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120 Bauten öffnen ihre Türen
Voyeuristische und präsidiale Blicke auf Zürich

Neue Aussicht: Der Rundblick vom SIA-Hochhaus lässt die Besucherinnen staunen.
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Es braucht wenig, um die eigene Stadt aus ganz neuen Perspektiven zu sehen: Ein kleiner Umweg auf der Fahrt zur Arbeit. Ein Besuch bei Freunden ausserhalb der bekannten Stadtkreise. Oder Open House Zürich. 120 Gebäude öffnen an diesem Wochenende ihre Türen, die allermeisten sind solche, die üblicherweise der Öffentlichkeit vorenthalten sind. Bei einigen Führungen ist eine Onlinereservation nötig, andere sind spontan besuchbar.

Muraltengut: Das Versailles von Zürich

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Exklusive Wohnlage: Im einstigen Bedienstetenhaus sind heute zwei reguläre Mietwohnungen der Stadt untergebracht.
Thatchers Lieblings-WC: Die Frauentoilette im Muraltengut könnte grosszügiger kaum sein – auch wenn die Badewanne nicht mehr in Betrieb ist.
Klare Hakenordnung: Die Nummer 1 im Eingang des Muraltenguts gehört der Stadtpräsidentin, danach folgen die Kleiderhaken für ihre Stadtratskollegen – und für alle anderen Besucher.

Wie oft sind wir hier schon vorbeigefahren, ohne das Anwesen wahrzunehmen? Das Muraltengut ist im Enge-Quartier gelegen, auf Höhe des Strandbads Mythenquai, direkt hinter der Bahnlinie. Beim Bau vor 250 Jahren war es noch ein Haus am See, erst als die nun vor dem Garten durchführende Bahnlinie kam, wurde das Ufer zurückversetzt.

Geblieben ist das grosszügige Landgut mit gepflegtem Garten. Hier empfängt der Zürcher Stadtrat wichtige Gäste, es ist sein Repräsentationssitz, das Versailles von Zürich. Natürlich ist das ein augenzwinkernder Vergleich, doch die Grosszügigkeit der ganzen Anlage ist für Zürcher Verhältnisse bemerkenswert. Genauso wie die Kunstsammlung, mit der die sehr hohen Räume bestückt sind.

60 bis 70 Anlässe werden hier pro Jahr ausgerichtet, die meisten im Frühling und Herbst. Hinter dem Haupthaus wohnten in einer kleineren Residenz einst die Bediensteten. Heute befinden sich hier zwei städtische Mietwohnungen.

Die Kombination von Raum, Licht und Kunst lässt die Besucherinnen und Besucher staunen. Vor allem auch, weil viel Kunst raumfüllend und speziell für das Muraltengut angefertigt wurde. Etwa das riesige Wandgemälde von Alois Carigiet im Hauptsaal. Das Treppenhaus ist mit Bildern der «Wurstserie» von Fischli/Weiss bestückt.

Während im Hauptsaal meist getafelt wird (in Langenthal-Porzellan mit Zürich-Insignien), finden im Obergeschoss Sitzungen statt – oder später am Abend der Kaffee nach dem Essen. Bemerkenswert: In einem Raum wird jeweils auch ein Fumoir eingerichtet. Davon riecht man jedoch nichts – «ein Vorteil eines nie ganz dichten alten Hauses», sagt Peter Amrhein lächelnd, der seit 25 Jahren in der Verwaltung des Muraltenguts arbeitet.

Er erzählt auch die Geschichte von Margaret Thatcher, die einst bei einem Besuch die Frauentoilette am liebsten nicht mehr verlassen hätte – weil es die schönste der Welt sei. Und wohl auch eine der grosszügigsten, wie sich an diesem Tag auch die männlichen Besucher versichern können.

Studierendenwohnhaus Rosengarten: Zu Besuch bei der Achter-WG hinter sechs Glasschichten

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Und dann die Einweihungsparty: Während Dutzende Gäste ihre Wohnung besichtigen, machen sich die Bewohner bereit für das abendliche Fest.
Ziegelsteinästhetik: Das Studierendenwohnhaus Rosengarten wurde 2020 von der Stadt mit der Auszeichnung für gute Bauten prämiert. 
Luftige geteilte Loggia: Jeweils zwei Wohnungen haben Zugang zum Aussenbereich mit fix installiertem Grillkamin. 

Neben dem Interesse für Architektur kann Open House auch eine voyeuristische Komponente befriedigen. Die Mitglieder der WG 1032 lassen das stoisch über sich ergehen. Sie sind am Samstagmittag daran, ihr sehr grosszügiges Wohnzimmer für die grosse Einweihungsparty einzurichten. Ziemlich genau ein Jahr nach dem Einzug feiern sie diese, Covid liess das nicht früher zu.

Für fünf der acht WG-Bewohner ist es doppelt besonders, in diesem für seine Architektur gelobten und von der Stadt ausgezeichneten Gebäude zu leben: Sie studieren alle das Fach, wie Mischa erzählt, der parallel zum Gespräch staunend die Besucherinnen und Besucher zählt.

Deren Zahl ist tatsächlich bemerkenswert. Es ist ein Kommen und Gehen, wobei sich permanent gegen 40 gwundrige Open-House-Gäste in der Wohnung befinden. Mischa ist ein offener Hausherr. Das hat ihn das vergangene Jahr gelehrt. Die Stadtpräsidentin war schon auf Stippvisite hier, ebenso mehrere ETH-Professoren. Dem 23-Jährigen gefällt aus architektonischer Sicht vor allem die Aussenoptik der Überbauung, die an eine englische Arbeitersiedlung erinnert und 140 möblierte Studentenzimmer beinhaltet. Mischa bezahlt für seines 550 Franken pro Monat, inklusive Nebenkosten und Internet.

Bemerkenswert sei die Ruhe in der Wohnung, sagt er. Was einigermassen überrascht, weil durch die hohen Fenster der unablässige Autofluss der Rosengartenstrasse zu sehen ist. Aber eine doppelte Dreifachverglasung schluckt das Autorauschen – «nur die tiefe Frequenz der 40-Tönner hört man auch hier drin», sagt Mischa.

Der Sonntag könnte etwas anstrengender werden für ihn und seine Freunde. Ab 13 Uhr sind ihre Türen wieder offen – ob die Zeichen der Einweihungsparty bis dann alle verschwunden sind? «Ansonsten ist es noch authentischer», wirft Mitbewohner Giacomo ein.

SIA-Hochhaus: Wie Touristen in der eigenen Stadt

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Aussicht wie in einer Grossstadt: Nur ist diese hier nicht für die Touristen, sondern den SIA-Mitarbeitenden vorbehalten.
Bildersujets en masse: Die Aussicht vom SIA-Hochhaus lässt alle Open-House-Besucher ihre Handys und Fotokameras zücken.
Faszinierender Spiegeleffekt: Eine leichte Silberaufdampfung lässt die Umgebung in der Fassade spiegeln.

Zum Abschluss unseres Open-House-Rundgangs folgt eine Architektur-Lektion. Franz Romero erklärt, wie er mit seinem Büro aus einem einigermassen unscheinbaren Hochhaus aus dem Jahr 1970 durch die Renovation 2007 ein Gebäude schuf, das von der Stadt die «Auszeichnung für gute Bauten» erhielt.

Der grösste Wurf bei der Generalüberholung war nicht etwa die auffällige Fassade, welche je nach Position des Betrachters spannende Reflexionen generiert. Sondern der Durchgang zur Sihl, für den zwei Geschosse geopfert wurden. Romero Schaefle Partner Architekten wollte so «ein Fenster zum Alten Botanischen Garten schaffen», wie Romero es in seinen Ausführungen beschreibt. Den dadurch verlorenen Platz hätten sie gerne mit zwei zusätzlichen Stockwerken obendrauf kompensiert. Doch die Stadt hielt an der maximalen Bauhöhe von 40 Metern fest.

Einen Kunstaspekt gibt es auch am SIA-Hochhaus: Die Inspiration für die leicht gekippte Fassadenverglasung kam von einer Skulptur des Bildhauers Brancusi. Nach dem Bestaunen der Aussendetails folgt der spektakuläre Blick von oben. Zuerst aus den SIA-Büros im 12. Stock, wo man sich fragt, wie die Mitarbeitenden sich bei so einer Rundsicht auf die Bildschirme konzentrieren können.

Und dann noch einen Stock höher, von der Dachterrasse: Der Blick von hier hat etwas Weltstädtisches. Normalerweise besteigt man in Grossstädten solche Gebäude, um sich mittendrin einen Überblick zu verschaffen. Entsprechend tut sich auch hier eine ganz neue Perspektive auf Zürich auf. Nur dass diese lediglich einmal im Jahr für alle zugänglich ist.