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AboAbnehmen und Sport: Der Trick der Evolution
Warum wir so gern faul sind

Erzählen Sie uns von Ihrem Hund und der Wichtigkeit, faul zu sein.

Faul sein wird negativ bewertet. Dabei hat mein Hund wie alle Tiere und auch wir Menschen diesen tiefen Instinkt, unnötige körperliche Aktivität zu vermeiden.

Darum liegen Hunde gern herum?

Meine Hündin ist exzellent darin, die gemütlichsten Ecken unseres Hauses zu finden und dort zu liegen. Aber wir Menschen würden Hunde niemals als faul im negativen Sinn bezeichnen. Wenn Menschen hingegen unnötige Aktivität vermeiden, verurteilen wir ihr Verhalten, weil wir diese komische Sache erfunden haben.

Wovon sprechen Sie?

Bewegung und Sport. Ich war zum Beispiel eben 16 km joggen. Das ergibt aus evolutionärer Sicht keinen Sinn. Aber weil wir über die Jahrhunderte unsere Alltagsbewegungen auch dank Maschinen und neuer Jobs abgeschafft haben, sind wir gezwungen, uns anders zu bewegen. Wir erfanden: den Sport. Er tut uns gut und hält uns gesund, widerspricht aber unserem Instinkt.

Warum dieser Instinkt?

Für Menschen war die Kalorienzahl bis vor kurzem sehr, sehr eingeschränkt. Menschen mussten hart für jede Kalorie arbeiten. Hätten sie da unnötige Kalorien verbrannt, indem sie sich sinnlos bewegten, hätten sie ihr Leben und das ihrer Kinder gefährdet. Wir hingegen haben die Migros erfunden und verfügen somit über einen Überfluss an Kalorien. Darum kann man wie ich auch gefahrlos joggen gehen. Wir zahlen mittlerweile gar für Lebensmittel, die besonders kalorienarm sind.

Bewegungsmuffel haben also eine tolle Ausrede – die Gene sind schuld?

Menschen wie Tiere sind nur aus zwei Gründen aktiv: 1. Wenn es notwendig ist. 2. Wenn sie für Bewegung belohnt werden. Aber stellen Sie sich am Zürcher HB doch mal an einen Aufgang vor, wo die Leute entweder die Rolltreppe oder die Treppe benutzen können. Die Mehrheit entscheidet sich für die Rolltreppe. Sie sind nicht faul, sie handeln schlicht instinktiv!

Berliner Sofasportlerinnen an der Fussball-WM von 2014. 

Bloss verfetten die Menschen mit diesem Instinkt in unserer Welt der vielen und billigen Kalorien. Wie also zum Bewegen bzw. Sporttreiben animieren, dazu noch gegen unseren Instinkt?

Wichtig ist: Das Bewegen muss Spass bereiten. Und weil wir Menschen soziale Wesen sind, sind wir gern mit anderen zusammen. Das heisst in Bezug auf Bewegung bzw. Sport: mit der Familie oder Freunden beispielsweise wandern zu gehen. Sie verbringen einen netten Tag mit Menschen, die sie mögen, und vergessen ganz, dass Sie sich dazu auch noch bewegen. Was aber wird uns gesagt?

Was?

Gehen Sie ins Gym und rennen Sie auf dem Laufband eine Stunde! Natürlich verbrennt man so auch Kalorien, aber der Spass ist viel geringer. Weder führen Sie tolle Gespräche, noch erleben Sie gemeinsam etwas. Oder denken Sie ans Tanzen.

Was ist damit?

Tanzen ist körperliche Bewegung – und Menschen haben immer gern getanzt, weil sie Spass daran haben. Um physisches Training geht es den allermeisten nicht beim Tanzen. Trotzdem trainieren sie, ohne es zu merken.

«Wir verschreiben Bewegung wie Medizin, geben Richtlinien vor. Bloss funktioniert dieser Ansatz bei der Mehrheit der Menschen nicht.»

Wann haben wir vergessen, uns primär mit Lust zu bewegen – und damit den Sport nur noch über den Leistungsaspekt definiert?

Es gibt nicht den einen Start. Aber nehmen Sie nur schon das Wort an sich: Bewegung kommt vom Lateinischen «exercitium», im Englischen «exercise». Darin verbirgt sich das Wort Drill, Übung – und war früher der Elite vorbehalten, gehörte zu ihrer Ausbildung. Auch das Militär setzt stark auf diesen Drill, will fitte Soldaten. Und was haben wir Menschen in unserer Zeit getan?

Was?

Wir haben die Bewegung medikalisiert.

Das bedeutet?

Wir verschreiben Bewegung wie Medizin, geben Richtlinien wie die Weltgesundheitsorganisation vor, die sagt: Bewegen Sie sich 150 Minuten in der Woche! Bloss funktioniert dieser Ansatz bei der Mehrheit der Menschen nicht über einen längeren Zeitraum. 80 Prozent der Amerikaner erfüllen diese WHO-Vorgabe zurzeit nicht.

Dabei ist jede Bewegung besser als gar keine. Warum will das nicht in die Köpfe vieler Menschen?

Ihnen fehlt das Wissen dafür, dass schon ganz wenig Bewegung einen positiven Einfluss auf die Gesundheit haben kann – und wir dabei ja gar nicht von Sport reden, sondern Treppensteigen, Wäscheaufhängen oder Staubsaugen. Wir verkaufen also nicht nur die Botschaft schlecht, sondern machen den Menschen dabei auch noch ein schlechtes Gewissen. Wen wundert also, dass viele keine Lust auf Bewegung haben?

«Wer das Abnehmen nicht schafft, wird oft als Verlierer dargestellt. Aber mit diesen Menschen ist überhaupt nichts falsch.»

Die Parallelen zum Abnehmen sind offensichtlich.

Ja. Abnehmen und das Gewicht halten, ist schwierig. Wir Menschen sind dafür aus evolutionärer Sicht nicht bestimmt. Wer das Abnehmen nicht schafft, wird oft als Verlierer dargestellt. Aber mit diesen Menschen ist überhaupt nichts falsch. Ihr Körper tickt, wie er muss: Er will die Kalorien halten, das hat er über viele Jahrtausende ja gerade zu tun gelernt. Wir müssen also mitfühlend sein statt bewertend und sollten Menschen nicht an ihren Instinkten messen.

Unsere Gesellschaft hat noch ganz viele andere Gesundheitsgebote. Dazu zählt: Sitzt nicht zu lange, es schadet euch!

Genau, man hört zum Teil schon, dass Sitzen das neue Rauchen sei. Dabei ist Sitzen absolut normal. Uns aber wird gesagt: Früher hätten sich die Menschen ständig bewegt, seien nie gesessen. Das ist Blödsinn. Ich studiere immer wieder Naturvölker, die noch von der Jagd und dem Sammeln leben. Die besitzen zwar keine Stühle, sitzen aber trotzdem zehn Stunden am Tag. Worin sie sich unterscheiden: Sie sitzen nicht lange am Stück, stehen zum Beispiel auf, um ein Stück Holz ins Feuer zu legen oder einem Kind zu helfen. Wir hingegen verwirren Leute mit unseren Botschaften.

Ganz schön vorbildlich: Geschäftssitzung ohne Stuhllehnen.

Wann wird Sitzen zum Problem?

Wenn Sie nur sitzen, also beim Frühstück, der Autofahrt ins Büro, im Büro etc. Aber Studien zeigen: Das Hauptproblem betrifft das Sitzen in der Freizeit. Da wird zu viel gesessen. Wenn zwei Personen gleich lange sitzen, die eine aber immer wieder aufsteht, ist sie im Schnitt gesünder als die andere Person.

Was passiert im Körper?

Wir können diese Frage noch nicht komplett beantworten. Aber indem die Muskeln aktiviert werden, wie der Motor eines Autos, werden ganz viele Prozesse aktiviert.

Was Sie auch sagen: Stühle mit Lehnen können zum Problem werden. Warum?

Weil ich dagegenlehnen kann, was zwar bequem ist, aber dazu führt, dass bestimmte Muskeln nicht mehr aktiv sind. Inaktive Muskeln werden schwach. Schwache Rückenmuskulatur wiederum kann zu Schmerzen führen – und ist mit ein Grund, warum Rückenschmerzen in der Bevölkerung weltweit derart vorhanden sind.

«Wer einen Bürojob hat und für sein Essen nicht jagt und sammelt, sollte idealerweise irgendeine Form von Krafttraining machen.»

Also müssen wir Gewichte heben, weil wir die Stuhllehne erfunden haben?

Wer einen Bürojob hat und für sein Essen nicht jagt und sammelt, sollte idealerweise irgendeine Form von Krafttraining machen, das geht aber auch ohne Gewichte. Insgesamt gilt: Wer ein sogenannt modernes Leben führt und körperlich nicht verkümmern will, muss das tun, was für unsere Vorfahren seltsam anmuten würde: sich bewegen, nur damit man sich bewegt hat. Für mich ist der Vergleich mit dem Lesen hilfreich.

Er besteht worin?

Lange las niemand auf der Welt, dann war es bloss eine kleine Minderheit, die lesen konnte. Nun sind es ganz viele Menschen. Bewegung muss so selbstverständlich wie Lesen werden.

Sie sagen auch: Je älter ein Mensch werde, desto wichtiger werde die Bedeutung körperlicher Aktivität. Warum?

Verkürzt kann man sagen: Menschen, die sich bewegen, leben länger gesund. Das ist schlicht ein Fakt. Hinzu kommt ein evolutionärer Aspekt, den wir die Grosseltern-Hypothese getauft haben.

Schon wenig Bewegung bringt viel mehr als keine: Freilufttraining in Warschau.

Sie lautet wie?

Ich komme darauf, erst dies: Wir glauben, Naturvölker würden sehr viel weniger lange leben als wir. Das ist falsch bzw. verkürzt. Zieht man die Kindersterblichkeit ab, leben diese Menschen im Schnitt 70 bis 80 Jahre. Menschen lebten also auch lange nach ihrer Reproduktionsfähigkeit weiter …

… und wurden irgendwann Grosseltern.

Genau. Und diese Grosseltern gingen über Jahrtausende nicht einfach in den Ruhestand bzw. liessen sich pensionieren. Sie halfen ihren Kindern und deren Kindern – wie es zum Teil heute noch in Bauernfamilien der Fall ist. Die Grosseltern mussten also fit bleiben, weil sie gebraucht wurden. So funktioniert das menschliche System. Und was führt dazu, dass Menschen lange gesund leben?

Bewegung?

Richtig. Also ist dieses bewegungsreiche, aktive Leben in unserer DNA angelegt. In unserer Zeit werden die Menschen zwar alt, aber sie sind die letzten Jahre oft krank. Zwei konkrete Zahlen: Die durchschnittliche Lebenserwartung in den USA beträgt momentan 79 Jahre, die durchschnittliche Gesundheitsspanne aber nur 63 Jahre. Die letzten 16 Jahre leben die Amerikaner mit chronischen Krankheiten wie Herzproblemen, Diabetes oder Arthritis.

Das ist bei Naturvölkern unter anderem sehr viel weniger der Fall …

… weil der Stress körperlicher Aktivität sie länger gesund hält. Es zeigt: Wir Menschen haben uns über die Jahrtausende so entwickelt, dass wir lange leben und körperlich aktiv sind – und uns diese Aktivität erlaubt, trotz dem Altern lange gesund zu bleiben. Was aber haben wir eingeführt?

Sagen Sie es uns.

Das Konzept des Ruhestands. Wir zahlen dafür einen sehr hohen Preis.

Ist Bewegung gar wichtiger als das, was wir essen?

Falsche Frage. Beides ist wichtig. Was wir wissen: Wer sich viel bewegt, sich also um seine Gesundheit kümmert, isst im Schnitt auch gesünder.

Dann eine andere Frage: Gibt es die beste Bewegungsform – ist es allenfalls das Gehen?

Zumindest ist Gehen die grundlegendste Art körperlicher Aktivität – mit ganz vielen positiven Effekten auf uns Menschen. Wir haben uns so entwickelt, dass wir täglich 15 km gehen können. Jeden Tag. Das haben wir über Hunderttausende von Jahren so getan. Aber denken Sie daran: Wir entwickelten uns auch, um gelegentlich zu rennen, zu sprinten, Gegenstände zu tragen oder zu werfen.

Der Mix machts?

Ja, zumindest tut uns ein Mix unterschiedlicher Bewegungsformen am besten – im Alter nimmt zudem die Bedeutung von Krafttraining zu, weil die Muskelmasse ansonsten stark abnimmt. Andernfalls wird man gebrechlich und schon der Alltag zur Herausforderung. Daraus kann sich ein Teufelskreis entwickeln.

Sie haben auch erforscht, wie das Laufen die Menschheit prägte. Wie?

Wir sind zum Laufen bestimmt, haben auf diese Weise früher gejagt, also noch vor der Erfindung von Bogen und Pfeil.

Konkreter bitte.

Die Menschen rannten bzw. gingen den Tieren so lange hinterher, bis diese vor Überhitzung kollabierten, weil sie nie länger pausieren konnten – überall auf der Welt, im Sommer sogar in Sibirien.

Und doch glauben Menschen noch immer, joggen schade den Knien.

Das Gegenteil ist der Fall: Es stärkt die Knieregion. Nur muss man lernen zu laufen. Bloss ist das normale Laufen in diesen teilweise supergedämpften Schuhen schwierig und erklärt mit, warum Läufer und Läuferinnen immer wieder verletzt sind.

Also zurück zum Barfusslaufen?

Man lernt zumindest, natürlich zu laufen. Aber nein, ich empfehle nicht, alle sollen ihre Schuhe wegwerfen. Aber alle sollten das Laufen sauber lernen.

«Wir verbieten unseren Kindern, zu rauchen oder Alkohol zu trinken. Aber überzuckerte Produkte, die sie vergiften, gehen hingegen in Ordnung.»

Wenn ich insgesamt ein gesundes Leben führen möchte, was raten Sie?

Das wissen Ihre Leser und Leserinnen doch! Essen Sie vor allem pflanzenbasiert, bewegen Sie sich, schlafen Sie ausreichend, aber lassen Sie sich nicht stressen, wenn es mal zu wenig Stunden sind. Und: Entspannen Sie, treffen Sie Menschen.

Da klingt ein Aber durch.

Das Problem ist: Wir sind umgeben von kalorienreichem Essen, das gar billiger als gesundes ist. Wir verfügen über viele Geräte, welche uns die Arbeit erledigen usw. Darum ist es an der Politik, unsere Welt so zu gestalten, dass wir gesund leben. Nur ein Beispiel: Wir verbieten unseren Kindern, zu rauchen oder Alkohol zu trinken. Aber überzuckerte Produkte, die sie vergiften, gehen hingegen in Ordnung. Ohne politische Interventionen wird es nicht funktionieren.

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