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Infizierte schottische Fans
Was hinter den Ansteckungen im Wembley-Stadion steht

Über 2600 schottische Fans sahen das EM-Spiel ihres Teams gegen England im Wembley-Stadion. 397 von ihnen kehrten mit Corona infiziert zurück in die Heimat.
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Wenn man den britischen Behörden glauben will, läuft in London gerade eine riesige wissenschaftliche Untersuchung: Sind Grossveranstaltungen in Zeiten von Corona und Delta-Variante möglich, und wie viele Ansteckungen rutschen trotz strengen Sicherheitsvorkehrungen trotzdem durch? Die Studie läuft beispielsweise bei Spielen der Europameisterschaft im Wembley-Stadion, aber auch während des Tennisturniers in Wimbledon.

Studie? Wissenschaftliche Untersuchung? Expertinnen und Besucher reiben sich verwundert die Augen und berichten im Internet über eine ganz andere Wahrnehmung. Beim Tennisturnier erhielten Zuschauerinnen nach dem Besuch ein elektronisches Formular für die Erfassung von Geburtsdatum, Adresse und Geschlecht – mit der Aufforderung, beim freiwilligen Programm doch bitte mitzumachen. Expertinnen sagen dazu ganz klar: So ist das keine aussagekräftige und keine wissenschaftliche Studie, die erhobenen Daten reichen nie und nimmer.

Einlass mit Selbsttest möglich

Im Wembley-Stadion gibt es zwar nur Einlass für Geimpfte oder Getestete, für Letzteres sind aber auch Selbsttests möglich. Die Matchbesucher müssen ein negatives Testresultat maximal 51 Stunden vor Spielbeginn in einer App oder im Internet hochladen, danach können sie ins Stadion. Das gilt für alle Zuschauer, egal woher sie kommen. Verwendet werden praktisch dieselben Selbsttests, die es auch in der Schweiz für Ungeimpfte in Apotheken zu holen gibt.

Ein Covid-19-Self-Test-Kit, das ähnlich funktioniert wie die in der Schweiz erhältlichen Selbsttests. In Grossbritannien kann man das Resultat selbst ins Internet hochladen, um Einlass zu Veranstaltungen zu erhalten.

Bei diesen Kits ist eigentlich klar: Ein negatives Resultat ist nur eine Momentaufnahme und keine Garantie, dass man nicht doch infiziert sein könnte. Britische Expertinnen warnen seit April vor der Zuverlässigkeit dieser Tests. Am nächsten Tag sei das Ergebnis wertlos, betonten Bundesrat und BAG bei der Schweizer Einführung immer wieder. Für den Einlass ins Wembley-Stadion kann der Test aber schon zwei Tage zuvor gemacht werden, während man womöglich schon infiziert, aber noch nicht ansteckend ist.

So dürfte das Hunderten schottischen Fans ergangen sein, die am 18. Juni das EM-Spiel ihres Teams gegen England im Stadion verfolgten. Wie die schottische Gesundheitsbehörde nun informierte, kehrten knapp 1300 Fans mit Corona aus London zurück, 397 von ihnen waren im Wembley, die anderen bevölkerten Public Viewings und Pubs in der Hauptstadt. Die Schotten rangen England ein 0:0 ab, ein Punktgewinn, der von der «Tartan Army» feuchtfröhlich gefeiert wurde.

Die «Tartan Army», wie die schottischen Fans genannt werden, feierten den Punktgewinn gegen England feuchtfröhlich, wie hier am Leicester Square in London.

Die Bilder von London, aber auch aus vielen anderen EM-Stadien und Public Viewings seien ein gefährliches Signal an die Bevölkerung, warnt der britische Sozialpsychologe Stephen Reicher. Die Gefahren dieser Massenveranstaltungen würden kaum mehr diskutiert, stellt Reicher fest. Gezeigt werden die Bilder der maskenlosen Fans in den Stadien, Zehntausende Leute, die sich in den Armen liegen und so den Millionen Fernsehzuschauern das Gefühl geben, dass es wieder in Ordnung sei, sich jederzeit zu umarmen. So gerate die Europameisterschaft zu einem gigantischen Superspreader-Event.

Für Schottland ist die EM zwar bereits vorbei, trotzdem ist ein Zusammenhang mit der aktuellen Corona-Welle und der Europameisterschaft kaum von der Hand zu weisen. Zumal es in den schottischen Daten erstmals eine signifikante Abweichung zwischen den Geschlechtern gibt, wie Professor Reicher feststellt.

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Und auch die schottische Gesundheitsbehörde schreibt, dass von den knapp 2000 Personen, die nach der Rückkehr aus London oder nach EM-Events in Schottland positiv getestet wurden, rund 90 Prozent männlich waren. Etwa drei Viertel waren zudem jünger als 40. Professorin Christina Pagel sagt, dass die Daten ein weiterer Beweis seien, dass die Risikobewertung vor der EM im Wembley wohl nicht ausreichend war.

Doch die Corona-Welle würde auch ohne Euro hochgehen, so sind im selben Zeitraum über 32’000 Neuansteckungen festgestellt worden, nur jeder 16. Fall wurde demnach mit der EM in Verbindung gebracht. Und insgesamt reisten gemäss Schätzungen etwas über 20’000 Schotten an die Spiele in London, 93 Prozent kehrten also virusfrei zurück.

Wie viele der Infizierten schon doppelt geimpft waren, wird von der Gesundheitsbehörde nicht angegeben, da die meisten aber jünger als 40 sind, dürften es nur wenige gewesen sein. Zwar ist Schottland beim Impfen relativ weit, komplett immunisiert sind aber vor allem die über 50-Jährigen, da der Abstand zwischen den Dosen nicht vier Wochen beträgt wie in der Schweiz, sondern acht bis zwölf Wochen.

So haben viele unter 40-Jährige wohl bereits eine erste Spritze erhalten, warten aber noch auf die zweite – ein Umstand, der besonders anfällig für die Delta-Variante macht, wie Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen.

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In Schottland wird mittlerweile auch die Regierung kritisiert, weil sie nicht genügend vor Reisen nach England warnte. Es wird vermutet, dass sich viele Fans in engen Reisecars gegenseitig ansteckten, als sie selber noch nichts von einer Infektion wussten (lesen Sie dazu unsere Analyse: Die EM hätte mit weniger Zuschauern stattfinden sollen).

Wohl kaum Engländer in Rom

Das Viertelfinalspiel der Engländer findet nicht im Wembley-Stadion statt, sondern in Rom. Dort dürfte es aber kaum englische Fans haben, denn für diese gilt eine fünftägige Quarantäne bei Einreise, zudem wäre auch bei der Rückreise eine zehntägige Quarantäne fällig. Das dürfte sich kaum jemand antun, wobei im Falle der italienischen Massnahme auch die Zeit schlicht nicht mehr reicht, um rechtzeitig für das Spiel aus der Isolation zu kommen.

Anders ist das für Schweizer Fans in St. Petersburg, wo der Viertelfinal gegen Spanien ansteht. In der russischen Metropole haben sich bei der Vorrundenpartie wohl Tausende finnische Fans angesteckt, die von der nahen Grenze mit Autos angereist waren. An der gestrigen Medienkonferenz des Bundesrats riet Alain Berset nicht explizit von einer Reise nach St. Petersburg ab, empfahl aber, nur doppelt geimpft in das Flugzeug zu steigen. Aber auch dann sei das Risiko der Delta-Variante im russischen Hotspot nicht zu verachten, sagte der Gesundheitsminister.