Liebeserklärung an InterDiese Pfiffe gegen Ronaldo – ich habe sie noch heute in den Ohren
YB trifft am Mittwoch in der Champions League auf den italienischen Meister Inter. Es ist ein Duell, das unseren Autor in die Bredouille bringt.
- Ein Berner ohne italienische Wurzeln erklärt seine Leidenschaft für Inter Mailand.
- Sein Fandasein beginnt mit dem legendären Ronaldo und ersten Stadionerlebnissen.
- Inter durchläuft Tiefflüge und Hochphasen, was die Erfolge süsser macht.
- Das Duell gegen YB sorgt für gemischte Emotionen, wegen des Berufs als Fussballreporter.
Warum bist du bloss Inter-Fan? Die Frage wird mir oft gestellt. Manchmal schwingt dabei leichte Empörung mit, ein Berner, ohne italienische Wurzeln notabene, müsse doch YB-Fan sein. Habe ich x-mal gehört. Oder dann wirkt der Italien-Komplex, der, so scheint mir, gerade in der Deutschschweiz weit verbreitet ist. Liegt wohl daran, dass die Italiener beim Fussball nicht nur besser aussehen. Sondern von jeher auch besser sind. Die letzte EM mal ausgeklammert.
Inter kann wie jetzt einen Fussball zelebrieren, der von Taktiknerds begeistert in Einzelteile zerlegt wird, ein schlechtes Spiel, und schon heisst es: «Catenaccio!»
Früher habe ich mich gegen solche Angriffe auf mein Inter gewehrt, habe meine ganze Energie in stundenlange Diskussionen mit Freunden gesteckt. Ja, ich habe mich sogar in Kommentarspalten herumgetrieben. Natürlich war das nutzlos. Heute lächle ich über Provokationen. Man wird ja schlauer.
Es gibt ganz viele Gründe, warum Inter der beste Club der Welt ist: das Stadion, die Vereinsfarben, der Name. FC Internazionale Milano, das klingt nach grosser Welt. Und ich hatte schon immer eher Fern- als Heimweh.
Tatsächlich aber verdanke ich meine Leidenschaft einem legendären Schweizer Nationaltrainer. Gut, ein Brasilianer spielt auch eine gewichtige Rolle. Und nicht, weil er mittlerweile dick ist.
Im Sommer 1997 wechselt Ronaldo Luis Nazario de Lima von Barça zu Inter, für die Rekordablöse von 48 Milliarden Lire, umgerechnet knapp 30 Millionen Franken. Der Stürmer ist nicht nur der teuerste, den der Fussball zu bieten hat, sondern mit seinen Tricks und seinem Tempo auch der aufregendste. Und jetzt also gastiert dieser Ronaldo ganz in der Nähe.
So jedenfalls denkt sich das mein Vater, als er meinen Bruder und mich nach Magglingen schleppt. Inter hält dort sein Trainingslager ab, auf Initiative von Roy Hodgson, dem Engländer mit Schweizer Vergangenheit, der bis kurz davor Inter coachte. Nur: Ronaldo ist nicht da. Er weilt in den Ferien.
Im Vergleich zum Wankdorf ist das Giuseppe Meazza ein anderer Planet
Wir müssen mit Javier Zanetti und Diego Simeone vorliebnehmen. Auch nicht schlecht: Ein Anfang ist gemacht. Doch es braucht schon diesen einen Wow-Moment, damit aus Sympathie Schwärmerei wird. An Ostern 1998 ereignet er sich, Inter empfängt Udinese, Zweiter gegen Vierter, das Giuseppe Meazza ist proppenvoll. Ich bin zehn. Und wie ich erstmals ins steile und riesige Stadion komme, mit seinen drei Rängen und knapp 80’000 Zuschauern – das vergesse ich nie. Bis dahin kannte ich die verlotterten Tribünen des alten Wankdorfs. Ich wähne mich auf einem anderen Planeten. Inter gewinnt dank zwei späten Toren von Djorkaeff und Ronaldo. Natürlich ihm.
Ich bin angefixt. Ronaldo, der wahre, bleibt mein Held, noch heute halte ich ihn für besser als seinen Namensvetter, den Portugiesen. Unsachlich, das gebe ich zu, aber so ist das Fandasein. Ronaldo habe ich sogar verziehen, dass er später zu Milan wechselte, schliesslich bekamen die Rossoneri einen nicht mehr austrainierten Abklatsch der Inter-Version.
Beim ersten Spiel von Ronaldo gegen Inter bin ich im Stadion, die Interisti verteilen Zehntausende Trillerpfeifen. Sie kommen bei jedem Ballkontakt des Brasilianers zum Einsatz. Das habe ich heute noch in den Ohren.
Als mir wegen eines Tors die Tränen kommen
Es sind solche Erlebnisse, die bleiben, die die Zuneigung vertiefen, die eine Fernbeziehung ermöglichen. Internet gibt es Anfang der Nullerjahre zwar, aber Zusammenfassungen von Partien sind darin keine zu finden, geschweige denn verwackelte Livestreams. Mit einem ISDN-Modem würde das ewig dauern: «tüüt… tatatataaat… pieeep ... chrrrchrrr» – bin ich drin? Die Zwischenstände hole ich mir, indem ich die Inter-Seite aktualisiere.
Auch Pay-TV gibt es in der Schweiz nicht. Mit meinem Bruder verfolge ich die Spiele im kargen Bistro Passerelle Da Vinci über den Gleisen am Bahnhof Bern. Der Fernseher ist gross, das ist die Hauptsache. Deswegen sind an Samstagen und Sonntagen immer viele Italiener da, die meisten sind Fans von Juventus, Milan oder eben Inter. Die Derbys sind ein Erlebnis, unvergessen, wie Adriano 2005 gegen Milan in der 92. Minute das 3:2 erzielt. Und ein Rentner jubelnd auf dem Tisch steht.
Adriano, dieser brasilianische Powerstürmer, ist nach Ronaldo mein zweitliebster Inter-Spieler, auch er hätte besser sein können als Cristiano. Aber nach dem frühen Tod seines Vaters verfällt er dem Alkohol, das wirkt sich auf seine Darbietungen aus. Ich leide mit. Als er einmal nach monatelanger Durststrecke ein Tor erzielt, kommen mir die Tränen.
Heute ist das Bistro einem Coiffeursalon gewichen. Jede Partie lässt sich daheim verfolgen. Das ist zwar praktisch, nimmt ihr aber die Bedeutung. Manchmal vermisse ich die Sonntage im Da Vinci.
Die Nachbarn schlafen nun ruhiger
Das Dasein als Inter-Fan hat sich verändert. Die Spiele gehören immer noch fest zu meiner Woche, das schon, aber meine Freundin muss sich nicht mehr schieflachen, weil ich gestenreich einen Inter-Trainer verfluche. Auch meine Nachbarn schlafen ruhiger – trotz Altbau. Als Inter 2023 den Champions-League-Final gegen Manchester City verliert, hake ich das rasch ab. Früher brach schon bei Niederlagen im Viertelfinal der Coppa Italia eine Welt zusammen.
Nie in meinem Leben bin ich so nervös gewesen wie im Champions-League-Final 2010 gegen Bayern, jede Minute eine Qual. Aber Inter gewinnt, holt das Triple aus Meisterschaft, Cup und Königsklasse. Das schaffen die wenigsten. Ich bin unendlich stolz, nehme den Fanschal mit in den Ausgang. Aber schon in der Nacht wird bekannt, dass uns Erfolgstrainer José Mourinho für Real Madrid verlässt. Auf jedes Hoch folgt ein Tief: Pazza Inter, verrücktes Inter eben.
Für Inter beginnt ein gnadenloser Abstieg. Besitzer Massimo Moratti, der mit seinen Millionen all die Ronaldos und Adrianos nach Mailand lockte, verliert die Lust. Es ist eine dunkle Zeit. Wenn ich heute die Mannschaften von damals sehe, mit Spielern, die in der Super League genügen würden, frage ich mich, wie ich das überstanden habe. Inter glaubt, Zdravko Kuzmanovic zu verpflichten, sei eine gute Idee. Und in Siena bin ich dabei, als uns Innocent Emeghara vorführt. Emeghara, man muss sich das vorstellen.
Mittlerweile bin ich dankbar für diese Zeiten. Sie machen die jetzigen Erfolge unter Simone Inzaghi, einem unterschätzten Trainer, umso süsser. Gewinnen ist auf Dauer langweilig. Daran denke ich manchmal, wenn ich die YB-Fans über die jetzige Krise klagen höre.
Jetzt also treffen Inter und YB aufeinander, ein Duell, das ich mir nie gewünscht habe. Weil ich mein Fandasein nicht mit Arbeit verbinden will. Aber mittlerweile freue ich mich. Meine Emotionen werde ich ganz bestimmt im Griff haben. Aber das Schreiben des Matchberichts überlasse ich dann doch lieber dem Kollegen.
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