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Neue Massnahmen beim Impfvorreiter
Was Dänemark uns über die Pandemie lehrt

Auf und ab in Dänemark: Das Halbfinal-Aus an der EM hat die Fussball-Euphorie im Sommer jäh beendet, und nun lässt der Anstieg der Covid-Zahlen die Party-Stimmung im Herbst abflachen.
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Dänemark hatte es geschafft, war über den Berg: Ende August erklärten die Skandinavier die Pandemie für beendet. Möglich machte das eine hohe Impfquote, das Land gehört zur Spitzengruppe der Vakzinierten.

Die komplette Öffnung war aber eine riskante Strategie, wie unser Korrespondent damals in einer Analyse schrieb, und auch die Regierung sagte, dass erneute Massnahmen trotzdem noch möglich seien, sollten die Fallzahlen wieder steigen. Tatsächlich zeigt sich jetzt, dass sich Corona noch immer im Land verbreitet, und die Regierung hat wieder leichte Massnahmen wie eine Zertifikatspflicht in Bars und Restaurants eingeführt.

Dies kommt kurz vor den lokalen Wahlen in Dänemark, es gibt also womöglich auch eine politische Komponente bei der Einführung des Zertifikats. Zumal die Kurve der Fallzahlen sich ähnlich steil nach oben bewegt wie vor einem Jahr, als auch Dänemark eine heftige Welle erlebte. Einfach nichts zu tun, wäre für die Regierungspartei offenbar das falsche Signal gewesen.

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Doch weshalb gerät das Impfvorbild überhaupt wieder ins Straucheln? Sollte die hohe Vakzinierungsquote einen solchen Rückfall nicht verhindern? Und was bedeutet das für die Schweiz?

Gemäss aktuellen Zahlen des BAG ist die Impflücke zu den Skandinaviern noch gross. In der Schweiz sind etwas mehr als 64 Prozent aller Menschen vollständig geimpft, in Dänemark sind es 76 Prozent. Ähnlich gross ist der Unterschied bei der «impffähigen» Bevölkerung, in der Schweiz sind 73,4 Prozent der Personen ab 12 Jahren vollständig geimpft, in Dänemark sind es 86 Prozent.

Herdenschutz nicht mehr möglich

Die Schweizer Impfwoche sollte die Lücke zu den Vorreiternationen schliessen helfen, doch selbst wenn dies dereinst noch erreicht würde – dieses Jahr ist nicht mehr damit zu rechnen –, stellt Dänemark nun infrage, ob damit ein Ende der Pandemie überhaupt näherrückt.

Der Schweizer ETH-Epidemiologe Marcel Salathé erklärt im Interview mit «10 vor 10», dass die Hoffnung nun tatsächlich weg sei, das Problem mit einer bestimmten Impfquote aus der Welt schaffen zu können. Die Impfung habe zwar das gebracht, was man sich erhoffte, nämlich, dass es für die Geimpften keine grosse Gefahr mehr gebe. Doch es verbleiben noch zu viele Ungeimpfte, die das Gesundheitssystem belasten könnten, wenn viele von ihnen in kurzer Zeit erkrankten.

Für zwei Monate herrschte Ausgelassenheit: Partygäste drängen sich im September vor einem Nachtclub in Kopenhagen.

Der deutsche Virologe Christian Drosten sagt, dass diese Ungeimpften jetzt auch nicht mehr auf einen Herdenschutz hoffen können, wie er in einem Interview mit Zeit.de erklärt. Alle werden sich früher oder später anstecken. Schuld daran sei die Delta-Variante, die sich auch bei den Geimpften munter weiterverbreite. Zwar hätten diese weniger lange eine infektiöse Virenlast, aber entscheidend sei die Anfangszeit und da übertragen auch die Geimpften Corona, sagt Drosten.

Es sei deshalb auch falsch, von einer «Pandemie der Ungeimpften» zu sprechen. Es sei eine Pandemie, zu der alle beitragen, auch die Geimpften, wenn auch etwas weniger.

Alle sollten Booster erhalten

Umgekehrt tragen die doppelt geimpften Erwachsenen auch nur noch wenig zu einem möglichen Herdenschutz bei, sagt der Virologe. Würde man diesen erreichen wollen, müssten einerseits Impflücken geschlossen werden und andererseits möglichst alle Anspruchsberechtigten einen Booster erhalten. So könnte man die Übertragungen einschränken, und die Fallzahlen würden sinken.

Das wäre zumindest seine Idee, sagt Drosten im Interview, um durch den Winter zu kommen. Wahrscheinlich sei die Zeit aber ohnehin zu knapp dafür, und gebe auch noch schlicht zu viele Ungeimpfte.

3-G-Regel nützt zu wenig

Einen angenehmen Ausweg sieht der deutsche Experte deshalb nicht, er sagt sogar, es werde wegen der Ungeimpften wohl wieder Kontaktbeschränkungen brauchen. Mit 3-G erreiche man keine genügende Entlastung. Zwar seien die Immunisierten geschützt, auch grösstenteils vor schweren Verläufen. Aber die Getesteten können sich mit 3-G bei den Geimpften anstecken, und ein Teil davon werde schwer erkranken.

Wie man durch den Winter komme, sei aber Sache der Politik, betont Drosten. Die Wissenschaft sollte keine Forderungen stellen, sondern nur die Situation erklären, sei seine Meinung. Er hoffe nur, dass man nicht wieder Schulen schliesse, auch wenn das für die Politik eine einfachere Massnahme wäre als eine Homeoffice-Pflicht.

Die britische Nachdurchseuchung

Wie es mit Impfung und Immunität doch gehen könnte, zeigt gemäss Drosten das Beispiel Grossbritannien. Dort wird dem Virus seit dem «Freedom Day» vom 19. Juli einfach freien Lauf gelassen, das Land befinde sich in der «Nachdurchseuchungsphase». Dabei bauen natürliche Infektionen den Gemeinschaftsschutz auf.

Durch die Impfung sind die Infizierten vor schweren Verläufen geschützt, und das Virus wird endemisch, wie andere Erkältungskrankheiten. In Grossbritannien sei das möglich, weil es mehr Genesene gebe und die Alten praktisch durchgeimpft seien, fast 94 Prozent der über 70-Jährigen sind doppelt geimpft.

Das gilt aber auch für Dänemark, dort haben sogar über 96 Prozent aller über 65-Jährigen schon zwei Impfdosen erhalten. In der Schweiz ist die Impfquote in der Altersklasse ab 70 tiefer, sie liegt bei lediglich 89 Prozent. Rund elf Prozent der gefährdetsten Personen in der Schweiz sind demnach nicht durch die Impfung geschützt, in Dänemark sind es knapp vier Prozent.

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Sterbezahlen wie in starker Grippewelle

Während Dänemark nun rasch auf steigende Hospitalisierungszahlen reagiert hat, bleibt Grossbritannien seiner Linie treu. Man hat sich an das «neue Normale» gewöhnt. Es gibt zwar viele Neuinfektionen, fast so viele wie im letzten Winter, doch die Hospitalisierungen sind stabil bei etwa 800 bis 1000 pro Tag, rund fünfmal weniger als beim Januarhöhepunkt.

Seit Juli sterben im Schnitt täglich etwa 125 Menschen an Covid. In einer heftigen Grippesaison – wie in Grossbritannien 2014/2015 oder 2017/2018 – starben im Schnitt etwa 140 Menschen pro Tag. Das sind Sterbezahlen, welche die Bevölkerung kennt und offenbar akzeptiert.

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Britischer Weg nicht möglich

Der britische Weg ist uns aber noch verschlossen, wir können das Virus nicht einfach laufen lassen, erklärt Virologe Drosten. Ohne die Impflücken zu schliessen, könnte das für Deutschland 100’000 Tote bedeuten, in der Schweiz wären es mehrere Tausend. Drosten sieht nur zwei Wege für Länder wie Deutschland, Österreich oder die Schweiz: Herdenschutz oder Durchimpfung.

Der Herdenschutz funktioniert aber wie erwähnt nicht mehr, weil die Geimpften das Virus mit Delta auch weiterverbreiten. Es bleibt also, möglichst viele Erwachsene zu immunisieren, mit Erstimpfungen und Boostern, damit es keinen starken Druck auf die Intensivstationen gibt, wenn die Nachdurchseuchung stattfindet. Infektionen wären dann praktisch immer Impfdurchbrüche, und es gäbe viel weniger schwere Verläufe und Todesfälle, sagt Drosten. Er vergleicht es mit einer schweren Grippe-Saison, also so wie in Grossbritannien derzeit.

Auch Singapur machte Rückzieher

Den britischen Durchhaltewillen zeigen aber noch wenige Staaten. Vor Dänemark ist auch Singapur schon vor dem Virus eingeknickt. Man wollte dort «lernen, mit dem Virus zu leben», und nicht mehr tägliche Fallzahlen verfolgen. Die Regierung verhängte allerdings in Windeseile wieder Massnahmen, als es zu mehreren Corona-Hotspots kam. Man ist im südostasiatischen Kleinstaat stolz auf die niedrige Zahl der Covid-Todesfälle und möchte diese bewahren.

Das gilt auch für Dänemark, wo die Wiedereinführung der Zertifikatspflicht bewusst früh erfolgt. In den Spitälern lagen schon über 900 Corona-Erkrankte, derzeit sind es erst 300. Statt weiter zu beobachten und dann zu reagieren, wollte die Regierung aber vorzeitig gegensteuern.

Alle werden sich anstecken

Für die Schweiz gibt es auch Beispiele von Impfvorreitern, die Hoffnung machen: Israel hat Corona dank Booster-Impfungen in grossen Bevölkerungsteilen wieder im Griff. Und in Portugal oder Finnland zeichnet sich noch keine neue Welle ab. Was dies für die Zukunft bedeutet, wissen aber auch die Experten nicht genau.