Sinnieren übers ÄlterwerdenWas denkst du, wenn du in den Spiegel schaust?
Die Fotografin Sabina Bobst hat Freunde und Kollegen über die Jahre fotografiert und zum Älterwerden befragt.
Ich empfinde das Älterwerden als eine Bereicherung. Ein verstärktes Bewusstsein für mein Denken und danach handeln. Seit meinem 50. Geburtstag kann ich von Erfahrungen profitieren, die ich in meinem Leben gemacht habe, und mein Leben so leben, wie ich es mir wünsche. Klare Ziele und Wünsche und Träume!
Ich bin oft mit jüngeren Leuten zusammen, und dann schicken die mir ihre Handyfotos und ich denke: Hey, wer ist denn die Alte in der zweiten Reihe? Ich bin innen mindestens 25 Jahre jünger als aussen! Mindestens!
Ich empfinde mich weder als jung noch als alt. Ich meine damit nicht den abgegriffenen Spruch, man sei so alt, wie man sich fühle. Das ist natürlich Unsinn. Mein Alter spielt für mich einfach keine Rolle, weil es mich bisher kaum einschränkt. Dass ich älter geworden bin, merke ich nicht an mir selbst, sondern nur im Kontakt mit anderen. Wenn Studenten mir plötzlich furchtbar jung vorkommen, wenn mir im Dorf meiner Kindheit bewusst wird, dass ich vor mehr als zwanzig Jahren von dort weggezogen bin, wenn mich in Deutschland eine zwanzigjährige Serviererin mit «junger Mann» anspricht und ich mir dabei ziemlich blöd vorkomme.
Hoffe, dass ich einigermassen körperlich fit und möglichst lang unabhängig sein kann. Ich frage mich ab und zu, wie es sein wird, wenn ich pensioniert bin. Werde ich in der Verfassung sein, meine andere Heimat zu besuchen? Wie wird es mit mir in Zukunft sein? Diese Gedanken verweilen aber nicht lang! Ich bin meistens im Hier und Jetzt.
15 Jahre: Gelebt und gefühlt mehr ungelenk, mehr grau, mehr langsam, mehr Falten. Und der Fotobeweis? Erstaunlich und erfreulich wenig davon.
Es ist ein Thema im Hinblick auf meine Orientierung, wie ich die nächsten Jahre auszurichten gedenke. Wenn man im Jahr 2021 60 Jahre alt wird, dann stellt man (oder zumindest ich) Weichen: Wie will ich aktiv im Berufsleben in der bisherigen Tätigkeit weitermachen? Inwieweit ziehe ich mich aus der Öffentlichkeit zurück? Der coronabedingte Shutdown hat meine Gedanken zum Älterwerden zusätzlich angeregt. Es sind also nicht in erster Linie die sichtbaren Altersjahre, die mich umtreiben, sondern bevorstehende Zäsuren. Dazu gehört nicht das fixe Rentenalter, aber das flexible.
Der jugendliche Enthusiasmus und der Sturm haben sich gelegt, wenn auch der Drang zuweilen noch sehr
stark ist. Als junger Grossvater und alter Vater – die Tochter ist nur 8 Jahre älter als die Enkelin – sind meine
Gedanken und auch Aktivitäten bisweilen schon auf die nächste und übernächste Generation gerichtet –
das ist in dieser Konkretheit neu und weist gelegentlich schon deutlich über das eigene Leben hinaus.
Vor dem Spiegel: Ich freue mich grundsätzlich, mich zu sehen. Ich meine, ich sei gut gealtert. Ein bisschen breit geworden, o.k., da könnte oder sollte ich was tun, die 15 Kilo zu viel müssten doch zu schaffen sein – ich fang sicher bald mit einer Diät an oder beginne, regelmässig Sport zu machen. Einfach nicht gerade sofort …
Dann ist da noch die Sache mit dem Omasein. Das ist so krass für mich!! Nicht unbedingt, weil ich mich als
Oma gleich älter fühlen sollte, es geht tiefer. Es hat mit der Tatsache zu tun, dass meine Tochter nun selber
Mutter ist, wodurch sich auch mein Verhältnis zur Tochter verändert. Meine eigene Lebensrolle ändert
sich wieder. Ich erkunde gwundrig die Oma-Zone, weil hier wieder Neues möglich ist, da ich die Erziehungsverantwortung nicht selber trage.
Ich stehe dazu: Ich finde es definitiv nicht toll, alt zu werden. Zugegebenermassen bezieht sich diese Aussage
auf das Äussere und vor allem auf den körperlichen Zerfall. Früher hat mich das nicht interessiert. Aber
seit einer ganzen Weile spüre ich, wie es mich seelisch und physisch schmerzt, nicht mehr alles machen zu
können, nicht mehr mit Tempo und Kraft Fussball spielen, herumspringen und mich schadlos verausgaben
zu können. Ich spüre definitiv einen dumpfen Frust, wenn ich mich mein Alter sagen höre. In zehn Jahren
pensioniert? Schrecklich, und Gopfridstutz: Was soll das? Ich bin doch noch lange nicht fertig!
Letzte Woche, mitten in einer Zoom-Sitzung, spüre ich etwas Hartes im Mund. Der untere Schneidezahn ist der Länge nach entzweigebrochen. Einfach so! In der folgenden Nacht träume ich, dass ich an kreisrundem Haarausfall leide, der ganze Hinterkopf ist kahl. Am Morgen dann Erleichterung, bis ich merke, dass beim Schneidezahn immer noch die Hälfte fehlt. Was für elende Vorzeichen! Das Leben rast mit mir zu schnell aufs Alter zu. Ich frage mich, wie ich dabei alles noch reinpacken will, was ich unbedingt noch erleben, sehen, lernen möchte. Ich schmiede Pläne, wie wenn ich noch dreissig wäre, und werfe sie über Bord, weil ich ja siebenundfünfzig bin. Diese Diskrepanz im eigenen Zeitempfinden kann mich ganz schön aus der Bahn werfen. Wie also damit umgehen? Die Zeit zurückdrehen, unmöglich. Innehalten und mich der Musse hingeben, langweilig. Dann also doch vorwärts mit der Zeit und jugendlicher Neugierde. Ich hoffe, es gelingt mir.
Ja und dann ein Zacken langsamer und vorsichtiger mit dem Velo den Hang runterfahren, aber immer noch
ohne Helm, doch am liebsten mit Sonnenbrille, weil neu das Augenwasser schmerzt …
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