Chip-KriseWartest du noch, oder fährst du schon?
Wer heute einen Neuwagen bestellt, muss wegen des weltweiten Chipmangels mit langen Wartezeiten rechnen. Als Zwischenlösung bietet sich ein Auto-Abo an, wie wir es derzeit testen.
Hier ein Klick für die Modellvariante, dort ein Klick für die Motorisierung, dazu noch ein Häkchen bei der Aussenfarbe Blau, nein, Schwarz, nein, Weiss. Und wie wäre es mit ein paar schicken Leichtmetallrädern, Sportsitzen und Ambientebeleuchtung? Klick, klick, fertig ist der online konfigurierte Traumwagen, verfügbar das Geld und ausgemalt schon das Bild im Kopf, in dem man sich darin lässig auf dem Firmenparkplatz oder vor dem Haus der Eltern vorfahren sieht. Sagen wir in zwei bis drei Wochen? Vier? Fünf? Auf alle Fälle pünktlich zu den Festtagen!
Doch dann die Ernüchterung: Weil Lieferengpässe bei Halbleitern und der damit verbundene Chipmangel die Industrie weltweit lähmen, werden den Käufern zahlreicher Modelle zurzeit Wartezeiten abgefordert, die von wenigen Monaten bis zu eineinhalb Jahren reichen. Betroffen seien mittlerweile fast alle Hersteller des Volumen- wie auch des Premiumsegments, weshalb es bereits zum massiven Markteinbruch gekommen sei, so Christoph Wolnik, Mediensprecher der Importeurvereinigung Auto Schweiz. «Am ehesten noch versuchen die Hersteller, elektrisch angetriebene Modelle zu priorisieren, damit CO₂-Sanktionen kein Thema sind, gerade in der EU», sagt er und relativiert sogleich: «Bevorzugt werden allerdings Länder mit Kaufprämien für E-Autos, wozu die Schweiz bekanntlich nicht zählt.» Noch schlägt sich dies nicht in den Marktanteilen nieder – im Oktober verfügte jeder zweite neue PW hierzulande über einen alternativen Antrieb –, doch vor Mitte 2022 oder gar Anfang 2023 rechnet Wolnik nicht mit einer Normalisierung der Lage.
Chance für die Abo-Anbieter
Wie jede Krise bringt gewiss auch diese Gewinner hervor. Etwa Occasionshändler, die Gebrauchtwagen teurer denn sonst anbieten, Importeure mit grossen Lagerbeständen an vorkonfigurierten Neuwagen oder Werkstätten von Garagen, da länger gefahrene, ältere Autos einen erhöhten Service- und Reparaturbedarf aufweisen. Der deutsche Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer wies in einem Interview mit dem Sender MDR explizit aber auch auf die Anbieter von Auto-Abos hin, wie sie derzeit wie Pilze aus dem Boden schiessen. «Mit der Nutzung von All-inclusive-Paketen lassen sich Angebotsprobleme leicht überbrücken, weil die Fahrzeuge in der Regel verfügbar sind und die Vertragslaufzeiten kürzer als beim herkömmlichen Leasing», so Dudenhöffer. «Das heisst, nach der Chip-Krise kann man dann in Ruhe sein Auto kaufen.»
Dass die Nachfrage nach Auto-Abos in den letzten Monaten zugenommen hat, bestätigt denn auch Timo Nührich, Geschäftsführer jenes 2019 gegründeten Zürcher Anbieters, den wir für einen längeren Test der neuen Autonutzungsform gewählt haben (TA vom 14.10.2021). Wie viele Neukunden die Firma Clyde durch die Folgen der Chip-Knappheit verzeichnet, kann Nührich nicht genau sagen. «Aber wir stellen durchaus fest, dass vermehrt Anfragen für eine temporäre Abo-Nutzung kommen, und sehen uns gegenüber dem Wettbewerb insofern im Vorteil, als wir sämtliche Autos im Angebot mit flexiblen Vertragslaufzeiten ab nur einem Monat statt der üblichen drei oder sechs Monate zur Verfügung stellen.»
Begrenzte Individualisierung
Wie für alle Auto-Abo-Kunden gilt: Je länger die Laufzeit, desto günstiger der monatliche Fixpreis (Glück im Unglück für alle, deren Traumwagen erst in einem Jahr kommt), während sich eine einmonatige Nutzung mit einem Preisaufschlag von rund 70 Prozent allenfalls gegenüber einer klassischen Fahrzeugmiete lohnt. Gemäss unserer Erfahrung nach einem Monat Skoda Enyaq iV 60 und knapp zwei Wochen Tesla Model 3 ist der Nutzerkomfort so oder so aber unbezahlbar: kinderleichte Onlinebestellung, Gratislieferung nach nur zehn Tagen, Versicherung, Steuern und Vignette inklusive, Winterpneus bereits montiert, dann ein schlichtes E-Mail zur Vertragskündigung respektive für den Wechsel zu einem anderen Auto und schliesslich der Gratistausch vor der Haustür – kein Vergleich zu dem Aufwand, den der Kauf einer Occasion mit sich bringt, und den unberechenbaren Kosten, gerade wenn das Auto schon ein wenig älter ist. Von Clyde gibt es nachträglich allenfalls noch eine Rechnung für den Selbstbehalt wegen festgestellter Mängel oder, wie bei uns, wenn statt der vereinbarten 500 Kilometer dann doch 800 gefahren wurden. Kostenpunkt: 40 Franken.
Natürlich ist nicht alles Gold, was da so fabrikneu (oder im Falle des Tesla nach dreimonatiger Vorbenutzung quasi neu) in der Herbstsonne glänzt. Hier ein Klick für die Modellvariante, dort ein Klick für die Motorisierung liegt auch bei der Abo-Konfiguration drin, von den Individualisierungsoptionen eines Neuwagens sind wir aber weit entfernt. So hätten wir den Skoda Enyaq gerne in einer höheren Ausstattungsklasse mit elektrischer Heckklappe bestellt und den Tesla Model 3 in Blau, nein, Rot – ja, warum sticht aus den über 100 online angebotenen Autos eigentlich kaum eines farblich heraus? Kommt dazu, dass man in einem Auto, das einem trotz des eingetragenen Namens im Fahrzeugausweis nicht selbst gehört, nur so halb lässig auf dem Firmenparkplatz oder vor dem Haus der Eltern vorfährt. Doch der entscheidende Punkt in Zeiten der Chip-Krise dürfte wohl sein, dass man überhaupt mit einem neuen Auto vorfahren kann. Nicht nur im Kopf.
Fehler gefunden?Jetzt melden.