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Plan gegen Strommangel 
Wasserkraft-Reserve droht viel teurer zu werden 

Wie viel Wasser sollen Stauseebetreiber für den Notfall zurückhalten? Im Bild: Der Grimselsee.
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Bereits im kommenden Winter könnte es zu Engpässen in der Stromversorgung kommen – und nicht wie bisher angenommen 2025. Der Grund für die Warnung, welche die Stromaufsicht Elcom unlängst geäussert hat, sind der russische Angriffskrieg in der Ukraine und seine Folgen für die Verfügbarkeit von Gas und die Stromproduktion in Europa. Die Schweiz ist im Winter auf Importe angewiesen. Es besteht das Risiko, dass die Nachbarländer selber nicht mehr genügend Strom produzieren, um exportieren zu können, insbesondere Frankreich, das mit AKW-Ausfällen zu kämpfen hat. Aber auch Deutschland, das verschiedene Kohlekraftwerke vom Netz genommen hat und Ende Jahr die letzten Kernkraftwerke abschaltet. 

Der Bundesrat will möglichen Mangellagen mit einer Wasserkraft-Reserve entgegenwirken. Die Idee: Stauseebetreiber verpflichten sich freiwillig gegen ein Entgelt, einen Teil ihres Wassers bis zu einem vereinbarten Zeitpunkt zurückzuhalten, damit so im Notfall zusätzlich Strom produziert werden kann. Der Bundesrat plant darüber hinaus einen weiteren Sicherungsanker: zwei bis drei Reserve-Gaskraftwerke.  

Gaskraftwerke «ungeeignet»?

Die Grünen sind darob besorgt. Obschon der Bundesrat die CO₂-Emissionen der Anlagen mit dem Kauf von CO₂-Zertifikaten kompensieren will, hält die Partei Gaskraftwerke für «nur schwer» vereinbar mit dem erklärten Ziel der Klimaneutralität bis 2050. Als «denkbar ungeeignet» stufen die Grünen Gaskraftwerke ein, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. «Spätestens mit dem russischen Angriffskrieg zeigt sich das in aller Deutlichkeit», sagt Nationalrat Bastien Girod.  

Der Bundesrat, fordern die Grünen, solle daher vom Einsatz von Gaskraftwerken absehen. Stattdessen soll er die Wasserkraftreserve umso grösser anlegen, und zwar im Umfang von mindestens 2 Terawattstunden. Das entspräche etwas mehr als 20 Prozent der Speicherkapazitäten aller Stauseen in der Schweiz. Mit dieser Strommenge liesse sich die Schweiz für etwa 300 Stunden versorgen, also fast zwei Wochen. Glaubt man Girod, sind jedoch nicht einmal 0,5 Terawattstunden geplant. So schreibt er es in einer Interpellation, die er letzte Woche eingereicht hat. Woher er diese Zahl hat, will er auf Anfrage nicht offenlegen. Er wisse davon «dem Vernehmen nach».  

Notstrom-Aggregate werden geprüft 

Zuständig für die Dimensionierung der Winterstrom-Reserve ist die Elcom – welche Girods Zahl nicht bestätigt. Man sei erst daran, die Eckwerte auszuarbeiten, sagt Präsident Werner Luginbühl. Die Aufgabe sei sehr komplex. Es gelte, Annahmen für verschiedene Szenarien zu treffen. Die Elcom hält sich an die Vorgaben der bundesrätlichen Verordnung und versucht, die Wasserkraftreserve «risikogerecht zu dimensionieren, also weder zu klein noch zu gross», wie Luginbühl sagt.

Theoretisch ist es zwar möglich, dass der Bund bereits im nächsten Winter im Notfall auf Gas zurückgreift. Etwa, indem er mit den Besitzern stillgelegter, aber noch betriebsfähiger Gaskraftwerke, wie es sie in Neuenburg oder im Wallis gibt, entsprechende Verträge abschliesst. Oder: Im aargauischen Birr etwa steht eine Testanlage für Gasturbinen, die allenfalls im Notfall Strom liefern könnte. Wegen der kurzen Vorlaufzeit hält Luginbühl die Wahrscheinlichkeit dafür aber für «nicht allzu gross».   

Eine Arbeitsgruppe, die der Bund ins Leben gerufen hat und von der Elcom präsidiert wird, prüft deshalb weitere Optionen. Zur Diskussion steht der Einsatz von Notstrom-Aggregaten, wie sie etwa in Datenzentren oder Spitälern stehen. Die Elcom hat diese Möglichkeit bereits in ihrem Bericht zu den Reserve-Gaskraftwerken erwähnt. Eine andere Möglichkeit ist der sogenannte Lastabwurf, bei dem Stromverbraucher für eine Zeit lang gezielt weniger oder gar keinen Strom mehr erhalten.  

Bund prüft Absicherung im Ausland

Eine weitere Variante sieht vor, dass die Schweiz im Ausland Ersatzenergie für den Notfall sichert. Luginbühl verweist auf Vorkehrungen, wie sie etwa auch Deutschland trifft. Die deutschen Übertragungsnetzbetreiber haben bei ausländischen Kraftwerksbetreibern bereits angeklopft, auch bei Schweizer Energieunternehmen. Ob diese eine Offerte eingereicht haben, verraten sie nicht. Man gebe über einzelne Handelsgeschäfte keine Auskunft, heisst es etwa bei der Berner BKW.   

Die deutsche Anfrage ist nicht ohne Brisanz. Die Elcom verhehlt nicht, dass Schweizer Lieferungen nach Deutschland das hiesige Stromangebot verknappen könnten. Sie geht aber davon aus, dass bei einem allfälligen Versorgungsengpass im Inland die Preise steigen – mit der Folge, dass es für die Schweizer Stromunternehmen weniger lukrativ wird, Strom zu exportieren, und es sich stärker lohnt, den Strom hierzulande abzusetzen. 

Bis 250 Millionen Franken mehr

Auch die Schweizer Wasserkraftreserve soll im «Ausnahmefall» für solche Notlieferungen ins Ausland zur Verfügung stehen. So steht es im erläuternden Bericht zur Verordnung, mit welcher der Bundesrat die Details zur geplanten Wasserkraftreserve regeln will. Ein solcher Ausnahmefall könnte etwa sein, wenn die Schweiz mit einem ausländischen Staat eine Solidaritätsvereinbarung «zur gegenseitigen Hilfeleistung bei Knappheitssituationen» abgeschlossen hat. In diese Richtung laufen bereits Bestrebungen von Deutschland und der Schweiz.  

Bis spätestens im Oktober muss Klarheit herrschen über die notwendige Grösse der Schweizer Wasserkraftreserve. Bis jetzt wurden die Kosten für das Zurückhalten des Wassers in den Stauseen auf 15 bis 30 Millionen Franken pro Jahr geschätzt. Mit den aktuell sehr hohen Preisen am Strommarkt geht man beim Bund inzwischen von 125 bis 250 Millionen Franken aus – Mehrkosten, welche die Stromkonsumenten tragen müssen. Ein Vierpersonen-Haushalt mit einem jährlichen Strombedarf von 4500 Kilowattstunden müsste so bis zu 18 Franken mehr pro Jahr bezahlen.