästen von der Grösse eines Aktenkoffers eine ganze Industrie demokratisierten und die seither fast ungebrochen mächtige Hip-Hop-Kultur ermöglichten.

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Und dann Dave Grohl – Nirvana-Schlagzeuger, Foo-Fighters-Frontmann, Ein-Mann-Rock’n’Roll-Authentizitäts-Armee. Ronson und er sitzen in einem Studio, haben gerade einen Lautsprecher mit einem Messer zerschlitzt, um zu sehen, ob er dann zerrt (Spoiler: ja). Und dann verrät Grohl den Trick, wie man als Drummer für Kurt Cobain wusste, wann der Refrain (also der volle, emotionale Ausbruch) kommt, ohne beim Schreiben der Songs je darüber geredet zu haben.

«Als Schlagzeuger siehst du, wie Kurts Fuss sich dem Distortion-Pedal näherte. Also öffnest du die Hi-Hat ein bisschen.» Er fuchtelt noch verhalten, aber schon sehr verschmitzt mit den Armen. «Gleich kommt es! Gleich kommt es! Du weisst, dass es jetzt jeden Moment kommen muss – ein Takt noch.» Das Fuchteln ist inzwischen sehr energisch. «Und dann: Bäm!»

«Watch The Sound», sechs Folgen bei Apple TV+. «This Is Pop», acht Folgen bei Netflix.