Aufruhr wegen TV-BeitragWehe, jemand bezeichnet uns als Bünzli
Die Ukrainerin Olha Petriv bringt ihren geflüchteten Landsleuten im «Blick TV» die Schweiz näher. Nun hat sie aufs Bünzlitum hingewiesen und damit einen wunden Punkt getroffen.
Eine der wichtigsten von vielen Regeln in der Schweiz: Du sollst Einheimische nicht als Bünzli bezeichnen. Vor allem nicht, wenn du aus dem Ausland kommst. So wie die ukrainische Journalistin Olha Petriv. Die 36-Jährige ist nach ihrer wochenlangen Flucht in die Schweiz von «Blick TV» engagiert worden. Seither erklärt sie ihren ebenfalls geflüchteten Landsleuten die Schweiz, damit es mit der Integration besser klappt.
Solange sie dabei von hilfsbereiten Einheimischen, saftigen Alpwiesen und dem Ex-Mister Schweiz Renzo Blumenthal spricht, ist die Welt in Ordnung. So was hört man ja ganz gern. Mit ihrem jüngsten TV-Beitrag hat Petriv aber einen wunden Punkt getroffen. Weil sie darin von vielen «seltsamen Dingen» spricht, die ihr in der Schweiz aufgefallen seien.
Kein Lärm in der Nacht und Abendessen um 18 Uhr
Zum Beispiel, dass man zwischen 22 Uhr am Abend und 6 Uhr in der Früh nichts tue, was die Nachbarschaft stören könnte. Also nicht Wäschewaschen, nicht mit Absatzschuhen durch die Wohnung stöckeln. Auch nicht an Sonn- und Feiertagen. Oder ein nächtliches Bad nehmen.
Ausserdem müsse man in der Schweiz immer pünktlich sein. Es werde alles geregelt und geplant, das Abendessen stehe Punkt 18 Uhr auf dem Tisch. Und statt mit Salz werde mit Aromat gewürzt, das werde teilweise sogar in die Ferien mitgenommen.
«Aromat, der Geschmack des Bünzlitums.»
«Solche Regeln haben nur die Schweizer», resümierte die Ukrainerin in einer gedrosselten Lautstärke (weil in der Schweiz spreche man leiser als dort, wo sie herkomme). Sie hätten sogar ein eigenes Wort dafür: «Bünzlitum». Und am Ende des Beitrags streute sie sich Aromat – den «Geschmack des Bünzlitums» – über geschnittene Tomaten. Vielleicht, um damit ihre Integrationsbereitschaft zu demonstrieren. Vielleicht aber auch, um klarzumachen, dass ihr Beitrag augenzwinkernd gemeint ist.
Social Media reagiert beleidigt
Aber da war die Community bereits in Rage, denn über Schweizer Eigenarten macht man sich nicht lustig. Auch nicht ein bisschen. Solle sie doch wieder zurück in die Ukraine, «wenn es ihr hier nicht passt», steht in den Kommentaren, die besonders viel Zustimmung erhalten. Ein anderer wählte die Strategie «Konter». In der Ukraine gebe es «haufenweise von Korruption zerfressene Menschen». Da sei ihm das Schweizer Bünzlitum geradezu sympathisch.
Vereinzelte tadelten den «Blick»: Es sei fragwürdig, die Schweizerinnen und Schweizer mit einem solchen Beitrag gegen die Menschen aus der Ukraine aufzuhetzen. Und wenig verärgert die hiesige Bevölkerung heftiger als das B-Wort. «Die Schweiz nimmt es immer als persönlichen Angriff», kommentierte einer die beleidigten Reaktionen. Und ein anderer: «Ein richtiger Schweizer wird sofort muff und ist tief beleidigt.»
Fürs Korrektsein kritisiert
Warum eigentlich? Andere Nationen reagieren auch nicht so betupft, wenn sie als theatralisch (Italien), arrogant (Frankreich), oberflächlich (USA), einsilbig (Finnland), nörgelnd (Deutschland) und so weiter bezeichnet werden. Wir hingegen sind beleidigt, dass unsere Nationaltugend gegen uns verwendet wird. Dabei versuchen wir doch nur, uns an bestimmte Regeln zu halten.
Verwerflich ist das nicht, aber auf der Coolness-Skala liegen wir damit nun mal ganz unten. Denn mit unserer Korrektheit sind wir das Gegenteil von Leuten, die alles nicht so eng sehen. Die auch mal laut oder sonst wie unangepasst sind. Die Wäsche waschen, wenn sie schmutzig ist, und den Rasen mähen, wenn sie Zeit beziehungsweise Lust haben.
Stolz sein statt sich schämen
Es ist wie damals in der Schule. Da waren nicht die Braven die Helden, sondern jene, die verschliefen, mitsamt Ausreden zu spät kamen, die Lehrpersonen nicht ernst nahmen. So sind wir nicht. Aber das ist total okay. Immerhin trichtern wir ja auch unseren Kindern ein, anständig, rücksichtsvoll und pünktlich zu sein. Warum also sollten wir uns als Erwachsene deswegen angegriffen fühlen? Warum nicht selbstbewusst dazu stehen?
Das Paradies Schweiz haben wir auch unserem Bünzlitum zu verdanken.
Dass es in der Nacht ruhig ist, finden die demonstrativ Entspannten bestimmt auch ganz angenehm. Nicht ohne Grund schwärmen viele von der Schweiz als sicheres, sauberes, ruhiges Paradies. Das haben wir nicht zuletzt unserem Bünzlitum zu verdanken. Seien wir doch stolz drauf.
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