Bezirksgericht HorgenUm «eine Lektion zu erteilen», zückte er das Klappmesser
Ein 25-Jähriger stach am Bahnhof Wädenswil und in der Au brutal zu. Solche Angriffe passieren im ganzen Kanton immer häufiger.

- Ein 25-Jähriger stach in zwei Vorfällen – in der Au und am Bahnhof Wädenswil – mit einem Messer zu.
- Das Bezirksgericht Horgen verurteilte ihn wegen vorsätzlicher versuchter Tötung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Jahren.
- Drogenschulden und Beleidigungen sollen die Auseinandersetzungen ausgelöst haben.
Es geht um Drogen, Geld und verletzte Ehre. Gerade Letztere war wohl der Hauptgrund, weshalb der Beschuldigte in jener Nacht im April 2023 das Messer zückte. Er war gerade mit zwei Kollegen im Auto auf der Seestrasse bei der Halbinsel Au unterwegs, als er auf einem Parkplatz seinen verhassten Kontrahenten erspähte.
Die beiden waren sich in der Nacht davor in einem Club in Oerlikon schon in die Haare geraten. Offenbar soll der spätere Geschädigte damit gedroht haben, den Beschuldigten abzustechen, und dessen Familie beleidigt haben. Im Zwist soll es aber auch um offene Drogenschulden gegangen sein, wie an der Verhandlung, die am Montag am Bezirksgericht Horgen stattfand, zur Sprache kam.
Jedenfalls hielt der Beschuldigte – ein 25-jähriger, gedrungener Mann mit kurzem schwarzem Haar und gestutztem Vollbart – an jenem späten Samstagabend an, stieg aus und schlug dem Bekannten unvermittelt ins Gesicht. Dann holte er ein Messer hervor. «Du willst mich abstechen?», soll er seinem Gegenüber wutentbrannt zugerufen haben – und dann selbst zugestochen haben.
Kokain und Cannabis gefunden
Der Geschädigte erlitt dabei eine Schnittwunde im Oberschenkel, die wohl stark geblutet haben soll. Er selbst blieb der Verhandlung fern. Laut Anklage versuchte der Beschuldigte, erneut zuzustechen, wobei er angeblich das Mobiltelefon des Geschädigten traf. Der Verteidiger hingegen behauptete, sein Mandant habe das Opfer nach dem ersten Stich in Ruhe gelassen.
Fest steht, dass sich der Beschuldigte am Tag darauf in Polizeigewahrsam wiederfand. Bei der Festnahme fand eine Hausdurchsuchung statt, wobei die Polizisten auf eine geladene Schusswaffe und grössere Mengen an Kokain und Cannabis stiessen. Während der Beschuldigte vor Gericht jegliche Aussage verweigerte, zeigte er sich in der polizeilichen Einvernahme noch gesprächiger: «Niemand darf meine Mutter beleidigen – ich wollte ihm eine Lektion erteilen», soll er der Polizei erklärt haben.
Es sei aber nicht sein Ziel gewesen, den Mann umzubringen oder schwer zu verletzen. Da dies auch nicht passierte und der Beschuldigte sich weitgehend geständig zeigte, kam er nach einer Nacht im Gefängnis offenbar wieder auf freien Fuss. Es soll jedoch ein Kontaktverbot zu seinem Opfer ausgesprochen worden sein. Doch verhinderte dieses nicht, dass sich die beiden nur knapp zwei Wochen später schon wieder in die Quere kamen.
Messerangriff am Bahnhof Wädenswil
Dieses Mal liefen der Beschuldigte und sein Kollege gerade aus dem Avec-Shop am Bahnhof Wädenswil, als ihm der Geschädigte und dessen Bruder entgegenkamen. Laut der Verteidigung soll einer der Brüder dem Kollegen des Beschuldigten eine rassistische Beleidigung zugerufen haben. In der Folge entbrannte ein Gerangel neben einem stehenden Linienbus.

Die vor Gericht gezeigten Aufnahmen der Überwachungskameras zeigen, wie der Beschuldigte erneut sein Messer zückt. Es hat eine nach vorn gebogene Klinge und ist etwa 15 Zentimeter lang. Während sein Kollege bereits in ein Handgemenge mit den beiden Brüdern verwickelt war, rannte er zur Gruppe und führte mehrere schnelle Stichbewegungen in Richtung Brust und Bauch seines Erzfeindes aus. Schockiert verfolgten die Buspassagiere das Geschehen. Der ganze Zwischenfall dauerte nur etwa 30 Sekunden.
«Es ist nur dem Zufall zu verdanken, dass er ihm in einer solch dynamischen Situation keine lebensgefährlichen Verletzungen zufügte», sagte der Staatsanwalt vor Gericht. Der Beschuldigte habe keine Chance gehabt, zu kontrollieren, wo er sein Opfer traf. Der Vorfall sei deshalb als «versuchte Tötung» zu werten und zusammen mit den anderen Delikten mit einer Freiheitsstrafe von rund sieben Jahren zu bestrafen.
Starke Zunahme in Kanton
Dass bei Konflikten das Messer gezückt wird, kommt schweiz- und kantonsweit immer häufiger vor. Oft haben die Auseinandersetzungen schwerwiegende Folgen für die Opfer: Laut der Zürcher Kriminalstatistik griffen Täter im Jahr 2023 ganze 105-mal zu Schneide- oder Stichwaffen, um damit Menschen schwer zu verletzen. In zwei Fällen endete der Angriff sogar tödlich. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 wurden noch gerade mal 23 solcher Messerangriffe im Kanton verzeichnet.
Beim Vorfall in der Au und am Wädenswiler Bahnhof kam der Geschädigte abgesehen von mehreren oberflächlichen Stichwunden, Blutergüssen und Schürfwunden relativ glimpflich davon. Die Verteidigung argumentierte, dass deshalb höchstens von einer versuchten schweren Körperverletzung – und keiner versuchten Tötung – gesprochen werden könne. Sie beantragte daher lediglich eine Freiheitsstrafe von drei Jahren.
Massnahme statt Gefängnis
Das Argument vermochte das Bezirksgericht Horgen nicht zu überzeugen: «Was Sie begangen haben, ist rechtlich klar als versuchte vorsätzliche Tötung einzuordnen», erklärte der Richter an der Urteilsverkündung. Mit einer solchen Klinge sei es letztlich reiner Zufall, welche Körperstelle getroffen werde. Das Gericht verurteilte den Beschuldigten zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Jahren und einer Geldstrafe in der Höhe von 5400 Franken.

Einen Teil der Strafe hat der Beschuldigte bereits abgesessen. Seit einigen Monaten befindet er sich jedoch im Massnahmezentrum Uitikon, da eine Massnahme für junge Erwachsene angeordnet wurde. Das kann passieren, wenn die begangenen Straftaten mit einer gestörten Persönlichkeitsentwicklung zusammenhängen. Der Beschuldigte wird die Behandlung nun weiterführen können. «Nutzen Sie diese Chance», ermahnte ihn der Richter. Denn wenn ihm die Massnahme nicht gelingt, wird er zurück ins Gefängnis müssen.
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