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Meinung

Leser fragen Schneider
Was hätte Freud zur Pornografie gesagt?

Pornografie befriedigt auch Lüste, die nicht in den Genitalien angesiedelt sind: Ein Japaner am Masturbations-Marathon in Kopenhagen im May 2008. 
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Wie beurteilen Sie als Psychoanalytiker die Auswirkungen der Pornografie insbesondere auf junge Menschen? Eine Grundlage der Psychoanalyse ist ja der Sexualtrieb – ein Trieb also, der mit Porno zusammenhängt. Wie hätte wohl Freud darauf reagiert? M.S.

Lieber Herr S.

Freud wäre entsetzt gewesen. Ein heutiges Pornovideo wäre für ihn nicht nur ein Schock wegen des «expliziten» Inhalts, sondern auch ein «medialer» Schock. Er hätte darauf wohl ähnlich reagiert wie 1896 die Zuschauer auf den Film der Gebrüder Lumière von der Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof La Ciotat, in dem die projizierte Dampflokomotive direkt auf die Zuschauer zufährt. Er wäre geradezu traumatisch überwältigt gewesen über den «unmittelbaren» Realismus der Präsentation.

Was hingegen seine Sexualtheorie angeht, so hätte er daran nichts ändern müssen. Schliesslich hatte er Schau- und Zeigelust als wesentliche Bestandteile von Sexualität beschrieben. Für Freud ist der Sexualtrieb kein Trick der Natur, die Fortpflanzung zu sichern, sondern von Anfang an eine bunte Mischung aus allerlei «Perversionen», das heisst Lüsten, die nicht in den Genitalien angesiedelt sind.

Damit zu Ihrer ersten Frage, wie ich als Psychoanalytiker die Auswirkung von Pornografie insbesondere auf junge Menschen einschätze. Es wäre wohl dumm, anzunehmen, dass sie keine Auswirkungen hat; aber ebenso dumm, davon auszugehen, es gäbe eine für alle jungen Menschen gleichermassen gültige Antwort, wie diese Auswirkungen jeweils aussehen. Vor allem dürfen wir nicht vergessen, dass nicht nur die Pornos etwas mit den Jungen «machen», sondern diese ihrerseits auch etwas mit den Pornos.

Pornografie ist ein wichtiges Mittel zur sexuellen Erregung und dient als visuelle Beihilfe zur Masturbation.

Zum einen ist Pornografie ein Teil der sexuellen Aufklärung geworden, zur Chance, Sexualorgane bereits vor Beginn der eigenen sexuellen Aktivität nicht nur aus der Nähe, sondern auch in Aktion zu sehen. Aber, wird man einwenden, Pornos vermitteln doch ein unrealistisches Bild von Sexualität. Dasselbe gilt allerdings für religiöse Handbücher zur «Ehehygiene» nicht weniger. Die Vorstellung, dass sexuelle Aufklärung objektive Information liefert wie die Gebrauchsanweisung einer Waschmaschine – die ist selber ziemlich unrealistisch.

Ausserdem ist Pornografie ein wichtiges Mittel zur sexuellen Erregung und dient als visuelle Beihilfe zur Masturbation. (Diese Funktion addiert sich nicht zur Aufklärung, sondern ist mit ihr vermischt.) Was macht die einfache Verfügbarkeit von Pornos mit der jugendlichen Sexualität? Führt sie nicht zur Reizabstumpfung und zur sexuellen Langeweile im «Real Live», weil «realer» Sex mit dessen hyperrealistischen Darstellung nicht mithalten kann? Das wiederum ist bei einer TV-Liebesromanze auch nicht anders.

Der Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet Fragen zur Philosophie des Alltagslebens. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tamedia.ch.