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Blick unter Wasser
Was die Zürichsee-Karte der Erdbebenforscher offenbart

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Die unterschiedlichen Seetiefen haben mit dem Rückzug des Linthgletschers nach der letzten Eiszeit zu tun.
Auf der bathymetrischen Karte des Zürichsees sind die Seetiefen unterschiedlich eingefärbt. Grün ist tiefer als rot.
Die unterschiedlichen Seetiefen haben mit dem Rückzug des Linthgletschers nach der letzten Eiszeit zu tun.
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Er ist uns so nah, und doch kennen ihn die meisten nur oberflächlich: den Zürichsee. Seine Tiefen und Formen unter Wasser sind hauptsächlich Tauchern und Wissenschaftlern bekannt. Doch nun können sich selbst wasserscheue Laien das Relief des Seegrunds veranschaulichen. Dies dank einer Karte, die das Bundesamt für Landestopografie Swisstopo veröffentlicht hat. Sie ist online einsehbar.

Auf den ersten Blick fallen bei dieser sogenannt bathymetrischen Karte vor allem die unterschiedlichen Seetiefen auf. Einem Farbraster folgend wurden sie eingefärbt. Wo der See nur etwa 20 bis 30 Meter tief ist, dominiert zum Beispiel die Farbe Rot. Dies ist im Abschnitt von Rapperswil bis auf Höhe von Stäfa und Wädenswil der Fall. Tiefe Bereiche, wie die tiefste Stelle des Zürichsees (136 Meter) zwischen Oberrieden und Herrliberg, sind grün markiert.

Mit Schallwellen ausgemessen

Je näher man heranzoomt, desto mehr Details gibt die Karte preis: Klar erkennbare steile Abhänge treten zutage. Oder auch Flächen, die grossen, abgerutschten Schneebrettern gleichen. Sie lassen einen rätseln, genauso wie diverse winzige Erhebungen am Seegrund. Handelt es sich etwa um versunkene Schiffe?

Die Karte stellt das Relief des Seegrunds und was darauf liegt so detailliert dar, wie es keine andere Karte zuvor tat. Sie widerspiegelt die Strukturen auf wenige Zentimeter genau. Hergestellt wurde das Modell nicht von Swisstopo selbst, sondern von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der ETH Zürich und der Universität Bern. Neben dem Zürichsee (ohne Obersee) haben sie auch bereits die meisten anderen grossen Seen der Schweiz kartografiert.

«Seeböden sind perfekte geologische Archive.»

Wissenschaftler Flavio Anselmetti

Im Zürichsee geschah dies 2014. Während sechs Wochen waren die Forschenden hier mit einem Schiff unterwegs, an dessen Bug ein Fächerecholot befestigt war. Dieses misst die Tiefe anhand von Schallwellen. Aus den Daten entstand schliesslich das digitale Geländemodell. Einzig die Uferbereiche, wo das Wasser weniger als fünf Meter tief ist, fehlen. «Solch flache Stellen muss man mit Lasertechnologie aus der Luft per Flugzeug ausmessen», sagt Professor Flavio Anselmetti. «Darauf haben wir beim Zürichsee aus Kostengründen verzichtet.»

Anselmetti ist Direktor des Instituts für Geologie an der Uni Bern und die treibende Kraft hinter der Kartografierung der Seen. Er hat die Daten Swisstopo zur Verfügung gestellt. Was aber nützen die Geländemodelle der Wissenschaft? «Seeböden sind weitgehend unberührt und deshalb perfekte geologische Archive», sagt Anselmetti.

Spuren in Oberrieden

Der Wissenschaftler präzisiert: «An den Unterwasserhängen lagern sich Schlammmassen ab. Bei Erdbeben rutschen diese ab.» Mithilfe von Bohrungen und Probenentnahmen lasse sich bestimmen, wann die Rutschung erfolgte. «So konnten wir einen Erdbebenkatalog der letzten rund 15’000 Jahre erstellen.»

Ein Beispiel: Im See vor Oberrieden sind zwei markante Rutschungen auszumachen. Die nördlichere der beiden wurde vor rund 2300 Jahren durch ein Erdbeben ausgelöst. Die südlichere Schlammlawine, die direkt vor der Badi liegt, ist deutlich jünger und deshalb noch besser erkennbar. Sie ist im Jahr 1918 durch Uferverbauungen entstanden.

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Die Rutschung vor dem Horgner Seeufer ereignete sich im September 1875. Der kurz zuvor eröffnete Bahnhof sank ins Wasser ab.
Vor Oberrieden sind zwei Rutschungen zu sehen. Die obere ist älter. Ihre Umrisse sind schlechter zu sehen, weil sich in der Zwischenzeit viel Schlamm auf ihr ablagern konnte.
Die Rutschung vor dem Horgner Seeufer ereignete sich im September 1875. Der kurz zuvor eröffnete Bahnhof sank ins Wasser ab.

Insgesamt wurden im Zürichsee 50 Rutschungszonen ausgemessen. Darunter auch eine vor Horgen. Sie ereignete sich im September 1875: Für die Eisenbahnlinie hatte man zuvor viel Land aufgeschüttet. Kurz nach Eröffnung der Bahnlinie geriet dieses in Bewegung – die Gleise gingen unter, das nigelnagelneue Bahnhofsgebäude sackte einen Meter ab. Alles musste abgerissen werden. 13 Jahre später erhielten die Horgner am heutigen Standort einen neuen Bahnhof.

Stillstand des Linthgletschers

Die Erdbebenforscher interessieren aber vor allem die natürlichen Ereignisse: Zeigt sich, dass in mehreren Seen um die gleiche Zeit grössere Schlammlawinen erfolgten, deute dies auf ein aussergewöhnlich starkes Erdbeben hin, erklärt Flavio Anselmetti. «Solche sehr starken Beben kommen in der Schweiz nur alle paar Tausend Jahre vor.» Letztmals vor rund 2300 Jahren, als die Oberriedner Rutschung ausgelöst wurde. Die Wissenschaftler schätzen, dass es eine Magnitude zwischen 6,5 und 7 gehabt haben muss.

Das Geländemodell gibt aber auch Einblick in die Entstehung des Zürichsees. Beim Rückzug des Linthgletschers vor etwa 18’000 Jahren wurde das Becken mit Wasser gefüllt. Allerdings fand dieser Rückzug nicht gleichmässig statt: Eine Zeit lang wuchs der Gletscher nochmals ein wenig und blieb stehen. So sei der heutige Seedamm zwischen Rapperswil und Pfäffikon SZ als sogenannte Endmoräne «aufgeschoben» worden, sagt Anselmetti.

Nach der Phase des Stillstands habe sich vor und hinter dieser Moräne feinstes Gesteinsmaterial aus dem Gletscherwasser abgelagert. So lasse sich erklären, weshalb der Zürichsee im oberen Bereich viel niedriger ist als im unteren Abschnitt. Hinzu komme, dass die Zuflüsse auch heute noch Material herantransportieren.

Im orangen Bereich auf Höhe der Hafenanlage Wollishofen sind mutmasslich unterseeische (kraterförmige) Quellen zu sehen.

Eine andere interessante Entdeckung machten die Forscher am unteren Ende des Sees: Im Zürcher Seebecken vor dem Hafen Wollishofen offenbart die bathymetrische Karte kleine Krater. «Wir gehen davon aus, dass es sich um unterseeische Quellen handelt», sagt Flavio Anselmetti. Allerdings seien diese klein, verglichen mit einem hundert Meter breiten Krater, den man im Neuenburgersee gefunden habe. Auffallend sei auch, dass der Seeboden vor Zürich hügelig ist. Das sei typisch für ein Gletschervorfeld.

60 mögliche Schiffswracks

Jahrelang stand die bathymetrische Zürichsee-Karte nur der Wissenschaft und Behörden zur Verfügung. Doch Interesse angemeldet haben auch Hobbytaucher schon lange. Einer, der schon früh Zugriff erhalten hatte, ist Adelrich Uhr. Der Hinwiler und sein Verein Swiss Archeodivers untersuchen in Kooperation mit der Kantonsarchäologie versunkene Schiffe und arbeiten deren Historie auf.

Auf der bathymetrischen Karte habe er 60 Stellen ausmachen können, die mit grosser Wahrscheinlichkeit grössere Schiffe am Seegrund zeigen, sagt Uhr. 15 davon konnte er schon untersuchen. So zum Beispiel das Wrack eines Ledischiffs, das um 1900 vor dem Stäfner Hafen versunken ist.

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Die Erhebungen im roten Bereich zeigen dessen genauen Standort.
Das Ledischiff, das um 1900 vor dem Hafen Stäfa versunken ist, liegt auf 17 Metern Tiefe.
Die Erhebungen im roten Bereich zeigen dessen genauen Standort.

Nun, da die Karte öffentlich ist, können die Schiffe theoretisch von jedermann gefunden und angetaucht werden. Sieht der Hobby-Archäologe darin ein Problem? «Nein», sagt Adelrich Uhr, «die meisten Schiffe liegen viel zu tief, als dass man ohne Spezialausrüstung und ohne Boot hinkommen würde». Das sei gut so. Denn für die Arbeit der Swiss Archeodivers sei es wichtig, dass die Wracks unberührt bleiben.

Für Unterwasserarchäologen ist die Karte also ein Segen. Und was nützt sie gewöhnlichen Taucherinnen und Tauchern? Franz Badertscher, Präsident des Kilchberger Tauchclubs Glaukos, sagt: «Die einfach zugänglichen Tauchplätze waren schon vorher bestens bekannt.» Etwa die sogenannte Schoggiwand im See vor der Lindt-&-Sprüngli-Fabrik oder die Felswand bei der Halbinsel Au.

Kommt hinzu: Beliebte künstliche Tauchziele wie Rohre oder Trinkwasserfassungen sind auf der Karte nicht zu finden. Die Kartenhersteller haben diese unkenntlich gemacht – aus Sicherheitsgründen.

Link zur bathymetrischen Karte: https://s.geo.admin.ch/926b728339

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