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Marathonläuferin Ruth Chepngetich
Ihr Weltrekord sorgt für hitzige Debatten – bis zu ihren Schuhen

Kenya's Ruth Chepngetich poses for pictures during the Women's Elite Press Conference, in central London, on April 18, 2024, ahead of the London Marathon. (Photo by HENRY NICHOLLS / AFP)
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Der Name von Peter Herzog wurde jüngst öfter erwähnt, als ihm lieb sein kann. Dass er dank 2:10:06 Stunden der schnellste Marathonläufer ist, den Österreich je hatte, war dabei nicht das Thema. Stattdessen: dass die Kenianerin Ruth Chepngetich in Chicago vor rund vier Wochen nach 2:09:56 Stunden ins Ziel kam.

Sie pulverisierte damit den Weltrekord der Frauen, der zuvor schon als einer für die Ewigkeit gegolten hatte, um 1:57 Minuten. Dass die 30-Jährige nun aber gar schneller ist als gestandene Profis wie Peter Herzog, sorgte in der Laufszene für einen Tabubruch.

Amby Burfoot äusserte ihn, der Sieger des legendären Boston-Marathons von 1968 und langjährige Chefredaktor der Laufbibel «Runner’s World». «Warum es schwierig ist, dem Weltrekord von Ruth Chepngetich zu trauen», titelte er einen Meinungsbeitrag. Einig waren sich alle Experten (Frauen scheint das Thema weniger zu kümmern): Es handelt sich um die herausragendste Zeit, die je ein Mensch über die 42,195 km auf die Strassen trommelte.

Experte: «Ich bin empört»

Das wiederum führt zurück zu Burfoot. Er offenbarte: «Ich bin empört.» Es folgte eine regelrechte Anklageschrift, in der das Wort Doping zwar nicht vorkam, aber allen war klar, was er mitteilen wollte. Seine Quintessenz: «Wir haben keine Beweise, aber wir wissen, was wir wissen.»

Dass eine renommierte, in der Szene geachtete und geschätzte Figur wie Burfoot Chepngetich öffentlich Doping unterstellte – ohne Fakten vorlegen zu können, sondern bloss mittels Indizien –, ist ein Tabubruch. Leichtathletik-Nerds lassen sich in Kommentarspalten ihrer Lieblingsportale normalerweise zu solchen Äusserungen hinreissen. Dass aber ein Branchenprimus seine Meinung in einer Anklageschrift auf einer grossen Plattform (marathonhandbook.com) kundtut, ist eine neue Dimension. Andere beteiligten sich.

Die Reaktionen folgten, gar vom kenianischen Parlament. Weisse (alte) Männer also sagen, wozu eine junge schwarze Frau fähig sein soll – oder gerade nicht, lautete der Tenor, Rassismusvorwurf inklusive. Dabei sei Chepngetich schlicht eine talentierte Frau, die dank hartem und smartem Training eine sensationelle Zeit gelaufen sei, fanden ihre Verteidigerinnen und Verteidiger.

Aber so simpel ist die Situation nicht. Darum zurück zum Österreicher Peter Herzog. Dass nämlich Profiläufer wie er langsamer sind als die Profiläuferin Chepngetich, kommt etwa so oft vor wie ein Einhorn. Oder wie es der empörte Amby Burfoot formulierte: Im Schnitt sind die Weltrekorde der Frauen in den Laufdisziplinen um 10 bis 11 Prozent langsamer als die der Männer – bei einem mittlerweile sehr grossen Sample. Das heisst: Schon Verschiebungen hinter dem Komma sind bedeutend. Chepngetich allerdings war nur 7,75 Prozent langsamer als Marathon-Weltrekordhalter Kelvin Kiptum (2:00:35). Das kommt statistisch gesehen einem fast schon mirakulösen Ausreisser gleich.

Der auffällige Manager

Dass sie mit ihren 30 Jahren zudem eine routinierte Marathonläuferin ist, macht ihren grossen Leistungssprung erstaunlich. Ihre Bestzeit betrug davor 2:14:18. Gleich um 4:22 Minuten verbesserte sie sich als austrainierte Athletin. Andere Profis sind froh, wenn sie noch ein paar Sekunden von ihren Bestzeiten wegbekommen.

Vor allem wiesen ihre Kritiker auf ihren Manager Federico Rosa hin. Der Italiener zählt zu den führenden Agenten im Laufbusiness und vertrat als solcher manch überführte Laufgrösse aus Kenia. Dazu gehören: Rita Jeptoo, die fünffache Marathonsiegerin der Prestigeanlässe in Boston und Chicago, Jemima Sumgong, die Olympiasiegerin von 2016, und Asbel Kiprop, der dreifache Weltmeister über 1500 m.

The agent of disgraced Kenyan marathoner Rita Jeptoo, Federico Rosa stands on the dock on July 6, 2017 at the  court in Nairobi's district of Kibera, over doping allegations that continue to plague the east African nation just a month before the start of the Rio Olympics. Once considered the world's top female distance runner, Jeptoo was busted for using the banned blood-boosting hormone EPO during an out-of-competition drugs test last year and faces a suspension of at least two years plus the loss of a string of recent titles. (Photo by STRINGER / AFP)

Der zweifelhafte Federico Rosa ist allerdings noch kein Beleg für ein mögliches Betrügen von Ruth Chepngetich. Es sagt maximal aus, dass sie offenbar keine Probleme hat, mit ihm zusammenzuarbeiten.

Darum kommt einer der interessantesten Gedanken einmal mehr vom kanadischen Publizisten Alex Hutchinson. Dessen Beitrag (Why the Running World Can’t Stop Debating Ruth Chepngetich’s New Marathon Record) ist wie immer ein Gewinn. Hutchinson weist anhand von Studien darauf hin, dass Frauen von den Superschuhen, wie sie seit 2016 im Einsatz sind, wohl mehr profitieren als Männer.

Nur schon aus einem einfachen Grund: Frauen sind im Schnitt kleiner als Männer, legen also über 42,195 km mehr Schritte zurück – und profitieren allein schon darum stärker von diesen Karbonschuhen mit Superschaum. Mit diesen ermüden die Athleten und Athletinnen später und können auch härter trainieren (und sich zugleich schneller erholen).

Tatsächlich benutzte Chepngetich in Chicago das neueste Modell ihres Sponsors. Nur: Erstens lief sie schon davor in einem Vorgängermodell und damit mit ähnlicher Technologie – aber nie auch nur annähernd so schnell. Und zweitens erklären diese Hinweise von Hutchinson nicht, warum Chepngetich die einzige Topläuferin sein soll, die in diesen Superschuhen einen solchen Leistungssprung vollzog.

Alex Hutchinson schliesst darum mit einem unbefriedigenden Fazit in dieser hitzig geführten Debatte, wie der Weltrekord von Ruth Chepngetich zu erklären sei: Wir wissen es schlicht nicht.