Was wir lesen: Friedrich Torbergs «Tante Jolesch»In dieser Lektüre finde ich Trost
Neben alten «Asterix»-Heften liegt auf dem Notfallstapel unseres Autors auch diese Anekdotensammlung – mit ungefähr tausend Pointen.
Als passionierter Leser verfüge ich nicht nur über fixe Angewohnheiten, mir die Zeit dafür zu schaffen – kein Fernsehen, kein Handy nach 21 Uhr –, sondern auch über einen Notfallplan für die Abende, an denen sonst gar nichts mehr geht. Dafür gibt es einen kleinen Stoss von Druckwerken, die ich zur Hand nehme, wenn ich von meiner Lektüre nicht Anregung oder Aufklärung, sondern Trost brauche, erprobten Humor und behutsame Belehrung.
Ich will nicht leugnen, dass auf diesem Stoss auch ein paar alte «Asterix»-Hefte liegen, Quadratzentimeter für Quadratzentimeter flachgelesen, aber eben auch jener Abgesang auf das sogenannte Abendland, das Friedrich Torberg in seiner 1975 erschienenen «Die Tante Jolesch» besingt.
«Die Tante Jolesch» ist eine Anekdotensammlung. Weil Torberg (1908–1979) in den Kaffeehäusern Wiens und Prags gelernt hat, dass eine Anekdote nur dann etwas wert ist, wenn sie mit einem Lacher endet, ist «Die Tante Jolesch» gespickt mit guten und sehr guten Pointen, also Witzen jener Qualität, über die man auch schmunzeln oder laut herauslachen muss, wenn man sie schon längst auswendig kann. Das verstehe ich übrigens unter Trost (und das gilt, ohne Torberg jetzt nahetreten zu wollen, auch für die «Asterix»-Hefte der Goscinny-Zeit).
Im Gegensatz zu diesen aber ist «Die Tante Jolesch» grundiert von der Wehmut, die Torbergs Geschichten auch dann umfängt, wenn sie am lustigsten sind. Die Kultur der Kaffeehausliteraten, kauzigen Feuilletonisten und Lebenskünstler, die er beschreibt, ist mit der Machtergreifung der Nazis untergegangen und nie mehr wiedergekommen. Wie stark das Kulturleben Wiens und Prags von seinen jüdischen Exponentinnen und Exponenten geprägt war, lässt sich erst daran ermessen, wie fad und schal es ohne die unzähligen Deportierten oder ins Exil Geflohenen herausgekommen ist.
Gleichzeitig mit seinen Erinnerungen an literarische Giganten wie Karl Kraus, Alfred Polgar, Egon Friedell oder Ferenc Molnár liefert Torberg, der selbst schon als Zweiundzwanzigjähriger mit «Der Schüler Gerber» zu literarischem Ruhm gekommen war, eine Einführung in die Doppelbödigkeiten und Abgründe der deutschen Sprache (wenn sie nur österreichisch genug ist). Die Pointe, die ich hier zitiere, ist nur eine von ungefähr tausend: Als der Schriftsteller Alfred Polgar von einem devoten, aber unerwünschten Kaffeehausgast bis auf die Strasse verfolgt wird, fragt ihn dieser: «In welche Richtung gehen Sie, Herr Polgar?»
«Er erhielt den prompten Bescheid: ‹In die entgegengesetzte.›»
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