Kolumne «Fast verliebt»Das Leben passiert, während wir andere Pläne schmieden?
Warum Menschen mit Visionen in Beziehungen anstrengend sein können, erlebt unsere Kolumnistin aus allernächster Nähe.
Ich bin ein Mensch mit Visionen. Nicht unbedingt wie Julius Cäsar, eher wie eine Frau mit einem Pinterest-Account. Wobei ich keinen habe, denn die Bilder in meinem Kopf sind so klar, dass ich kein Moodboard brauche. Oft weiss ich beim Einschlafen, was ich am Morgen anziehe. Mein Arbeitsplan steht für die nächsten Wochen detailliert, für die kommenden Monate und Jahre grob. Da kann Unvorhergesehenes nerven. Wann soll ich mich denn darum kümmern? Die Woche ist – dank meiner guten Planung – längst voll.
Klingt nach Kontrollzwang, finden Sie? Ich hatte eine ähnliche Vermutung und überlegte sogar, was man dagegen unternehmen könnte. Entspannen, loslassen, so was vielleicht. Aber dann habe ich die Netflix-Doku über David Beckham gesehen – und gelernt, meine Disposition zu lieben. Der Mann hängt seine kompletten Outfits für die Woche schon in der Vorwoche an die Kleiderstange! Da war ich sehr gerührt. Wie inspirierend kann ein Mensch sein?
Zwar würde ich bei jeder Umfrage sagen: Klar, Spontaneität ist total wichtig! Im Alltag tue ich aber viel, um ihr keinen Raum zu geben. Ich glaube, das liegt daran, dass ich den Zufall insgeheim für einen Langweiler halte. Und natürlich auch ein bisschen daran, dass ich fürchte, die Kontrolle über mein Leben zu verlieren, wenn ich es nicht jederzeit ganz und gar überblicke.
Weniger fest geschnürtes Lebenskonzept
Es ist alles eine Frage der Paarung. Da es schnell etwas eng werden kann, wenn zwei Menschen mit allzu fest geschnürtem Lebenskorsett im selben Raum sind, umgebe ich mich zu meiner eigenen Rettung gern mit Menschen, die hier anders ticken. Die gegen meinen Widerstand auf etwas Leerlauf pochen. Die im Oktober noch nicht wissen, was sie am letzten Januarwochenende machen und die vor dem Ferienanfang nicht schon jedes Hotel gebucht haben wollen.
Die mich überzeugen können, dass die Sonne scheint, auch wenn die Wetter-App Regen angekündigt hat – und dass ich mich deshalb, vorübergehend, von der Vision eines farblich sortierten Kleiderschranks verabschieden sollte, um stattdessen raus an die frische Luft zu gehen. Diese Menschen treibe ich zielstrebig in den Wahnsinn.
Doch es hat nicht nur Nachteile, ein umsichtiger Zeitgenosse zu sein – oder mit einem zusammenzuleben. Veni, vidi, vici: Verbohrte Visionäre mit 5-Jahres-Plan sind vielleicht nicht immer gelassen, sie kommen mit ihrem Stiernacken der Willenskraft aber mitunter genau dorthin, wo sie hinwollten.
Und wenn mein Mann, der gern in den Tag hinein lebt, am Samstag nach einer harten Arbeitswoche aufwacht und noch nicht weiss, was er frühstücken will, stehen schon die Pfannkuchen mit frischem Apfelmus und Zimtzucker auf dem Tisch, deren Realisierung ich seit der Wochenmitte anvisiert habe.
Zumindest in diesen Momenten macht meine Planungswut glücklich.
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