Parteipoker in Deutschland Warum der Bundestag schrumpfen muss
SPD, Grüne und FDP nutzen die Reform des deutschen Wahlrechts, um der CSU und der Linkspartei zu schaden. Zumindest die CSU ist aber auch selbst schuld, dass es so weit kommt.
Dass der bayerische Löwe brüllt, tritt man ihm auf den Schwanz, sollte niemanden wundern. Doch diesmal heult die CSU auf, wie wenn ihre Existenz in Gefahr wäre – und in gewisser Weise ist sie es auch. «Bis zur letzten Sekunde» werde man gegen das neue Wahlgesetz kämpfen, sagt CSU-Chef Markus Söder, Ministerpräsident von Bayern. Sein Generalsekretär spricht von «organisiertem Wahlbetrug», wie man ihn bisher nur aus «Schurkenstaaten» kenne.
Was ist geschehen? Die Ampelparteien SPD, Grüne und FDP verabschieden diese Woche ein neues Wahlrecht, um den Bundestag dauerhaft zu verkleinern. Schaden tut ihr Gesetz vor allem der CSU.
Der Bundestag wächst seit 20 Jahren, und seit mehr als einem Jahrzehnt sind alle Vorschläge gescheitert, daran etwas zu ändern. Statt 598 Abgeordnete zählt er heute 736. Der Bundestag ist damit das grösste frei gewählte Parlament der Welt – nur China leistet sich eine noch grössere Volkskammer. Der Grund für die Aufblähung liegt im komplizierten deutschen Wahlrecht: Bei der letzten Bundestagswahl fielen nicht weniger als 138 sogenannte Überhang- und Ausgleichsmandate an, mehr denn je.
Die CSU blockierte in der Vergangenheit jede Lösung
Dass der Bundestag wuchert, verschlingt nicht nur immer mehr Geld – in diesem Jahr 1,1 Milliarden Euro –, sondern bringt auch viele praktische Probleme mit sich: von fehlenden Büros bis zu überforderten Liften. Dass die Volksvertretung in eigener Sache nicht Mass hält, schadet zudem zunehmend ihrer Akzeptanz.
In den letzten zehn Jahren haben vor allem CDU, CSU und SPD dabei versagt, Abhilfe zu schaffen. CDU und SPD hätten sich vielleicht einigen können, aber die bayerische Regionalpartei blockierte jede Lösung, die ihr geschadet hätte. Doch eine andere war schwer machbar, ist die CSU doch die grösste Profiteurin des bisherigen Systems. Kaum sind die Christdemokraten in der Opposition, erhalten sie nun die Quittung für ihre früheren Blockaden.
Das Wahlrecht, wie es SPD, Grüne und FDP Ende der Woche im Bundestag verabschieden, legt die Axt nun ziemlich radikal an: Das System mit den Überhang- und Ausgleichsmandaten wird einfach abgeschafft, ebenso die sogenannte Grundmandatsklausel. Der Bundestag hätte ab 2025 stets 630 Sitze – und keinen einzigen mehr.
Das deutsche Wahlrecht kombiniert Majorz- und Proporzwahl: In 299 Wahlkreisen werden einerseits Mandate direkt vergeben, mindestens 299 weitere an die Parteien mit den meisten Stimmen. Gewinnt eine Partei mehr Direktmandate, als ihr nach den Parteistimmen zustehen, liegt ein Überhangmandat vor; um die Ungerechtigkeit zu beheben, werden Ausgleichsmandate verteilt. Diese gesamte Mechanik soll nun wegfallen. In der Praxis heisst das, dass künftig nicht mehr jeder Wahlkreissieger im Bundestag sitzt, sondern nur noch die mit den meisten Stimmen. Die CSU gewann 2021 in Bayern 45 von 46 Direktmandaten – damit 11 Überhangmandate. Die fallen künftig alle weg.
Frontalangriff auf die Kleinparteien
Das Ende der Grundmandatsklausel hätte unter Umständen noch drastischere Folgen: Verfehlt eine Partei heute die 5-Prozent-Hürde, kann sie dennoch im Bundestag sitzen, wenn es ihr gelingt, drei Direktmandate zu erobern. Die Linkspartei etwa wäre 2021 mit 4,9 Prozent der Parteistimmen aus dem Bundestag gefallen, dank drei Direktmandaten sitzt sie dort nun aber mit 39 Abgeordneten. Die CSU kam auf 5,2 Prozent – wäre sie unter 5 Prozent gefallen und gälte bereits das neue Recht, hätte sie statt der etwa 34 Sitze am Ende 0 gehabt. Anders als im Fall der Linken bedroht das neue Gesetz die CSU aber nicht in ihrer Existenz: Sie könnte künftig zusammen mit der CDU antreten statt als Einzelpartei, womit die 5-Prozent-Hürde kein Problem wäre.
CSU und Linkspartei haben bereits angekündigt, vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das neue Wahlrecht zu klagen. Fachleute räumen ihren Beschwerden allerdings wenig Chancen ein.
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