Schweizer Slalom-WunderSie bat ihre Eltern, das ganze Ski-Material zu verkaufen – jetzt ist Camille Rast Weltmeisterin
Die Walliserin litt am Pfeifferschen Drüsenfieber und an einer Depression. Sie hat sich herausgekämpft und sorgt mit Silbergewinnerin Wendy Holdener für einen sporthistorischen Tag.

Dass sie jetzt lächelt, das muss ja so sein nach diesen zwei Wunderläufen. Camille Rast haut sich mit der Faust auf den Oberkörper, reckt sie in den Himmel und lässt sich als Erstes von Wendy Holdener umarmen.
Rast hat sich soeben als Letzte aus dem Starthaus gestossen – und ist als Schnellste unten angekommen. Die 25-Jährige aus Vétroz gewinnt Gold im Slalom, es ist ein riesiger Coup. Sie ist die erste Schweizer Slalomweltmeisterin seit Vreni Schneider, die ebenfalls hier im Salzburgerland vor 34 Jahren triumphiert hat. Und Holdener? Wird Zweite. Es ist der erste Doppelsieg für die Schweiz in dieser Disziplin in der ganzen WM-Geschichte – ob bei Frauen oder Männern. Auch bei Olympischen Spielen hat es das nie gegeben.
Damit hat auch das Schweizer Frauenteam eine schöne Geschichte dieser WM geschrieben, trägt es an diesem Samstag einen grossen Teil zu einer Bilanz bei, die immer heller glänzt. Bei 12 Medaillen steht die Delegation von Swiss-Ski nach zehn von elf Wettkämpfen, viermal Gold hat sie geholt. Am Sonntag steht noch der Slalom der Männer an.
Erst einmal überhaupt seit der WM-Premiere 1931 in Mürren hat die Schweiz so viele Medaillen gewonnen: 1987 an der Wunder-WM daheim in Crans-Montana, wo es gleich 14 Podestplätze zu bejubeln gab. Unter österreichischen Journalisten geht schon der Spruch, die Schweizer Nationalhymne werde in ihrer Heimat allmählich zum Ohrwurm. Am Samstagnachmittag also bekommen sie eine nächste Gelegenheit, sich die Melodie einzuprägen.
Auf dem Podest nimmt Camille Rast noch einen grossen Schluck aus der Sektflasche und umarmt dann Holdener, die zum dritten Mal an einem Grossanlass Silber holt in ihrer Paradedisziplin, hinzu kommt Bronze von Peking. Auf Slalom-Gold wartet die zweifache Kombinationsweltmeisterin noch immer.
Erstmals überhaupt ist Rast Leaderin nach dem ersten Lauf
Rast hat in diesem verrückt erfolgreichen Winter bezüglich Slalomsiege schon aufgeschlossen zur Teamleaderin, hat sie doch in Killington und in Flachau gewonnen. Und nun also ist sie gar Weltmeisterin. Das Lächeln nach getaner Arbeit, das kommt wie von selbstverständlich. Nur: Es hat die 25-Jährige eben den ganzen Tag hindurch begleitet.
Immer, wenn sie zu sehen ist, beim Aufwärmen am Start, nach dem ersten Lauf, selbst kurz vor dem Abstossen im Starthaus: Immer ist ein Schmunzeln zu erkennen in ihrem Gesicht. Es ist ihr Rezept an diesem Tag, sie trägt die Lockerheit in sich, lässt sich selbst davon nicht beirren, dass sie im ersten Durchgang mit Abstand die Schnellste ist und als Letzte der Top 30 starten muss. Eine gleiche Situation hat sie im Weltcup nie erlebt. Sie meistert auch diese Aufgabe.
Sie habe ja schon einen tollen Winter erlebt, sagt Rast, die in der Slalomwertung führt. Die WM? Ist nur eine Zugabe. «Es ist ein Eintagesrennen. Ich gebe alles, und wenn es passt, dann ist es super. Wenn nicht, dann halt nicht.» So lautet ihre Einstellung.
Die Entspanntheit zeigt sich in jedem ihrer Schwünge, die sie so kurz setzt wie keine Konkurrentin. Wie gross die Herausforderung ist, beweisen alleine diese Zahlen: Im ersten Lauf scheiden 68 der 116 Fahrerinnen aus, im zweiten kommen noch sechs hinzu, darunter Mélanie Meillard, deren Aufholjagd mit einem Einfädler jäh gestoppt wird.
Rast und Meillard haben sich seit jüngster Kindheit zu Höchstleistungen getrieben, waren erbitterte Gegnerinnen bei Jugendrennen, kämpften mit sich und ihrer Gesundheit, litten immer wieder an Verletzungen – und nun also sind sie beide in der Weltspitze des Slaloms angekommen. Rast gar ganz oben.
Als der Winter zur Tortur wird
Dabei hätte es auch ganz anders kommen können. Rast ist 17, als sie sich nach der Saison 2016/17 ausgelaugt und erschöpft fühlt, mit Fieber, Bauchschmerzen, Brechreiz und geschwollener Milz kämpft. Diagnostiziert wird das Pfeiffersche Drüsenfieber. Der Winter darauf wird zur Tortur für die junge Walliserin. Sie kämpft sich durch mit dem Ziel Olympia 2018 in Pyeongchang. Manchmal überlegt sie, ob sie absichtlich stürzen soll, um endlich eine Pause zu haben.
Sie tut es nicht, rennt weiter in ihrem Hamsterrad – und muss die Saison noch vor den Spielen in Südkorea abbrechen. Rast ist gereizt, traurig, hat Angst vor Dunkelheit. Sie geht in psychologische Behandlung und bittet ihre Eltern, das ganze Ski-Material zu verkaufen. Diese stellen es nur in den Keller. Darüber ist Rast heute froh.
Sie findet aus der depressiven Phase, in der sie sich ein Jahr lang bewegt, und kehrt im Winter 2018/19 zurück auf die Ski-Bühne. In zweit- und drittklassigen Europacup- und FIS-Rennen fährt sie ohne grosse Ambitionen – ehe ihr im Frühjahr 2019 ein Coup gelingt. Im Fassatal gewinnt die Slalom-Juniorinnenweltmeisterin von 2017 die Silbermedaille im Riesenslalom.
Doch kurz darauf folgt der nächste Rückschlag, im rechten Knie gehen Kreuz- und Innenband kaputt. Rast lässt einen ganzen Winter aus, nimmt sich Zeit, um auch psychisch zu reifen und zu verarbeiten, was war. Es gelingt ihr so gut, dass sie darauf immer wieder glänzt im Weltcup und vermehrt in die Top 10 fährt.
Bislang nie schlechter als Fünfte
Und in diesem Winter also setzt sie zum ganz grossen Sturm auf die Slalomspitze an, ist sie in keinem der sieben Slaloms schlechter als Fünfte, landet dreimal auf dem Podest, zweimal zuoberst. Bis dieser wunderbare Samstag in Saalbach-Hinterglemm kommt und ihr das Glanzstück gelingt. «Camille ist einfach sensationell gefahren», sagt Teamkollegin Wendy Holdener. «Und ich bin sehr glücklich, habe ich im zweiten Lauf eine Lösung gefunden.»
Die Schwyzerin macht noch zwei Plätze gut und holt Silber. «Ich war noch etwas müde, in diesen zwei Wochen hatte ich viele Hochs zu feiern und viel zu verarbeiten – all das kostete Energie. Ich bin glücklich, konnte ich es heute so gut abrufen.»
Holdener war schon am ersten Wettkampftag in Saalbach, gewann mit der Schweiz Silber im Teambewerb. Am vergangenen Dienstag folgte Silber in der Teamkombination zusammen mit Lara Gut-Behrami – und nun also gibt es das nächste Edelmetall für die 31-Jährige. Das alles ist auch deshalb besonders emotional für sie, weil sich am nächsten Samstag der Todestag ihres Bruders Kevin jährt, der sie oft begleitete in der Skiwelt. Im vergangenen Jahr erlag er seinem Krebsleiden. Auch deshalb sind bei Holdener und ihrer Familie an diesem Schweizer Freudentag Tränen auszumachen.
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Kurze Zusammenfassung
Camille Rast zeigt im ersten Lauf eine überragende Leistung. Nach einer fast perfekten Fahrt liegt sie 58 Hundertstel vor der Österreicherin Katharina Liensberger, die im Schlussteil die beste Zeit aufstellt. Auf Rang 3 folgt die vierfache Slalom-Weltmeisterin Mikaela Shiffrin (+0,72) – nach ihrem Comeback ist mit der Amerikanerin also definitiv wieder zu rechnen.
Als Vierte kann auch Wendy Holdener in den Kampf um die Medaillen eingreifen, sie liegt nur acht Hundertstel hinter Shiffrin zurück und sagt, in der Entscheidung (ab 13.15 Uhr) werde sie Vollgas geben. Hinter Holdener gibt es eine grosse Lücke, als Fünfte büsst Paula Moltzan (USA) schon über anderthalb Sekunden ein. Mélanie Meillard schafft es als drittbeste Schweizerin auf Platz 10, sie begeht allerdings einen schweren und zeitraubenden Fehler. WM-Debütantin Eliane Christen scheidet aus.
Doch zurück zu Rast: Die Walliserin kann die erste Schweizer Slalom-Weltmeisterin seit Vreni Schneider werden – diese triumphierte 1991, ebenfalls in Saalbach. Die Ausgangslage ist hervorragend, zumal Topfavoritin Zrinka Ljutic im ersten Lauf viele Fehler beging. Die Kroatin hat schon über zwei Sekunden Rückstand.
Startnummer 30 – Thea Louise Stjernesund
Nach dem Riesenslalom war die Norwegerin untröstlich, als Vierte verpasste sie Bronze um eine Hundertstelsekunde. Im Slalom scheidet auch sie aus.
Startnummer 29 – Eliane Christen
Vor der Saison hätte wohl niemand auf eine WM-Teilnahme der Urnerin gewettet. Die 26-Jährige fährt engagiert, aber etwas zu ungestüm. Und im Zielhang scheidet auch sie nach einem Einfädler aus. Bitter: Es ist Christens erster Ausfall in dieser Saison.
Startnummer 28 – Amelia Smart
Kurzer Auftritt der Kanadierin: Auch sie scheidet aus.
Startnummer 27 – Anna Bucik Jogan
Die mit einem Profifussballer verheiratete Slowenin tut sich in dieser Saison ziemlich schwer, in die Top 20 hat sie es im Slalom nie geschafft. Nach halbwegs ansprechendem Beginn funktioniert bald gar nichts mehr. Bucik Jogan wird 19.
Startnummer 26 – Chiara Pogneaux
Die Französin, die im Weltcup bisher zweimal in die Top 10 gefahren ist, scheidet im Mittelteil aus.
Startnummer 25 – Martina Dubovska
Die Tschechin gehörte och vor einigen Jahren zu den Top 15 der Weltrangliste. In den Startlisten ist sie aber zurückgefallen. Nun büsst sie knapp vier Sekunden ein und muss sich mit Rang 18 begnügen.
Startnummer 24 – Katharina Gallhuber
2018 in Pyeongchang holte sie überraschend Olympia-Bronze im Slalom. Seither ist sie mehrmals durch Knieverletzungen gebremst worden. Nun bremst sie sich selber – Gallhuber scheidet aus.
Startnummer 23 – Hanna Aronsson Elfman
Die Entwicklung des grossen Talents ist ziemlich ins Stocken geraten. Die dreifache Weltmeisterin bei den Juniorinnen wird nur 17.
Camille Rast
Die Leaderin sagt gegenüber SRF: «Es hat einfach alles gepasst in diesem Lauf. Heute morgen nach dem Aufstehen dachte ich noch, das ist doch viel zu früh, ich war ziemlich müde. Aber ich fand die Energie doch noch.»
Startnummer 22 – Marina Peterlini
Die Italienerin kommt nie richtig in den Rhythmus, ihr Lauf ist ein einziger Knorz. Und so verliert sie fast fünf Sekunden und ist Letzte.
Startnummer 21 – Marie Lamure
Vor zwei Jahren verpasste die Französin im Parallel-Bewerb als Vierte die Medaille knapp. Lamure wird 13., die Piste scheint ziemlich stark nachgelassen zu haben.
Startnummer 20 – Cornelia Oehlund
Die Schwedin leidet an einer Daumenverletzung, gerade im Slalom mit den Kippstangen ist das ziemlich unangenehm. Das Handicap ist zu gross: 3,35 Sekunden Rückstand reichen für den 15. und letzten Rang. Sie ist aber erst 19, ihr gehört die Zukunft.
Startnummer 19 – Emma Aicher
Die Deutsche ist die einzige Athletin, die sämtliche Disziplinen bestreitet. In der Abfahrt verpasste sie eine Medaille knapp, im Slalom nun scheidet auch sie aus.
Startnummer 18 – Ali Nullmeyer
Die zweite Kanadierin kämpft, aber kommt nie richtig ins Fahren. Alles in allem sind es 3,27 Sekunden Rückstand. Das reicht für Rang 14. An der Spitze wird sich in diesem ersten Lauf kaum mehr etwas ändern.
Startnummer 17 – Neja Dvornik
Die Slowenin beklagt seit einigen Wochen Knieschmerzen. Und auch sie scheidet aus. Die Zwischenzeiten waren aber wenig verheissungsvoll.
Startnummer 16 – Laurence St-Germain
Für die Titelverteidigerin ist das WM-Abenteuer vorbei – St-Germain scheidet aus.
Wendy Holdener
Die Schwyzerin sagt gegenüber SRF: «Meine Ausgangslage ist ganz okay. Es gibt einmal mehr nur die Devise Gas geben im zweiten Lauf.»
Startnummer 15 – Katharina Huber
Die Top 15 der Slalom-Weltrangliste sind im Ziel. Huber verliert nach einem Fehler im Mittelteil enorm viel Zeit, es reicht mit knapp drei Sekunden Rückstand nur für Rang 12. Rast führt vor Liensberger, Shiffrin und Holdener.
Startnummer 14 – Lara Colturi
Die für Albanien startende Italienerin ist erst 18, kann aber schon im Slalom und Riesenslalom Weltcup-Podestplätze vorweisen. Zuletzt aber war Colturi krank, und so ist der Einfädler bei Streckenhälfte irgendwie zu erklären.
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