Streit über russisches RaketensystemWashington straft Ankara ab
Wegen des Einsatzes des russischen Raketenabwehrsystems S-400 verhängen die USA Sanktionen gegen den Nato-Bündnispartner Türkei. Die Massnahmen erschweren die Stärkung der türkischen Rüstungsindustrie.
Die Türkei hat mit Empörung auf die Sanktionen reagiert, die der US-Kongress wegen der Anschaffung des russischen Luftabwehrsystems S-400 verhängt hat. Das Aussenministerium nannte den Schritt der USA einen «schweren Fehler». Man werde in angemessener Weise auf diese «ungerechte» Entscheidung reagieren. Es sei «ohne jede Vernunft», dass sich die USA weigerten, das Problem diplomatisch zu lösen. Russlands Aussenminister Sergei Lawrow sprach von einem «weiteren Ausdruck der arroganten Einstellung gegenüber internationalem Recht» und von der «Anwendung illegitimer, einseitiger Zwangsmassnahmen» durch die USA. Gleichzeitig zeigte sich Ankara zuversichtlich, trotz der US-Strafmassnahmen den eigenen Kurs rüstungspolitischer Entwicklung bis hin zur nationalen Autarkie fortsetzen zu können.
Der Streit über den Kauf russischer S-400-Raketen, die als das derzeit beste Luftabwehrsystem weltweit gelten, entzweit die beiden Nato-Partner seit Jahren. Ankara hatte die Waffen Mitte 2019 ungeachtet aller US-Kritik angeschafft und später trotz aller Warnungen für Testschüsse aktiviert.
Gegen den Willen Trumps
Die USA befürchten, die computergesteuerten S-400-Batterien könnten den Datenverkehr des neuen US-Kampfjets F-35 auslesen, wenn sie mit anderen Nato-Waffen verkettet würden: Die F-35 als wichtigster neuer Jet der US-Luftwaffe und anderer Nato-Staaten wäre verwundbar. Ankara weist diese Bedenken zurück. Wegen des Streits hatten die USA die Türkei im vergangenen Jahr sogar aus einem Programm für die F-35 geworfen; sie werden das Kampfflugzeug an Ankara nicht ausliefern.
Die gegen den Willen des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump vom US-Kongress verhängten Massnahmen richteten sich gegen das türkische «Direktorat für Verteidigungsfragen», welches für die strategische Entwicklung des Rüstungssektors zuständig ist. Als eine Art Staatsministerium ist es Staatschef Recep Tayyip Erdogan direkt unterstellt.
Türkische Drohnen werden nach den Kriegen in Syrien, Libyen und Bergkarabach als wichtige Wunderwaffen gehandelt.
Betroffen von den Sanktionen sind Direktoratspräsident Ismail Demir und drei seiner Mitarbeiter. Vorgesehen sind unter anderem Einreiseverbote für die vier Direktoratsvertreter, das Einfrieren möglicher Vermögen in den USA und das Verbot von Lieferungen von US-Komponenten für Rüstungsgüter. Mit diesen Sanktionen muss Erdogan nun leben. Auf seinen Wunsch hin treibt das Direktorat die Entwicklung der Waffenindustrie rasch voran: Die Türkei will bei der Produktion unabhängig werden und seine vergleichsweise preiswerten Waffen weltweit an weniger reiche Staaten verkaufen.
Die Zahl der Rüstungsbetriebe steigt stetig, türkische Drohnen werden nach den Kriegen in Syrien, Libyen und Bergkarabach als wichtige, wenn nicht sogar kriegsentscheidende Wunderwaffen gehandelt. Die Liste der Kaufinteressenten wird immer länger: Die Ukraine, Serbien und Kasachstan etwa wollen von der Türkei Drohnen kaufen, Pakistan hat Kriegsschiffe bestellt.
Ruf nach Autarkie
Das Exportverbot amerikanischer Militärtechnologie dürfte diese hochfliegenden Ambitionen Ankaras stören. Wichtige Komponenten türkischer Waffen müssen weiterhin importiert werden, da sie im Land bisher noch nicht hergestellt werden können. Vor allem bei der Entwicklung von Panzer-, Flugzeug- und Drohnenmotoren kommt man schlecht voran, wichtige optische Drohnenkomponenten müssen ebenfalls eingeführt werden.
Die US-Sanktionen, die die Ausfuhr von militärisch nutzbaren Geräten und Bauteilen verbieten, könnten zudem auch die Zusammenarbeit mit europäischen Lieferanten erschweren. Auch deutsche, italienische und belgische Waffen enthalten oft Komponenten, die aus dem US-Bausatz stammen.
In der Türkei werden die Sanktionen den ohnehin lauten Ruf nach Autarkie der Rüstungsindustrie noch verstärken: Der persönlich von den Sanktionen betroffene Chef des Direktorats für die Verteidigungsindustrie, Demir, erklärte, «die türkische Verteidigungsindustrie kann in keiner Weise behindert werden». Zudem äusserte er, die heimische Rüstungsindustrie werde sich nun «womöglich sogar noch schneller» weiterentwickeln. Die US-Sanktionen seien ein Signal, die Entwicklung noch stärker voranzutreiben.
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