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Meinung

Analyse zur Identifikationspflicht
Was meine ID mich lehrt

Im Restaurant, in Bars, im Fitnesscenter, im Hallenbad – hier zeigen wir neu das Covid-Zertifikat und unsere Identitätskarte.  
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«Und noch die ID bitte.» Diesen Satz hören wir nun oft. Und er ist ungewohnt. Seit die 3-G-Regel gilt, zücken wir die blaue Plastikkarte ständig, legen sie mehrmals die Woche auf einen Tresen, nachdem wir bereits das Covid-Zertifikat auf dem Smartphone geöffnet haben. Viele von uns sind es nicht gewohnt, ihre Identität so oft beweisen zu müssen, im Alltag, für etwas ganz Gewöhnliches, wie einen Kaffee trinken zu gehen.

Ich zum Beispiel als Person, die älter ist als 18 Jahre und als «unverdächtig» gelesen wird, muss innerhalb des Landes eigentlich nie meine ID vorweisen – und damit meine Identität beweisen.

Ich bin per Geburt automatisch in Besitz einer Schweizer Identitätskarte. Möchte ich sie erneuern, geht das problemlos. Reise ich ins Ausland, ernte ich für das Schweizer Kreuz auf blauem Grund mancherorts Bewunderung. «Ach, aus der Schweiz? Schön!»

Ich zücke die Karte ohne Angst. Dafür mit einem Gefühl von Überheblichkeit: «Logisch, bin das ich.»

Die Karte scheint mir Sicherheit zu vermitteln, basierend auf den Erfahrungen, die ich persönlich mit ihr gemacht habe. Sie scheint mir ein vertrauenswürdiges Image anzuhängen, ohne dass ich etwas dafür tun muss.

Und so zücke ich die Karte fürs Covid-Zertifikat ohne Angst. Dafür mit einem Gefühl von Überheblichkeit: «Logisch, bin das ich.» Dazu mischt sich trotzdem ein Gefühl von angekratzter Privatsphäre. Und das, obwohl die Daten auf meiner ID mit der Person übereinstimmen, als die ich mich fühle. Alles passt so selbstverständlich und gut zusammen, dass es eigentlich keinen Gedankengang wert ist, kein Raum für Missverständnisse oder Schlimmeres entsteht.

Plötzlich aber schauen viele andere Augen auf dieses Dokument – keine Zollbeamten, sondern Leute, in deren Café oder Bar ich anschliessend einige Zeit verbringen werde. Sie schauen genau, ob die ID zum Zertifikat passt. Sie sehen und kennen nun all meine Vornamen, meinen Nachnamen, mein Geburtsdatum, meine Körpergrösse, das mehrere Jahre alte Foto. Was denken jene, die kontrollieren, über eine allfällige Begleitung an meiner Seite? Werden sie gleich im Kopf die möglichen Konstellationen durchgehen? Verwandt, verheiratet, einfach nur Freunde?

Die Nachfrage nach der ID ist ungewohnt. Vielleicht auch gut, wenn das so bleibt.

Irgendwie fühle ich mich exponiert. Obwohl ich noch immer nichts zu befürchten habe. Auch scheint mir alles zu wenig schnell zu gehen – da gibt es etwas, was ich sofort haben will aber noch nicht gleich kriegen kann, nicht so, wie gewohnt – reingehen, hinsetzen, bestellen. Punkt.

Welch ein Luxus, solche Gefühle zu haben, was für eine Arroganz gleichzeitig. Gerade führt mir meine ID vor, wie vieles ich als selbstverständlich erachte. Etwa, dass ich an einem ganz gewöhnlichen Tag von niemandem willkürlich, mit böser Absicht, auf meine Identität überprüft werde, dass ich mir keine Sorgen machen muss, weil ich ein abgelaufenes oder «falsches» Ausweisdokument besitze – oder gar keines. Dass ich dank ihr nicht abgewiesen, sondern hereingelassen werde, und zwar nicht nur in Bars und Restaurants.

Und nun hilft sie mit, mich und andere vor Corona zu schützen. Eine kurze Nachfrage genügt. Noch ist sie ungewohnt. Vielleicht auch gut so, als Erinnerung daran, wie oft wir die ID eben genau nicht zeigen müssen.